Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zwischen Krieg und Frieden

Pakistans Regierung bietet Aufständischen Verhandlungen an. Gerüchte über Großoffensive

Von Knut Mellenthin *

Die pakistanische Regierung wird in diesen Tagen entscheiden, ob sie Friedensverhandlungen mit den einheimischen Taliban-Gruppen aufnimmt oder aber im Frühjahr eine neue Großoffensive der Sicherheitskräfte in den sogenannten Stammesgebieten des Nordwestens veranlaßt. Der seit Juni amtierende Premier Nawaz Scharif leitete am Freitag die konstituierende Sitzung eines vierköpfigen Ausschusses, der Gespräche mit den Aufständischen auf den Weg bringen soll. Scharif hatte die Bildung dieser ihm direkt unterstellten Gruppe am Mittwoch bekanntgegeben. In der gestrigen Sitzung wurden das Mandat und die Kompetenzen besprochen. Bisher hieß es dazu nur, daß der Ausschuß einen großen gestalterischen Spielraum haben soll. Mindestens zwei der vier Mitglieder hatten am Donnerstag öffentlich geäußert, daß sie von Scharifs Entscheidung überrascht worden seien und nicht wüßten, welche Aufgaben ihnen zugedacht seien.

Überrascht wurden offenbar auch die Parteien und die Öffentlichkeit. Doch Scharif hatte bereits als Spitzenkandidat der konservativen Muslimliga (PML-N) während des Wahlkampfs im Frühjahr 2013 angekündigt, daß er versuchen wolle, den jahrelangen Konflikt mit den Taliban-Gruppen auf politischem Wege zu lösen. Der Premier kann sich auch auf die einstimmig gefaßte Resolution einer Allparteienkonferenz berufen, die am 9. September 2013 stattfand. Damals war seine Regierung ausdrücklich bevollmächtigt worden, »alle ihr zweckmäßig erscheinenden Schritte« zu Verhandlungen zu unternehmen, »einschließlich der Entwicklung geeigneter Mechanismen und der Auswahl der Verhandlungspartner«.

Diese Bemühungen erlitten jedoch einen schweren Rückschlag, als am 1. November der Führer der größten pakistanischen Taliban-Koalition TTP, Hakimullah Mehsud, durch eine US-amerikanische Drohne gezielt getötet wurde. Einen Tag später hätte eine von der Regierung beauftragte Klerikergruppe zur Anbahnung von Verhandlungen in die Stammesgebiete reisen sollen. Die TTP ist kaum mehr als ein Dachverband zahlreicher lokaler Gruppen und entsprechend schwer auf eine gemeinsame Politik zu vereinheitlichen. Der Nachfolger des Getöteten, Mullah Fazlullah, erklärte, daß eine Aufnahme von Gesprächen nicht in Frage komme, solange die Regierung nicht einmal in der Lage sei, ein Ende der Drohnenangriffe durchzusetzen.

Mehrere schwere Anschläge der Taliban verstärkten die ohnehin vorhandene Tendenz der militärischen Führung zur direkten Konfrontation. Am 19. Januar wurden im Nordwesten 20 Soldaten durch eine Bombe in ihrem Fahrzeug getötet. Am 20. Januar gab es mindestens 13 Tote, als eine Bombe in der Nähe des Armeehauptquartiers in Rawalpindi explodierte. Ein Anschlag am 22. Januar in Khyber Pakhtunkhwa richtete sich gegen ein Polizeifahrzeug; mindestens sieben Menschen starben dabei. Die Polizei war im Einsatz, um ein Team zu schützen, das Impfungen gegen Kinderlähmung vornahm.

Das Militär reagierte mit schweren Luftangriffen gegen Nordwasiristan, eine Verwaltungseinheit in den Stammesgebieten, bei denen eine unbekannte, offenbar nicht kleine Zahl von Bewohnern getötet oder verletzt wurde. Ungefähr 70000 Menschen flüchteten trotz der Winterkälte aus ihren Häusern. Noch zwei Tage vor der Bekanntgabe von Scharifs Entscheidung, die Verhandlungsgruppe zu bilden, hatten pakistanische Medien detailliert – aber ohne nachprüfbare Quellen – behauptet, daß der Premier am 24. Januar während eines Geheimtreffens dem Militär grünes Licht für eine Großoffensive gegen die Stammesgebiete gegeben habe. Die könnte allerdings aus Witterungsgründen kaum vor April beginnen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 1. Februar 2014


Zurück zur Pakistan-Seite

Zur Pakistan-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage