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Kann Asif Zardari Pakistan retten?

Von Dietrich Reetz *

Nach einem langen krisengeschüttelten Jahr und angesichts der anhaltenden Krise in den Beziehungen mit seinen Nachbarn Afghanistan und Indien bemüht sich die pakistanische Regierung verstärkt um eine Beruhigung der Lage. Dies ist das erklärte Ziel des pragmatischen Konsolidierungs- und Reformkurses der neuen Koalitionsregierung unter der Führung der Pakistanischen Volkspartei (PPP – Pakistan People’s Party), die von Yusuf Raza Gilani geleitet wird. Doch der starke Mann ist Asif Ali Zardari, Witwer Benazir Bhuttos. Er wurde am 6. September 2008 zum neuen Präsidenten gewählt und löste damit den langjährigen Militärmachthaber General Musharraf ab. Der wiederum hatte 1999 in einem Putsch den damaligen Ministerpräsidenten Nawaz Sharif von der Pakistanischen Muslim-Liga abgelöst.

Asif Ali Zardari trat ein schweres Erbe an, nachdem seine Frau Benazir Bhutto am 27. Dezember 2007 einem Terroranschlag zum Opfer fiel. Bereits nach ihrer Rückkehr aus dem selbstgewählten Exil am 18. Oktober 2007 war Frau Bhutto in Karachi knapp einem Attentat entgangen, dem mehr als 140 Menschen zum Opfer fielen. Zardari hat inzwischen viele seiner Kritiker überrascht, die ihm nicht zutrauten, dass er dieses Amt professionell ausüben kann. Als Ehemann von Benazir Bhutto war er über Korruptionsvorwürfe gestürzt und hatte lange Zeit im Gefängnis verbracht. Diese Verfolgung war jedoch auch erheblich politisch motiviert. In den neunziger Jahren versuchten die eher liberale Benazir Bhutto und der konservative Nawaz Sharif, sich die Kontrolle über die pakistanische Politik streitig zu machen, wobei das Militär immer wieder intervenierte und die Amtszeit der Regierungen vorfristig beendete.

Diesmal war die PPP aus den Wahlen zur Nationalversammlung am 18. Februar 2008 mit 123 Abgeordneten von 342 als stärkste Partei hervorgegangen. Entgegen den Voraussagen vieler Beobachter gelangte der von Nawaz Sharif geleitete Flügel der Muslimliga (PML-N) auf den zweiten Platz mit 91 Abgeordneten. Den dritten Platz belegte der bis dahin regierende pro-Establishment-Flügel der Muslimliga, PML-(Q) [1] mit 54 Mandaten. Als wichtige Partner bei den Koalitionsverhandlungen profilierten sich die Regionalparteien der MQM [2] aus Sindh mit 25 und die ANP [3] aus der Nordwestgrenzprovinz mit 13 Abgeordneten. Die noch im letzten Parlament starke islamische Parteienallianz MMA [4] gelangte nur noch durch die Partei der islamischen Religionsgelehrten JUI-F mit sechs Abgeordneten ins Parlament, da die anderen vier Mitgliedsparteien der Allianz diesmal nicht an den Wahlen teilnahmen. Die von den Erzrivalen Zardari und Sharif angestrebte Regierung der nationalen Einheit scheiterte jedoch an den rivalisierenden Führungsansprüchen.

Die Richterfrage

Nawaz Sharif setzte auf eine Machtprobe in der sogenannten Richterfrage. Der frühere Machthaber Musharraf hatte 2007 mehrere Richter des Obersten Gerichts einschließlich des Obersten Richters für abgesetzt erklärt, weil sie seine Politik hinterfragten. Der Eingriff begann mit der eigenmächtigen Absetzung des Obersten Richters Chaudhry Iftikhar am 9. März 2007. Die vom Anwaltsbund und der Öffentlichkeit unterstützte Kampagne zu deren Wiedereinsetzung zwang Musharraf zuletzt, am 3. November 2007 den Ausnahmezustand zu verhängen. Obwohl Sharif und Zardari vereinbart hatten, die Richter wieder in ihr Amt einzusetzen, zögerte die PPP, diese Vereinbarung umzusetzen. Dabei standen vor allem auch rechtliche Bedenken im Wege. Die Rückkehr von Benazir Bhutto und Nawaz Sharif nach Pakistan und ihre ungehinderte Teilnahme an den Parlamentswahlen war nur durch einen Kompromiss mit Musharraf möglich geworden. Dieser hatte in einer Sonderverordnung vom 5. Oktober 2007 (National Reconciliation Ordinance) sämtliche, zum Teil politisch motivierte Gerichtsverfahren gegen beide Politiker einstellen lassen, wobei er gleichzeitig sein Verbleiben an der politischen Macht durch die nächsten Wahlen ebnen wollte. Diese Verordnung wie auch die Ernennung neuer Richter waren Teil der Provisorischen Verfassungsordnung vom November 2007, die Musharraf mit dem zeitweiligen Ausnahmezustand durchsetzte. Eine Rückkehr der alten Richter hätte jetzt auch die Rechtsgrundlagen dieser Amnestieverordnung in Frage gestellt.

In diesem Machtkampf überschätzte Nawaz Sharif jedoch die Bedeutung der Richterfrage und der von den Anwälten betriebenen öffentlichen Solidaritätsbewegung. Die Menschen auf der Straße waren mehr an einer Stabilisierung der politischen und ökonomischen Verhältnisse interessiert. Zudem fand Zardari nach dem Rückzug von Nawaz Sharif aus der Regierung genügend Verbündete bei anderen Parteien, um seine Koalition fortzusetzen.

Der Beleg für Zardaris geschicktes Taktieren war die Präsidentenwahl, die in Pakistan durch ein Wahlkollegium vorgenommen wird, das aus den beiden Kammern des Parlaments und den Provinzparlamenten besteht. Zardari erklärte seine Kandidatur erst zu einem relativ späten Zeitpunkt und überraschte damit auch andere Politiker in seiner eigenen Partei. Das Ausmaß der Unterstützung für ihn mit über 70 Prozent der Stimmen ging weit über den Anteil der PPP hinaus. Auch erhebliche Teile der Opposition mussten für ihn gestimmt haben. Doch die Stabilisierung der Verhältnisse in Pakistan erweist sich als Sisyphus-Arbeit: Kaum ist ein Problem angepackt, kulminiert ein anderes.

Kann der ISI kontrolliert werden?

Ernste Herausforderungen stellen sich in der Sicherheitspolitik. Das Land wird weiter von ethnischen, religiösen und regionalen Spannungen zerrissen. An den Grenzen zu Afghanistan wird nach wie vor gekämpft, der Konflikt um die Kontrolle des mit Indien gemeinsam verwalteten Kaschmir setzt sich fort. Um seine Macht zu stabilisieren, versuchte Zardari, den berüchtigten pakistanischen Geheimdienst ISI (Inter-Services Intelligence) unter Kontrolle zu bekommen. Dabei stellte sich die neue Regierungsmannschaft allerdings nicht besonders geschickt an. Offenbar ohne ausreichende vorherige Absprache verkündete sie die künftige Unterstellung des Dienstes unter den Ministerpräsidenten, eine Anordnung, die wenig später wieder zurückgenommen werden musste.[5] Inzwischen setzt Zardari auf ein besser koordiniertes Vorgehen durch Dreier-Gespräche mit dem Armeechef Ashfaq Parvez Kayani und dem Regierungschef Gilani. Dabei kommt ihm zugute, dass Kayani selbst eine Entpolitisierung der Armee wünscht, um sie zu modernisieren und wieder auf ihre militärischen Aufgaben zurückzuführen.[6] Nach besserer Abstimmung gelang es dann auch schließlich, Ende November 2008 offiziell die politische Abteilung des ISI außer Dienst zu stellen, die in der Vergangenheit ungeniert die Parteipolitik zugunsten der konservativen militärischen und bürokratischen Elite manipulierte. Doch scheint der Arm des pakistanischen Präsidenten gegenüber dem ISI unverändert kurz zu sein. Das bestätigte die Reaktion auf die Terroranschläge in Mumbai am 26.-28. November. Nachdem Zardari ankündigte, den ISI-Chef nach Indien zu entsenden, wurde dies kleinlaut durch die Abordnung eines Abteilungsleiters ersetzt.[7]

Zardari versucht auch im Sicherheitsbereich erstmals, alle politischen Kräfte einzubinden. Offenbar auf Drängen der USA berief die Regierung eine Sondersitzung des Parlaments ein, in der sie auf eine gemeinsame Linie in der Bekämpfung des Terrors drang. Pakistan will den Kampf gegen militante Islamisten zur eigenen Angelegenheit machen, nachdem bislang der Tenor – auch in Regierungskreisen – überwog, dass dies nur den Interessen der USA diene. Doch die sogenannte Talibanisierung des Nordwestens Pakistans wie auch die anhaltenden Gewaltakte zwischen sunnitischen und schiitischen Extremisten nähern sich immer mehr den wirtschaftlichen und politischen Zentren des Landes. Der Großanschlag auf das Mariott-Hotel in Islamabad am 20. September 2008 hatte offenbar der neuen Führung unter Zardari gegolten, die jedoch nicht anwesend war.[8]

Pakistans Wirtschaft kommt ebenfalls nicht dazu, sich zu erholen. Die Inflationsrate der Einzelhandelspreise liegt gegenwärtig bei 24,5 % gegenüber 7 % im Vorjahr. Die pakistanische Rupie hat gegenüber dem Dollar innerhalb von sechs Monaten um 32 % an Wert verloren.[9] Kaum begann sich das Wirtschaftsleben unter der neu gewählten Regierung leicht zu normalisieren, traf die internationale Finanzkrise das Land mit voller Wucht. Nun macht sich bemerkbar, dass das Land mehr für innere Sicherheit und soziale Probleme ausgibt, als es erwirtschaften kann. Ein neuer Überbrückungskredit des Internationalen Währungsfonds über 7,6 Milliarden US-Dollar mit harten fiskalischen Bedingungen ließ sich nicht mehr abwenden.[10] Auch hier taktierte Zardari geschickt. Absehbaren Widerstand der rechten und linken Opposition neutralisierte er, indem er versuchte, zunächst die „Freunde Pakistans“ einzubinden, ein kürzlich gegründetes internationales Staatenforum aus G8-Mitgliedsländern, Golf-Staaten und internationalen Organisationen. Nachdem jedoch auch Länder wie China Strukturanpassungsmaßnahmen verlangten, bevor sie bereit waren, Geld zu zahlen, erwies sich der IMF-Kredit als unabdingbar. Dabei geht es auch um Garantien, die öffentlichen Ausgaben anzupassen und die Verwendung der Kreditmittel zu kontrollieren, damit sie nicht in privaten Taschen landen.

In der Sozialpolitik stehen Armutsbekämpfung und die Modifizierung der islamischen Gesetze auf der Tagesordnung liberaler Kräfte, denen die Regierung wegen des labilen Kräfteverhältnisses jedoch nur bedingt nachkommen kann. So hat der Rat für Islamische Ideologie, der laut Verfassung die Übereinstimmung der Gesetze mit dem Islam überprüfen soll, im November vorgeschlagen, die Rechte der Frauen im islamischen Scheidungsrecht zu stärken. Islamische Gruppen protestieren weiterhin massiv gegen das Gesetz zum Schutze der Frauen (Women Protection Bill) von 2006, das bestehende islamische Gesetze modifiziert, um Delikte gegen Frauen leichter zu ahnden. Die jetzige Regierung plant, die bestehenden Maßnahmen durch ein zusätzliches Gesetz zum Schutz vor sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz auszuweiten.[11]

So hat Zardari zwar insgesamt bisher keine entscheidenden Fehler gemacht. Ein Durchbruch bei der Lösung der Probleme ist ihm jedoch nicht gelungen und ist vorerst auch nicht in Sicht.

Fußnoten
  1. PML-Q – Pakistan Muslim League Qaid-e-Azam („Großer Anführer“ – populäre Bezeichnung für den Staatsgründer Jinnah)
  2. MQM – Muttahida Qaumi Movement – Vereinigte Volksbewegung, hauptsächlich in der Provinz Sindh unter urdusprachigen Umsiedlern aus Indien vertreten.
  3. ANP – Awami National Party – Volksnationale Partei, hauptsächlich im Nordwesten unter Paschtunen vertreten.
  4. Muttahida Majlis-e Amal – Vereinigte Aktionsfront
  5. “Govt forced to withdraw ISI decision”. Dawn 28. Juli 2008.
  6. Vgl. Salman Masood, “New Pakistan army chief reverses Musharraf policy”. International Herald Tribune, 13. Februar 2008.
  7. “ISI representative to visit India instead of Pasha”. http://www.dawn.com/2008/11/29/rss.htm, 2.12.2008.
  8. Dawn, 1. Oktober 2008.
  9. The News, 12. Oktober 2008.
  10. The News, 25. November 2008.
  11. The News, 9. November 2008.
* Dietrich Reetz, Politikwissenschaftler am ZMO Berlin.


Dieser Beitrag erschien in: INAMO (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Heft Nr. 56/Winter 2008, Jahrgang 14, S. 14-15

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