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Schlag gegen den Frieden

Palästinensischer Präsident sabotiert Annahme des Goldstone-Berichts über Kriegsverbrechen während der Gaza-Aggression. Syrien sagt Abbas-Besuch ab

Von Karin Leukefeld *

Einen »tödlichen Schlag« für den Frieden hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vorausgesagt, sollte der kritische Goldstone-Bericht über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Gaza-Krieges 2008/2009 vom UN-Menschenrechtsrat angenommen werden. Fünf Monate lang hatte der südafrikanische Richter Richard Goldstone mit seinem Team mögliche Kriegsverbrechen untersucht und war zu dem Ergebnis gekommen, daß sowohl Israel als auch die palästinensische Hamas sich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hätten. Israel hatte sich von Anfang an geweigert, mit dem UN-Untersuchungsteam zu kooperieren und unmittelbar nach Veröffentlichung eine massive Kampagne gestartet, um den Bericht unglaubwürdig zu machen. Die Hamas hat bereits erklärt, die Vorwürfe gegen sie untersuchen zu wollen, während Israel sich hartnäckig weigert, eigene Verbrechen zu überprüfen. Mehr als 1400 Palästinenser, zwei Drittel davon Zivilisten, waren dem israelischen Überfall zum Opfer gefallen. Auf israelischer Seite starben zehn Soldaten und drei Zivilisten.

Nun hat die palästinensische Führung selbst dafür gesorgt, daß die Entscheidung über den Bericht, die eigentlich am letzten Freitag in Genf getroffen werden sollte, bis zum nächsten Frühjahr erst einmal auf Eis gelegt wird. Präsident Mahmud Abbas habe dem Druck aus Washington nachgegeben, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira unter Berufung auf »palästinensische Quellen«, US-Außenministerin Hillary Clinton habe Abbas demnach telefonisch aufgefordert, dafür zu sorgen, daß dem Bericht nicht zugestimmt werde. Andernfalls sei ein Neubeginn der Friedensgespräche ebenso gefährdet wie die Finanzhilfe für die Abbas-Administration. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) begründete die Entscheidung damit, daß man einen größeren Konsens für den Bericht erzielen wolle.

In Palästina schlagen die Wogen der Empörung über das Vorgehen der palästinensischen Führung von Abbas hoch. Khaled Meshaal, Führer der Hamas im syrischen Exil, zeigte sich »schockiert« darüber, die Entscheidung über den Bericht zu verschieben. Man habe erwartet, daß »die israelischen Verbrechen als kriminell und die Israelis als Kriegsverbrecher bezeichnet« würden, erklärte Sameh Habeeb vom Palästina Telegraph. Und nun »taucht eine palästinensische Stimme auf und bittet darum, eine Entscheidung über die Ergebnisse der Untersuchungskommission zu verschieben (...) eine Schande ist das.« Der Islamische Dschihad erklärte, die Verschiebung der Entscheidung über den Bericht schade den Interessen der Palästinenser und mache klar, »wie unfähig die palästinensische Behörde ist, ihre Verantwortung gegenüber den Leiden unseres Volkes wahrzunehmen«. Der ehemalige Informationsminister der kurzzeitigen palästinensischen Einheitsregierung (2006) Mustafa Bar­ghouti bezeichnete das Vorgehen als »völlig unakzeptabel und ungerechtfertigt«. Alle Menschenrechtsorganisationen lehnten die Verschiebung ab, ebenso die Mehrheit der politischen Organisationen in Palästina.

Ijad al-Sarraj, Leiter der Nationalen Palästinensischen Versöhnungskampagne, forderte, das Vorgehen von Mahmud Abbas müsse untersucht und Abbas aus dem Amt entfernt werden. Was in Genf geschehen sei, müsse »ungeachtet aller Rechtfertigungen als großes, unverzeihliches Verbrechen gegen die Palästinenser bezeichnet werden«, betonte Sarraj vor Journalisten. In verschiedenen europäischen Ländern forderten 35 palästinensische Organisationen ebenfalls den Rücktritt von Abbas und eine unabhängige Untersuchungskommission. Abbas habe mit seiner Haltung dafür gesorgt, daß die Verbrechen Israels während des Gaza-Krieges vertuscht werden könnten, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die unter anderem von palästinensischen Organisationen in Italien, Polen, Irland, Holland, Dänemark und Berlin unterzeichnet wurde.

Regionale Experten betonen gleichwohl, daß der enorme Druck der USA und Israels auf die Palästinenserführung deutlich gemacht habe, wie sehr der Goldstone-Bericht ins Schwarze getroffen und die israelische Führung verunsichert habe. Abbas' Position innerhalb der Palästinenser sei weiter geschwächt. Der Präsident habe zudem gegen eine interne Vereinbarung verstoßen, wonach er bei wichtigen Entscheidungen das ganze Zentralkomitee der Fatah einbeziehen müsse, was er in Sachen Goldstone-Bericht offensichtlich nicht getan hat. Die Rücktrittsforderungen an Abbas kommen nicht mehr nur von der Hamas, sondern wurden auch bei Protesten in Ramallah am Montag von palästinensischen Menschenrechtsorganisationen erhoben.

Die syrische Regierung hat derweil aus Protest gegen das Verhalten der palästinensischen Vertreter beim UN-Menschenrechtsrat einen lange geplanten Besuch von Mahmud Abbas in Damaskus abgesagt.

* Aus: junge Welt, 7. Oktober 2009


Keine Palästinenser-Versöhnung

Konferenz in Kairo geplatzt / Hamas wirft Abbas "Hochverrat" vor **

Die für Ende Oktober geplante Versöhnungskonferenz der tief zerstrittenen Palästinensergruppen ist geplatzt. Die im Gazastreifen herrschende Hamas-Organisation bat Ägypten am Mittwoch, eine für den 26. Oktober in Kairo vorgesehene Unterzeichnungszeremonie zu verschieben.

Auslöser für das Scheitern ist ein Streit über den sogenannten Goldstone- Bericht zum Gaza-Krieg vom Jahreswechsel. Die Hamas wirft Palästinenserpräsident Mahmud Abbas vor, er habe am Freitag persönlich einer Verschiebung der Abstimmung im UNOMenschenrechtsrat zugestimmt. Die Hamas bezichtigt Abbas in diesem Zusammenhang des »Hochverrats«.

Angesichts von Rücktrittsforderungen an Abbas aus allen politischen Lagern räumte der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat am Mittwoch (7. Okt.) erstmals einen Fehler ein. Dieser werde korrigiert, sobald Abbas an diesem Donnerstag (8. Okt.) von einer Auslandsreise wieder nach Ramallah zurückgekehrt sei.

In einer Art Schadensbegrenzung unterstützt die Palästinenserführung jetzt einen Antrag Libyens, den Bericht im UNO-Sicherheitsrat zu beraten. Der südafrikanische Anwalt Richard Goldstone hatte in seinem Report Israel und der Hamas Kriegsverbrechen vorgeworfen. Darüber hinaus schlug er eine unabhängige Untersuchung vor. Der Bericht hat in Israel für große Empörung gesorgt. Die israelische Armee wird unter anderem beschuldigt, während ihres 22 Tage langen Feldzuges absichtlich palästinensische Zivilisten angegriffen und damit Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Die Regierung in Jerusalem will eine Abstimmung aus zwei Gründen verhindern: Zum einen wäre damit der erste Schritte auf dem Weg zu möglichen Kriegsverbrechertribunalen gemacht. Zum anderen würde Israel nach den Worten von Regierungschef Benjamin Netanjahu keine Risiken mehr im Friedensprozess eingehen, wenn es nicht mehr auf sein Recht auf Selbstverteidigung zählen könne.

In den Palästinensergebieten reißen die Proteste aus allen politischen Lagern gegen die Entscheidung der Führung um Abbas nicht ab. Die Hamas verlangt nach den Worten ihres Sprechers Salah al- Bardawil, dass sich Abbas bei allen Palästinensern öffentlich entschuldigt. Bardawil bezeichnete die Zustimmung zu einer Abstimmungsverschiebung als »ein Verbrechen«, das zu einer »tiefen psychologischen Verletzung« der Palästinensern geführt habe.

Erst nach einer Entschuldigung von Abbas will die Hamas das Versöhnungsabkommen unterzeichnen. Ägyptens Außenminister Ahmed Abul Gheit und Abbas hatten sich diese Woche auf den 25. und 26. Oktober als Termin für die Unterzeichnung geeinigt.

** Aus: Neues Deutschland, 8. Oktober 2009


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