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Hinrichtungen und Kriegsgerichte

Pakistanische Oppositionsparteien stimmen verschärften Maßnahmen gegen aufständische Gruppen zu

Von Knut Mellenthin *

»Terroristen« sollen in Pakistan künftig von Militärgerichten abgeurteilt werden. Gemeint sind mit diesem Begriff alle bewaffneten Aufständischen, die in zahlreiche Gruppen mit teilweise sehr unterschiedlichen Zielen gespalten sind. Die von der Regierung und fast allen Oppositionsparteien gebilligte Maßnahme des Militärs ist Teil der Reaktionen auf den Überfall auf eine Schule in Peschawar, der Hauptstadt der nordwestlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa.

Angehörige einer Splittergruppe hatten dort am 16. Dezember 131 Schüler und zehn Lehrer erschossen. Das Massaker hat die Stimmung gegen die Aufständischen noch mehr verschärft. Regierung und Militärführung sind nach Kräften bemüht, die für sie günstige Lage auszunutzen, um den überwiegend paschtunischen Rebellen, die verallgemeinernd als »Taliban« bezeichnet werden, entscheidende Schläge zu versetzen. Schon am 17. Dezember hatte die Regierung ein sechs Jahre altes Moratorium beendet, durch das die Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt worden war.

Die Militärgerichte tagen ohne Öffentlichkeit, geben die Identität ihrer Zeugen nicht preis und sind auch nicht zur Präsentation ihrer Beweise verpflichtet. Die Oppositionsparteien taten sich zunächst anscheinend schwer, dieser Maßnahme zuzustimmen. Bis auf die bei Wahlen nahezu bedeutungslosen islamistischen Parteien ließen sie sich aber alle während der am Mittwoch abgehaltenen Konferenzen mit Vertretern von Regierung und Militär umstimmen.

»Beispiellose Umstände erforderlichen außergewöhnliche Reaktionen«, war schließlich die vorherrschende Meinung. Ihr schloss sich auch Imran Khan an, der Führer der nach Wählerstimmen stärksten Oppositionspartei PTI.

Armeechef Raheel Sharif hatte zuvor versichert, dass ausschließlich »rabenschwarze Terroristen« von Kriegsgerichten abgeurteilt werden sollen. Der Begriff ist in Pakistan üblich, ohne dass seine Definition eindeutig geklärt wäre. Der Armeechef scheint darunter alle Aufständischen zusammenzufassen, die Gewalttaten begangen haben.

Doch vielen Personen, die als angebliche Taliban-Anhänger inhaftiert sind, werden keine konkreten Gewalttaten vorgeworfen. Sogar Frauen und Kindern gesuchter Aufständischer befinden sich als Geiseln im Gefängnis, wie das Militär im Frühjahr während Waffenstillstandsverhandlungen mit der Hauptorganisation der pakistanischen Taliban zugab. Viele Oppositionspolitiker glauben, dass die Zustimmung zu den Kriegsgerichten ein geeigneter Weg sei, um die »außergesetzliche« Ermordung von Gefangenen durch Militärangehörige zu verhindern oder wenigstens einzuschränken.

Das jetzt aufgehobene Hinrichtungsmoratorium war im September 2008 vom damaligen Präsidenten Asif Ali Zardari angeordnet worden, nachdem das Militärregime von General Pervez Musharraf durch eine Zivilregierung abgelöst worden war. Das Moratorium untersagte lediglich den Vollzug der Todesstrafe, nicht aber die Verhängung von Todesurteilen. Das führte dazu, dass Pakistan die weltweit höchste Zahl von zum Tode verurteilten Häftlingen hat. 8.526 sollen es angeblich sein. Darunter ungefähr 800, die wegen Terrorismus verurteilt wurden. Die ersten sechs von ihnen wurden bereits durch Erhängen hingerichtet. 50 bis 200 Exekutionen sollen schon in nächster Zeit folgen. Entgegen westlichen Presseberichten ist unter den Todeskandidaten niemand, der in Zusammenhang mit dem Schulmassaker beschuldigt wird.

* Aus: junge Welt, 27. Dezember 2014


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