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"Nicht-kombattante Taliban"

Pakistan läßt Angehörige von Aufständischen frei, um Gespräche zu erleichtern

Von Knut Mellenthin *

Die Verhandlungen zwischen der pakistanischen Regierung und den einheimischen Taliban kommen nur mühsam voran. Der größte Verbund islamistischer Rebellengruppen, die TTP, hat am Freitag einen von ihr am 1. März verkündeten einmonatigen Waffenstillstand vorläufig bis zum 10. April verlängert. Eine »Schura«, eine Versammlung von Kommandeuren und örtlichen Autoritäten, soll in den nächsten Tagen beraten und beschließen, wie es danach weitergeht.

TTP-Sprecher Shahidullah Shahid hatte den Medien am Mittwoch mitgeteilt, daß sich mehrere Talibanführer gegen eine Verlängerung der Waffenruhe ausgesprochen hätten und noch keine Entscheidung gefallen sei. Die Regierung habe ihr Versprechen eines Gefangenenaustausches nicht eingehalten, sagte Shahid. Im Gegenteil seien während des Waffenstillstands weitere 120 Menschen aus den sogenannten Stammesgebieten festgenommen worden. Die TTP habe der Regierung eine Liste mit den Namen von »zivilen« Gefangenen – Angehörige angeblicher Taliban-Kämpfer, darunter viele Frauen und Kinder – übergeben und deren Freilassung gefordert. Darauf habe es bisher nicht einmal eine Antwort gegeben. Die Angaben über die Zahl der Personen auf dieser Liste schwanken zwischen 250, 300 bis 400 und 800. Die Regierung hatte den Vorwurf der TTP, daß sie Frauen und Kinder gesuchter Taliban-Kämpfer als Geiseln gefangenhalte, immer wieder kategorisch bestritten.

Am Donnerstag schien allerdings Bewegung in den festgefahrenen Streit zu kommen, als das Innenministerium die Absicht bekanntgab, 19 »nicht-kombattante Taliban« aus der Haft zu entlassen. Um was für Personen es sich dabei handeln soll, wurde allerdings zunächst nicht öffentlich konkretisiert, außer daß es Angehörige des einflußreichen Stammes der Mehsud seien. Für mehrstündige Verwirrung sorgte kurz darauf ein Dementi aus dem Büro von Premier Nawaz Sharif. Dort hieß es, daß lediglich einige »Kleinkriminelle« von den örtlichen Behörden im Nordwesten freigelassen worden seien und dies »fälschlich als Entlassung von Taliban-Gefangenen dargestellt« worden sei. Anscheinend lag dem Dementi aber nur mangelnder Informationseinfluß zwischen Innenministerium und Regierungschef zugrunde. Das Ministerium teilte wenig später mit, daß gegen die Freigelassenen ermittelt und daß ihre Unschuld festgestellt worden sei. Der Sachverhalt sei inzwischen dem Premier mitgeteilt worden, so daß alle Mißverständnisse ausgeräumt seien.

Der fundamentalistische Kleriker Maulana Yousuf Shah, der die TTP gegenüber der Regierung repräsentiert, ohne ihr selbst anzugehören, kritisierte jedoch am Sonnabend, daß es sich bei der Freilassung der Gefangenen um einen Schwindel handele und daß keiner von den Männern, die auf der Forderungsliste stünden, unter den Entlassenen sei. Die Regierung solle »aufhören, rhetorische Statements abzugeben« und statt dessen das Gefangenen-Thema offen mit der Verhandlungsgruppe der TTP erörtern. Kurz darauf gab Innenminister Chaudhry Nisar bekannt, daß die Regierung beschlossen habe, »als vertrauensbildende Maßnahme« weitere 13 Gefangene freizulassen. Einige von ihnen stünden auf der Liste der TTP.

Unklar ist vorläufig, welche Gegenleistung die Regierung von den Taliban erwartet. Diese halten selbst eine große Zahl von Menschen gefangen. Darunter sind Angehörige der Sicherheitskräfte und örtlicher Behörden, aber auch einige bekannte Personen, die entführt wurden. Nisar sagte in seiner Ankündigung außerdem, daß die Verhandlungen in dieser Woche fortgesetzt würden. Ein Taliban-Vertreter präzisierte am Sonnabend, daß die Wiederaufnahme der Gespräche in ein oder zwei Tagen geplant sei. Bisher wurde nur über gegenseitige »vertrauensbildende Maßnahmen«, aber noch nicht über substantielle Fragen gesprochen.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. April 2014


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