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Scharf, schneidend

Pakistans Militär beginnt Operation gegen Nordwasiristan »bis zur Vernichtung des letzten Terroristen«

Von Knut Mellenthin *

Die pakistanischen Streitkräfte haben am Sonntag ihre seit Monaten erwartete Großoffensive gegen die Region Nordwasiristan begonnen. Verteidigungsminister Khawaja Asif kündigte im TV an, daß die Operation »bis zur Vernichtung des letzten Terroristen« fortgesetzt werde.

Nordwasiristan ist eine von sieben Verwaltungseinheiten – die amtliche Bezeichnung lautet heute noch wie zur britischen Kolonialzeit »Agenturen« – der sogenannten Stammesgebiete, die im Nordwesten des Landes liegen und an Afghanistan grenzen. Nordwasiristan ist annähernd doppelt so groß wie das Saarland und hat ungefähr 400000 Einwohner. Sie gehören nahezu ausschließlich zur Volksgruppe der Paschtunen, aus denen sich die meisten pakistanischen Taliban rekrutieren.

Nordwasiristan ist der einzige Teil der Stammesgebiete, der bisher von größeren Militäroperationen verschont geblieben war. Die jetzt begonnene Offensive ist die erste umfangreiche Aktion der Streitkräfte seit 2009. Damals hatte die Armee mit starker Luftunterstützung den außerhalb der Stammesgebiete gelegenen Bezirk Swat in wochenlangen Kämpfen unter Kontrolle gebracht und mit brutalen Methoden, einschließlich des Einsatzes von Mordkommandos, von Aufständischen »gesäubert«. Diese Operationen dauerten nach offizieller Rechnung vom 16. Mai bis zum 15. Juli 2009.

Noch während der letzten Kampfphase in Swat begannen die Streitkräfte am 19. Juni 2009 eine Offensive in der Agentur Südwasiristan, die zunächst im wesentlichen aus heftigen und langwierigen Luftangriffen bestand. Am 17. Oktober folgten Bodenoperationen, die am 12. Dezember 2009 abgebrochen wurden. Angeblich war ein bedeutender Sieg über die Taliban errungen worden. Allerdings hatte die Operation nur einen Teil Südwasiristans umfaßt, und die Wetterverhältnisse hätten zu dieser Zeit eine Fortsetzung der Kämpfe nicht mehr zugelassen.

Im Anschluß daran wies die pakistanische Regierung gemeinsam mit der Militärführung die immer wieder vorgetragenen dringenden Forderungen der USA nach einer Großoffensive gegen Nordwasiristan zurück. Die Truppen seien erschöpft und bräuchten eine längere Erholungspause, hieß es. Außerdem müßten die erreichten Erfolge konsolidiert werden. Hinzu kam, daß Pakistan mit zeitweise etwa 2,5 Millionen Bürgerkriegsflüchtlingen und der katastrophalen Flutkatastrophe im Sommer 2010 fertigwerden mußte.

Die am Sonntag offiziell eingeleitete Operation trägt den Namen Zarb-i-Azb. Das bedeutet »Scharf und schneidend«, wobei sich der zweite Teil auch auf das Schwert des Propheten Mohammed bezieht, das er in zwei historisch wichtigen Schlachten getragen haben soll. Beteiligt sind ersten Angaben zufolge 25000 bis 30000 Angehörige der Sicherheitskräfte. In der ersten Phase besteht die Strategie der Militärführung, wie schon bei den früheren Großoffensiven, darin, die Bevölkerung möglichst vollständig aus dem Kampfgebiet zu vertreiben, um freie Bahn für eine rücksichtslose Kriegführung zu bekommen. Die Mechanismen sind mittlerweile gut erprobt. Die betroffenen Menschen kennen den Ablauf und wissen, daß sie jetzt sehr schnell fliehen müssen, wenn sie nicht riskieren wollen, am Ende nur noch die Kleidung auf dem Leib zu besitzen oder das Opfer von Artillerie- und Luftangriffen zu werden.

Nach pakistanischen Presseberichten hatten schon vor dem offiziellen Beginn der Operation Zarb-i-Azb ungefähr 60000 Menschen Nordwasiristan verlassen. Daß eine Großoffensive gegen die Region geplant war, sobald die Wetterverhältnisse es zulassen würden, wurde schon im Februar allgemein angenommen. Damals hatte die Regierung gerade »Friedensgespräche« mit den Taliban begonnen, die aber von keiner Seite ernsthaft geführt wurden. Die in Pakistan sehr einflußreiche Militärführung, die sich schon wiederholt an die Macht geputscht hat, hatte die Aufnahme der Verhandlungen offenbar nur in der sicheren Erwartung ihres Scheiterns toleriert.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 17. Juni 2014


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