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Ein fauler Kompromiss wird da nicht reichen

Von Andreas Zumach, Genf *

Nächste Woche wird die Palästinensische Autonomiebehörde die Uno-Mitgliedschaft als Staat beantragen. Gut 150 Staaten sind dafür, eine Minderheit dagegen. Und die Schweiz versteckt sich hinter einem «Kompromiss».

Nach der bevorstehenden Ausrufung des Staates Palästina durch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter Präsident Mahmud Abbas wird sich am Dienstag die Uno-Generalversammlung in New York mit dem Thema «Palästina» befassen. Doch worüber genau die 193 Uno-Staaten beraten und entscheiden sollen, ist immer noch unklar. Denn Abbas hat seinen schon im letzten Herbst an­ge­kün­dig­ten Resolutionsantrag immer noch nicht vorgelegt.

Sehr wahrscheinlich beantragt Abbas die völkerrechtliche Anerkennung des Staates Palästina in den Vorkriegsgrenzen von 1967 – also inklusive der seit 44 Jahren von Israel völkerrechtswidrig besetzten Westbank, des Gazastreifens und Ostjerusalems. Ein entsprechender Beschluss kann mit der Zustimmung von gut 150 der 193 Uno-Staaten rechnen. Damit würde Palästina politisch erheblich aufgewertet. Viele Staaten würden bilaterale diplomatische Beziehungen zum neuen Staat aufnehmen und den Druck auf die israelische Regierung verstärken, den illegalen Siedlungsbau zu stoppen und sich endlich auf die Vorkriegsgrenzen von 1967 zurückzu­ziehen.

Auch ein weiter gehender Antrag zur Aufnahme des Staates in die Uno als stimmberechtigtes Vollmitglied erhielte auf jeden Fall die laut Uno-Charta erforderliche Zweidrittelmehrheit von 129 der 193 Mitgliedstaaten der Generalversammlung. Dennoch wäre ein solcher Beschluss wirkungslos, weil ihm eine entsprechende Empfehlung des Sicherheitsrates vor­ausgehen müsste. Diese Empfehlung wird es trotz einer absehbaren Mehrheit von min­des­tens 10 der 15 Ratsmitglieder aber nicht geben: Die USA haben ihr Veto angedroht. Während eine Mehrheit der EU-Staaten rund um Frank­reich nicht nur die Anerkennung des Staates Palästina befürwortet, sondern auch seine Aufnahme in die Uno, bemüht sich eine Minderheit um Deutschland und Britannien gemeinsam mit den USA, entsprechende Resolutionen der Generalversammlung mithilfe eines «Kompromissvorschlags» zu verhindern.

Nach diesem auch von der Schweiz unterstützten Vorschlag solle die Uno-Ge­neralversammlung lediglich beschliessen, den Beobachterstatus, den sie 1974 der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) zuerkannt hatte, aufzuwerten: zu einem «beobachtenden Nichtmitgliedstaat». Diesen Status besitzt auch der Vatikan, die Schweiz hatte diesen Status bis zu ihrem Uno-Beitritt im Jahr 2002 inne. PA-Präsident Abbas wird sich nach Aussagen palästinensischer Diplomaten jedoch «auf keinen Fall» auf einen «derart faulen Kompromiss einlassen».

Die GegnerInnen einer Anerkennung Palästinas und seiner Aufnahme in die Uno lehnen diese «einseitigen» Massnahmen ab und argumentieren, ein palästinensischer Staat könne nur als Ergebnis von Verhandlungen mit Israel entstehen.

Diese Argumente sind vollkommen unglaubwürdig. Verhandlungen laufen bereits seit 1988. Sie haben – trotz der sogenannten Oslo-Verträge von 1993 – überhaupt keine Fortschritte in Richtung eines palästinensischen Staates gebracht. Im Gegenteil: Mit der Fortsetzung der völkerrechtswidrigen Besatzung und dem Ausbau illegaler Siedlungen haben sämtliche israelische Regierungen der letzten 23 Jahre ständig Fakten geschaffen, die die Schaffung eines überlebensfähigen Staates Palästina auf einem zusammenhängenden Territorium zunehmend unrealistisch erscheinen lassen. Das Einknicken von US-Präsident Barack Obama vor der illegalen Siedlungspolitik der Regierung von Benjamin Netanjahu im letzten Jahr symbolisierte für alle Welt das endgültige Scheitern des Verhandlungsprozesses.

In dieser Situation bieten die Proklamation des Staates Palästina und seine Anerkennung durch eine grosse Mehrheit der Uno-Generalversammlung wahrscheinlich die letzte Chance für eine Realisierung der Zweistaatenlösung. Damit wäre auch der Fortbestand des Staates Israel mit mehrheitlich jüdischer Bevölkerung gesichert. Wenn die israelische Regierung die Staatsgründung Palästinas ablehnt oder gar aktiv torpediert, wird das nicht nur diejenigen Kräfte stärken, die einen sehr viel grösseren Staat Palästina innerhalb der Grenzen, die die Uno-Generalversammlung 1947 festgelegt hatte, fordern.

Darüber hinaus würde die israelische Regierung die Dynamik hin zu einer Ein­staatenlösung befördern. In diesem gemeinsamen Staat würde die jüdische Bevölkerung zu einer Minderheit werden. Schliesslich kann sich Israel keineswegs darauf verlassen, dass es wie in den letzten 62 Jahren auch künftig in allen militärischen Konflikten die Oberhand behält.

Im langfristigen Interesse Israels sollte die Regierung Netanjahu ihren Widerstand gegen einen Staat Palästina aufgeben. Und alle, die sich im Ausland als Freunde Israels verstehen, sollten der Regierung Netanjahu dringend zu dieser Einsicht raten, statt sie weiterhin in ihrer Verweigerungspolitik zu unterstützen.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 15. September 2011 (Kommentar)


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