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Gegen Palästina

US-Abgeordnete sehen UN-Antrag als "Schlag ins Gesicht". Tea Party will Annexionsrecht für Israel

Von Knut Mellenthin *

Der US-Kongreß soll das Recht Israels unterstützen, das besetzte Westjordanland zu annektieren, falls die UNO einen palästinensischen Staat anerkennt. Eine entsprechende Gesetzesinitiative hat der republikanische Abgeordnete Joe Walsh, ein Favorit der rechten Tea-Party-Bewegung, am Montag eingebracht. Der Antrag wird von 30 Parlamenta­riern mitgetragen. Bezeichnend für die absolute Identifizierung mit dem zionistischen Staat ist, daß im Text die offizielle israelische Bezeichnung für die Westbank, »Judäa und Samaria«, verwendet wird. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, daß »das jüdische Volk in Judäa und Samaria Jahrtausende lang gelebt hat« und daß die israelische Regierung dafür verantwortlich sei, »alles zu tun, um die Sicherheit ihrer Bürger, einschließlich der in Judäa und Samaria ansässigen, zu gewährleisten«.

Walsh stellte seinen Antrag mit den Worten vor: »Die bevorstehende Abstimmung in der UNO bedeutet für uns einen Schlag in Gesicht, der absolut ungeheuerlich ist. Es ist klar, daß die USA darauf eine sehr starke Antwort erteilen müssen. Eigentlich müßte der Präsident diese Stellungnahme abgeben, aber er ist dazu nicht imstande. Deshalb muß das Abgeordnetenhaus es tun.«

Der Antrag lehnt sich eng an eine Initiative an, die der rechte Likud-Abgeordnete Danny Danon schon vor einiger Zeit in das israelische Parlament eingebracht hat. Danon fordert, die sogenannte Zone C der Westbank, die die jüdischen Siedlungen und die meisten Landgebiete umfaßt, zu annektieren. Die größeren palästinensischen Städte sollen davon ausgenommen und formal der Kontrolle Jordaniens unterstellt werden, während der Gazastreifen unter die Herrschaft Ägyptens kommen soll.

Im US-Kongreß kursieren unterdessen noch mehrere andere Gesetzentwürfe für den Fall einer Anerkennung des Palästinenserstaates durch die UNO. Schon Ende August hat die republikanische Abgeordnete Ileana Ros-Lehtinen, die den Vorsitz im einflußreichen Außenpolitischen Ausschuß führt, zusammen mit 57 Unterstützern einen Antrag eingebracht, die Zahlungen an alle UN-Gremien einzustellen, die den Status der palästinensischen Vertretung aufwerten wollen. Sie beruft sich dabei auf das Vorbild des früheren Präsidenten George H.W. Bush, der 1989 mit einer ähnlichen Drohung die Anerkennung eines Palästinenserstaates durch die Vereinten Nationen verhinderte.

Außerdem liegt dem Abgeordnetenhaus ein Antrag der demokratischen Parlamentarier Steve Israel, Steve Rothman, Eliot Engel und Robert Brady vor. Sie wollen erreichen, daß die US-Regierung allen Staaten, die sich in der UNO für eine Anerkennung Palästinas einsetzen, die Militärhilfe streicht. Israel sagte dazu: »Wir werden nicht zulassen, daß andere Länder mit der einen Hand gegen unseren besten Freund stimmen und dann zum Kongreß kommen, um mit der anderen Hand die Dollars der Steuerzahler zu kassieren.«

Eine weitere Initiative geht von der Fraktionsführerin der Demokraten im Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi, und vom ranghöchsten Vertreter der Fraktion im Außenpolitischen Ausschuß, Howard Berman, aus: In einem von insgesamt 58 demokratischen Parlamentariern unterschriebenen Brief an rund 40 europäische Regierungen rufen sie in dramatischen Tönen dazu auf, einem Palästinenserstaat die Anerkennung zu verweigern: Diese könne zu »großflächiger Gewalt« in den besetzten Gebieten führen und »in einer Zeit von ohnehin großer Instabilität die Region entflammen«.

* Aus: junge Welt, 22. September 2011


Palästinenser demonstrieren **

Tausende Palästinenser haben mit Demonstrationen die Initiative zur internationalen Anerkennung ihres Staates in den Grenzen von 1967 unterstützt. Die meisten gingen in den großen Städten der von Israel besetzten Westbank auf die Straße. Im Libanon versammelten sich rund 2000 palästinensische Flüchtlinge, um den Antrag zu unterstützen, der vom amtierenden Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, am Freitag bei der UNO-Vollversammlung eingereicht werden soll.

In Ramallah begannen die Aufzüge am Grab des ehemaligen PLO-Chefs Jassir Arafat, von dort zogen die Demonstranten in die Stadtmitte. In Bethlehem trafen sich Polizeiangaben zufolge 3000 Menschen an der Geburtskirche, die größte Kundgebung fand in Hebron statt, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Maan News. Auf Plakaten und Transparenten forderten die Demonstranten die UN-Vollversammlung auf, den Antrag zu unterstützen. Drohungen der USA, die Finanzhilfe an die Palästinensische Autonomiebehörde einzustellen, sollte sie den Antrag nicht im letzten Moment noch zurückziehen, wurden zurückgewiesen.

In Nablus schlossen sich 30 Aktivisten der antizionistischen jüdischen Gruppe Neuturi Karta der Kundgebung an, um ihre Unterstützung für einen Palästinenserstaat zu zeigen. Mahmud Al-Alul von der Fatah lobte Mahmud Abbas für seinen Mut, allem Druck standzuhalten. Er sei »die einzige Person, die es heute wagt, zur USA ›Nein‹ zu sagen«.

Aus nicht näher bezeichneten diplomatischen Kreisen hieß es derweil, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas überlege angesichts des großen Drucks, den Antrag zu verschieben. In einem Interview mit dem US-Sender Fox News äußerte Abbas am Montag seine Bereitschaft zu einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, »wenn es etwas Greifbares gibt«, über das zu sprechen sei. Der US-Regierung sei es nicht gelungen, Netanjahu »davon zu überzeugen, die Siedlungsbauten einzustellen«.

In einer in Damaskus veröffentlichten Stellungnahme unterstrich die Hamas unterdessen, daß der richtige Weg für die Freiheit der Palästinenser der Widerstand sei, »um unser Land zu befreien, unsere Rechte zu erhalten und einen wirklich souveränen Staat Palästina zu gründen«. Der Schritt, zur UNO zu gehen, sei »einseitig« von der Fatah beschlossen worden.

Asis Dweik, Sprecher der Palästinensischen Ratsversammlung, kritisierte die UN-Initiative der Autonomiebehörde. Jeder politische Schritt, in dem es um die Zukunft des palästinensischen Volkes ginge, erfordere einen nationalen Konsens. Ähnlich äußerte sich sein Stellvertreter Ahmed Bahr gegenüber dem Nachrichtensender Al-Dschasira. Sollte der Antrag bei der UNO angenommen werden, bedeute das den Verlust von 80 Prozent des palästinensischen Bodens. Zudem sei das Recht auf Rückkehr für die Flüchtlinge von 1948 in Gefahr.

** Aus: junge Welt, 22. September 2011


"Bedeutung der nationalen Einheit nicht unterschätzen"

Ein Antrag auf staatliche Anerkennung Palästinas durch die UNO wirft eine Reihe von Fragen auf. Ein Gespräch mit Mustafa Barghouti ***

Mustafa Barghouti ist Arzt, Vorsitzender und Abgeordneter der linksalternativen Palästinensischen »Nationalen Initiative Al Mubadara« und Aktivist der globalisierungskritischen Sozialforumsbewegung. Bei den Präsidentschaftswahlen im Januar 2005 erzielte er mit 19,8 Prozent der Stimmen hinter Amtsinhaber Mahmud Abbas das zweitbeste Ergebnis.

Es wird damit gerechnet, daß der Präsident der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, am Freitag in der UN-Generalversammlung den seit Monaten angekündigten Antrag auf Vollmitgliedschaft stellt. Damit würde Palästina als Staat in den 1967 von Israel besetzten Gebieten international anerkannt. Was halten Sie von einer solchen Initiative?

Nach Jahrzehnten der Besatzung verlangen alle Palästinenser Freiheit und Unabhängigkeit. Dennoch gibt es bezüglich dieser Initiative Klärungsbedarf: Ist sie ein taktischer Schachzug oder ein strategisches Projekt zur Gründung des Staates Palästina? Letzteres würde aber die Einbeziehung der Volkskomitees, der Bewegungen gegen die israelische Mauer sowie derjenigen Verbände voraussetzen, die den Boykott Israels und seiner Siedlungen organisieren.

Schließen Sie sich damit jenen Kritikern an, die Abbas vorwerfen, einsame Entscheidungen getroffen zu haben?

Ein solcher Plan muß sich auf die breitestmögliche Beteiligung der palästinensischen Gesellschaft stützen. Die Bedeutung der nationalen Einheit darf außerdem in einer so heiklen Phase wie der jetzigen nicht unterschätzt werden – seit den Kämpfen zwischen Fatah und Hamas im Jahre 2007 gibt es sie nämlich nicht mehr.

Abbas versichert, daß die Anerkennung des Staates Palästina in der UNO auf dem Territorium der Westbank, Gazas und Ostjerusalems nicht das Ende der PLO bedeutet. Auch nicht den Verzicht auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge. Ist das glaubwürdig?

Das ist das, was die Palästinenser von jeder Führung erwarten.

Die israelische Regierung warnt die UN-Mitgliedsstaaten vor einer Anerkennung unter anderem mit dem Argument, daß dies eine neue Welle der Gewalt auslösen würde. Was sagen Sie dazu?

Der Alarm bezüglich angeblich drohender palästinensischer Gewalt ist reine Propaganda, die Israel als Opfer einer von Palästinensern und Arabern gewollten Eskalation darstellen will. Alle in den kommenden Tagen geplanten Demonstrationen werden friedlich sein, und Israels Ministerpräsident Bejamin Netanjahu weiß das sehr gut.

Rechnen Sie damit, daß sich auch die israelische Friedensbewegung für die Unabhängkeit Palästinas einsetzt?

Das bezweifle ich. Zwar habe ich die Unterstützung durch israelische Demokraten immer für wichtig gehalten –leider hat die Mehrheit derjenigen, die sich als Pazifisten verstehen, in letzter Zeit ein distanziertes Verhältnis zu uns an den Tag gelegt. Es gibt aber mittlerweile kleine Gruppen von Friedensaktivisten, die aufrichtig und mit klaren Positionen gegen die Besatzung und den Bruch internationalen Rechts kämpfen. Das sind vor allem Jugendliche; ich hoffe, daß sie in Israel mehr Einfluß bekommen.

Ein bevorzugter Einwand gegen die sofortige palästinensische Unabhängigkeit ist, daß die im Gazastreifen regierende Hamas Israel nicht anerkennt …

Es ist zur Genüge bekannt, daß die israelische Regierung immer nur Zeit gewinnen will, um den Status quo zu verlängern. Warum aber sollten wir ihre Vorstellungen akzeptieren, wenn sie schon vorher zur Auflage macht, daß der palästinensische Staat entmilitarisiert und Jerusalem nicht geteilt werden? Netanjahu und seine Minister wissen genau, daß der Siedlungsbau auf palästinesischem Boden illegal ist. Das ist für sie völlig in Ordnung – die Nichtanerkennung durch die Hamas hingegen nicht. Ich denke, Hamas wird Israel anerkennen, sobald Israel auch den Staat Palästina anerkennt.

Im übrigen kann sich Tel Aviv ein derartiges Verhalten nur erlauben, weil die Regierungen Europas und der USA zu ängstlich sind, um den pro-israelischen Lobbys auf die Füße zu treten. Wir Palästinenser werden unseren Kampf fortsetzen. Etwas anderes bleibt uns gar nicht übrig.

Interview: Raoul Rigault

*** Aus: junge Welt, 22. September 2011


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