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Zeit für eine Wende?

Hintergrund. Die pakistanische Bevölkerung leidet unter sozialen und politischen Mißständen. Ob durch den Exsportler Imran Khan oder den Sufi Tahirul Qadri eine wirkungsvolle Opposition entstehen kann, ist fraglich

Von Knut Mellenthin *

Irgendwann im Frühjahr, voraussichtlich im Mai, kann Pakistans Bevölkerung ein neues Parlament wählen. Es wird, wenn nichts mehr schiefgeht, das erste in der Geschichte des 1947 gegründeten Staates sein, das seine volle fünfjährige Amtszeit hinter sich gebracht hat. Das allein gilt als Anzeichen von Stabilität in einem Land, in dem mehrfach das Militär für etliche Jahre die Herrschaft übernahm. In der Regel hatte es dabei den Segen der USA oder bekam ihn nachträglich. So General Zia-ul-Haq, der sich 1977 an die Macht putschte und für den US-Präsidenten James Carter unentbehrlich wurde, als dieser 1980 mit der Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin begann. So auch Pervez Musharraf in der Zeit, als George W. Bush nach dem 11. September 2001 den »Krieg gegen den Terror« begann. Der General stürzte 1999 die rechtmäßig gewählte Regierung und wurde nach kurzer Verstimmung von den USA in Gnaden wieder aufgenommen.

Das jetzt amtierende Parlament ist das erste, das nach Musharrafs Putsch unter halbwegs demokratischen Bedingungen gewählt werden konnte. Im politisch entscheidenden Unterhaus, der Nationalversammlung, kann sich die von der Pakistan Peoples Party (PPP, Volkspartei) geführte Regierungskoalition auf eine breite und sichere Mehrheit der insgesamt 340 Abgeordneten stützen.

Das wird vermutlich nach der anstehenden Wahl nicht mehr der Fall sein. Ob es dann wieder einmal, wie schon mehrmals in der Geschichte Pakistans, zu einer von der stärksten Oppositionspartei, der Pakistan Muslim League Nawaz Sharif (PML-N) geführten Regierung kommt oder ob die PPP in einer neuen Konstellation weiterregieren kann, ist freilich ungewiß. Letztlich kommt es darauf aber nicht an, weil die Unterschiede zwischen den Parteien nur geringfügig sind. Die Mehrheit der Bevölkerung traut keiner der beiden zu, eine grundlegende Wende, die Pakistan dringend bräuchte, auf den Weg zu bringen.

Hoffnungen auf Wandel können gegenwärtig allenfalls Persönlichkeiten außerhalb der seit Jahrzehnten erstarrten Parteienlandschaft mobilisieren. So wie der politisch praktisch unbekannte Sufiprediger Tahirul Qadri, der Mitte dieses Monats mehrere zehntausend Menschen dazu brachte, bei Regen und Kälte vier Tage lang im Zentrum der Hauptstadt Islamabad zu kampieren. Oder so wie der ehemalige Kapitän der pakistanischen Kricketnationalmannschaft, Imran Khan, der den gewagten Spagat versucht, Forderungen nach Toleranz und Gleichberechtigung mit dem Ruf nach einer »nationalen Aussöhnung« zu verbinden, die auch die militanten Islamisten einschließen soll.

Die Parteienlandschaft

Die Volkspartei ging aus der letzten Wahl am 18. Februar 2008 mit 30,6 Prozent der Stimmen als stärkste Partei hervor und hält in der Nationalversammlung 124 Mandate. Sie trat vor Jahrzehnten mit einem im Wortsinne sozialdemokratischen Reformprogramm an, von dem nicht einmal mehr die leere Hülle übriggeblieben ist. Die fünf Jahre der von ihr geführten Koalition übertrafen sogar noch alles, was Pakistan bis dahin an Korruption und Amtsmißbrauch gekannt hatte. Der Mißmut richtete sich von Anfang an vor allem gegen Präsident Asif Ali Zardari, den Witwer der im Dezember 2007 bei einem Anschlag ermordeten zweimaligen PPP-Ministerpräsidentin Benazir Bhutto.

Abgesehen von ein paar unbedeutenden Kleinparteien sind die wichtigsten Koalitionspartner der PPP die Pakistan Muslim League Quaid-e-Azam (PML-Q, 54 Sitze), die Muttahida Qaumi Movement (MQM, 25 Sitze) und die Awami National Party (ANP, 13 Sitze).

Die PML-Q ist eine Abspaltung von der Muslimliga, die sich seither zur Unterscheidung PML-N nennt und derzeit als zweitstärkste Kraft des Landes mit 91 Abgeordneten die parlamentarische Opposition darstellt. General Musharraf hatte in der Zeit seiner Militärherrschaft die Spaltung der Muslimliga gefördert, um sich eine loyale politische Machtbasis zu verschaffen. Dennoch wäre es verkürzt, in der heutigen ­PML-Q lediglich eine Ansammlung von Anhängern des früheren Diktators zu sehen, der sich seit seiner erzwungenen Abdankung im August 2008 im Exil aufhält.

Die MQM ist traditionell vor allem die Partei der sogenannten Muhajirs, die bis 1997 auch im Parteinamen standen, bis sie durch das unverfängliche »Muttahida« (Vereinigt) ersetzt wurden. Als Muhajirs werden die Muslime bezeichnet, die nach der Spaltung der britischen Indien-Kolonie Ende der 1940er Jahre vor den bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen aus dem neuen indischen Staat flüchteten. Der Begriff wird auch auf ihre Nachkommen angewendet. Schwerpunkt der Partei ist die Provinz Sindh und deren Hauptstadt Karatschi. Die MQM ist, zumindest in ihrem offiziellen Profil, eine Partei, die Liberalität, Toleranz und eine kämpferische Distanz zum extremen Islamismus repräsentiert. Kundgebungen der MQM waren wiederholt Ziel von Bombenanschlägen der pakistanischen Taliban mit vielen Toten.

Das Gleiche gilt für die Awami-Nationalpartei (ANP), die in Fragen der Religiosität ähnliche Grundsätze propagiert wie die MQM. Zusätzlich hat sie sich Feinde durch ihr offensives Eintreten für die NATO-Intervention in Afghanistan gemacht. Die ANP gilt in erster Linie als Partei des paschtunischen Bevölkerungsteils, dem allerdings auch die meisten militanten Islamisten angehören. Im Parlament der von Paschtunen bewohnten nordwestlichen Grenzprovinz Khyber ­Pakhtunkhwa (früher Nordwest-Grenzprovinz) ist die ANP seit 2008 stärkste Partei mit 48 Abgeordneten vor der Volkspartei mit 30 Mandaten. Die islamistische, gesellschaftspolitisch rechtsextreme Jamiat Ulema-e-Islam (JUI) hat dort 14 Vertreter, die PML-N nur neun.

In der Nationalversammlung hat die JUI als einzige relevante Parlamentspartei dieser Richtung sieben Mandate. Anfangs unterstützte sie die Regierungskoalition, steht jetzt aber zu dieser in Opposition.

Die mit weitem Abstand stärkste Opposi­tionspartei ist die PML-N. Ihr Schwerpunkt ist die Provinz Punjab, wo sie die Regierung stellt. Traditionell gilt die Partei als eher rechts-, die PPP hingegen als eher linksgerichtet, doch haben sich die tatsächlichen Unterschiede zwischen ihnen im Laufe der Jahrzehnte abgeschliffen. In der Oppositionsrolle tendiert die PML-N dazu, gelegentlich kämpferische Töne gegen die USA anzuschlagen und der Regierung übermäßige Nachgiebigkeit gegenüber den Drohnenangriffen vorzuwerfen.

Viel mehr als folgenlose Theatralik ist das jedoch nicht. Keine der etablierten pakistanischen Parlamentsparteien nimmt das Drohnenthema auch nur halbwegs ernst. Es hat sogar zweimal einstimmige Beschlüsse von Unterhaus und Senat gegeben, in denen die Regierung unmißverständlich zur militärischen Abwehr, sprich: zum Abschuß, ausländischer Flugkörper aufgefordert wurde. Aber keine einzige Partei hat später nach der Umsetzung dieser Resolutionen gefragt. Die JUI, die als vorgeblich radikalislamistische Partei gewissen Verpflichtungen nachkommen muß, hat sogar mehrmals aktiven Widerstand angedroht oder versprochen, falls die Regierung nicht entweder den Stopp der Drohnenflüge erreicht oder den NATO-Nachschub nach Afghanistan endgültig einstellt. Keine derartige Ankündigung wurde auch nur versuchsweise eingelöst.

Von den USA abhängig

Letztlich agieren alle etablierten Parlamentsparteien in enger Abhängigkeit von der US-Administration und stehen, wie die von Wikileaks veröffentlichten Berichte zeigen, in ständigem Kontakt mit der amerikanischen Botschaft in Islamabad. Das gilt nachweislich sogar für den JUI-Führer Maulana Fazal-ur-Rehman. Ganz ähnlich steht auch in der Innenpolitik nicht eine einzige dieser Parteien für die dringend erforderlichen Veränderungen. Weder was den Kampf gegen eines der Grundübel Pakistans, Korruption und Amtsmißbrauch, angeht noch den gegen die religiöse Intoleranz rabiater Minderheiten, die häufig den Charakter von Lynchjustiz annimmt, ohne daß die Schuldigen jemals vor Gericht gebracht werden.

Brauchbare und seriöse Meinungsumfragen zum Wahlverhalten in Pakistan sind anscheinend selten. Mit Vorbehalt sei hier eine Untersuchung zusammengefaßt, die das Institut Gallup Pakistan im August vorigen Jahres veröffentlichte. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß die Regierungsparteien heute noch etwas schlechter und die Opposition vielleicht etwas besser abschneiden würden als damals.

Gallup zufolge wäre die PPP, wenn im August 2012 gewählt worden wäre, von knapp 31 Prozent auf 21 gefallen. Damit läge sie nur noch an zweiter Stelle hinter der PML-N, die sich von knapp 20 auf 33 Prozent steigern könnte. Auf dem dritten Platz würde dieser Umfrage zufolge Imran Khans PTI mit 17 Prozent landen. Der Kricketstar hat seine Partei Tehreek-e-Insaf (Bewegung für Gerechtigkeit) zwar schon 1996 gegründet, doch war ihr bisher kein Erfolg beschieden. 2002 reichte das Wahlergebnis gerade einmal für ein Mandat, das Khan selbst gewann. Die Wahl 2008 wurde von der PTI boykottiert. Die Partei hat erst in den letzten zwei Jahren stark an öffentlicher Mobilisierungskraft gewonnen und in Großstädten wie Karatschi und Lahore Kundgebungen mit 100000 bis 200000 Teilnehmern veranstaltet. Anfang Oktober vorigen Jahres organisierte Khan unter dem Titel »Friedensmarsch« einen Autokonvoi über 400 Kilometer, der in Islamabad begann und an der Verwaltungsgrenze zu Südwasiristan endete. Die Aktion, an der sich schließlich über 10000 Menschen beteiligten, richtete sich gegen die US-amerikanischen Drohnenangriffe.

Zusammengerechnet wären das laut Gallup 50 Prozent der Stimmen für die Oppositionsparteien PML-N und PTI. Bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen der vier Provinzparlamente käme dieser Umfrage zufolge in Khyber Pakhtunkhwa die PML-N auf 42 Prozent und die PTI auf 25 Prozent, während sich der Stimmenanteil der bisher dort vorherrschenden Awami-Nationalpartei auf die Hälfte reduzieren würde. Der Volkspartei, die dort vor fünf Jahren bescheidene 18 Prozent erreichte, droht jetzt ein Absturz auf sechs Prozent. In der bevölkerungsreichsten, wirtschaftlich bedeutendsten Provinz Punjab könnte sich die PML-N von 29 auf 44 Prozent verbessern, während die PTI mit 21 Prozent deutlich vor der zwölf Prozent erreichenden PPP läge.

Vom Kricket- zum Politstar

Ob die PTI in der Realität auch nur entfernt so gut abschneidet, wie es in dieser Untersuchung erscheint, bleibt abzuwarten. Bisher ist sie kaum mehr als eine Protestpartei, die auf eine einzige Person fixiert ist und die, trotz stattlicher Mitgliederzahlen und anhaltendem landesweiten Zuwachs, noch nicht wirklich über Organisationsstrukturen verfügt. In keinem einzigen Fall, nicht einmal auf kleinstädtischer Ebene, hat die PTI Erfahrungen im Parlamentsbetrieb gesammelt und sich in der politischen Praxis bewähren müssen.

Die PTI profiliert sich über ein sozialliberales Programm, das auf einem modernen und reformfreudigen Verständnis des Islam gründen soll. Dazu gehört die tatsächliche Gleichberechtigung der Frauen, Realisierung der allgemeinen Schulbildung, religiöse Toleranz und Stärkung der Rechte von Minderheiten sowie eine unabhängige Außenpolitik. Khan fordert den Austritt Pakistans aus dem US-geführten »Krieg gegen den Terror« und hat angekündigt, den Abschuß von Drohnen anzuordnen, falls die PTI die Wahlen gewinnen würde. Das Risiko, dieses gewagte Versprechen wirklich einlösen zu müssen, schätzt der 60jährige Exsportler offenbar ganz richtig als äußerst gering ein. Plausibel und ehrenwert, aber nicht unbedingt realitätstüchtig und verläßlich ist auch Khans Forderung, vollständig auf ausländische Finanzhilfe zu verzichten, da diese Pakistan abhängig mache und die nötigen Reformen, einschließlich der Bekämpfung der Korruption, blockiere.

Zum Persönlichkeitsbild des politischen Aufsteigers – dessen Familienhintergrund übrigens paschtunisch ist, auch wenn er in Lahore geboren wurde – gehört, daß er sich seinerzeit positiv zum Putsch von General Musharraf äußerte. Diese Haltung ist in Pakistan nicht ungewöhnlich, da viele Menschen mehr auf das Militär als auf die etablierten Parteien vertrauen, wenn es um die Beseitigung von Amtsmißbrauch und Mißwirtschaft geht. Vom Erscheinungsbild her wirkt Khan wie ein ehrlicher, nicht übermäßig ambitionierter Mensch, der im wesentlichen glaubt, was er sagt, der auf theatralische Sprüche und Gesten verzichtet, und dem sein beträchtliches Privatvermögen erlaubt, unbestechlich und unabhängig zu sein. Ob er allerdings mehr kann als Volkstribun, ist vorläufig ungewiß.

Qadri: Mit dem Militär im Bunde?

Die Unterschiede zum zweiten Quereinsteiger, der jenseits der erstarrten Parteienlandschaft Massenprotest zu artikulieren und zu mobilisieren versteht, dem Sufiprediger Tahirul Qadri, sind deutlich. Der 61jährige lebte seit 2005 in Kanada und kehrte erst im Dezember vergangenen Jahres nach Pakistan zurück, um seinen »Langen Marsch« nach Islamabad zu organisieren. Die 1990 von ihm gegründete Partei Awani Tehreek ist nicht nur politisch bedeutungslos, auch wenn es einmal zur Wahl Qadris in die Nationalversammlung reichte, sondern sie ist, anders als die PTI, gar nicht richtig präsent. Nach dem Ende der von ihm organisierten tagelangen Proteste in Islamabad hat Qadri bereits angekündigt, daß er persönlich nicht zur anstehenden Wahl kandidieren werde. Weithin wird damit gerechnet, daß der Freizeitpolitiker nur ein kurzes Gastspiel gegeben hat und in Kürze nach Kanada zurückkehren wird.

Qadri ist nicht nur Prediger, sondern auch Religionsgelehrter der sufistischen Strömung des Islam, die Toleranz und Weltlichkeit betont. Darüber hinaus war er Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Lahore. 1981 gründete er eine weltweite sufistische Vereinigung, die heute nach eigenen Angaben in mehr als 90 Ländern der Welt vertreten ist. Im März 2010 fand Qadri internationale Aufmerksamkeit durch die Veröffentlichung einer 600 Seiten starken Fatwa, eines traditionellen islamischen Rechtsgutachtens, in der er den Terrorismus verurteilte. Der Vorgang wurde damals vom US-Außenministerium wohlwollend vermerkt und öffentlich gelobt. Pakistanischen Zeitungsberichten zufolge hält Qadri durchschnittlich rund 100 Vorträge pro Jahr, hauptsächlich in englischsprachigen Ländern wie Großbritannien, Australien, Kanada oder den USA. Allein schon dieser Hintergrund läßt es sehr unwahrscheinlich erscheinen, daß Qadri vorhaben könnte, sich in Pakistan als Politiker niederzulassen.

Damit steht allerdings die Frage, was der wirkliche Zweck seines Kurzauftritts als Volkstribun war. Politiker und Medien des pakistanischen Mainstreams verdächtigten ihn nahezu einstimmig, daß er mit der Militärführung im Bunde sei, die es wieder einmal nach Machtübernahme gelüste. Tatsächlich hätten seine verfassungsrechtlich begründeten Forderungen in der Praxis darauf hinauslaufen können, die fälligen Wahlen auf unabsehbar lange Zeit zu verschieben und Pakistan unterdessen ohne funktionsfähige Regierung zu lassen. Gegen Qadri wird zwangsläufig auch interpretiert, daß ausgerechnet Exdiktator Musharraf ihn öffentlich lobte und die von ihm organisierten Kundgebungen in der Hauptstadt als großen Erfolg bezeichnete. »Ich habe sie von Anfang an unterstützt«, erklärte der General, gegen den in Pakistan Haftbefehl besteht und der trotzdem abwechselnd in London oder Dubai von einem politischen Comeback träumt.

Auffallend ist, daß kaum jemand den eigentlich naheliegenden Verdacht äußerte, Qadri könnte auch im Auftrag der einen oder anderen westlichen Regierung unterwegs sein. Dabei bieten sich für westliche Strategen, die ständig neue Optionen zur Spaltung der islamischen Gemeinschaft suchen, Experimente mit dem Sufismus durchaus an. Von extrem intoleranten Islamisten provozierte Konflikte mit sufistisch geprägten Bevölkerungsgruppen hat es schon wiederholt gegeben, vor allem in Somalia, in Libyen und aktuell in Mali. Man könnte auch darauf verweisen, daß für Qadri die Dominanz der USA in Pakistan und die Drohnenangriffe bisher kein Thema waren, während sie im Diskurs des Landes immer einen zentralen Platz einnehmen.

Die von Qadri durch seinen »Langen Marsch« eingeleitete Konfrontation in Islamabad endete mit einem Kompromiß, der keine seiner Forderungen wirklich erfüllte und für ihn kaum mehr als gesichtswahrend war. Immerhin enthält sein Abkommen mit der Regierung aber eine Klausel, daß beide Seiten ihre gegeneinander in Gang gebrachten rechtlichen Schritte einstellen. Damit wurde auch die Untersuchung gestoppt, die die Regierung eingeleitet hatte, um die Geldquellen des Predigers feststellen zu lassen. Nach seiner Rückkehr aus Kanada Mitte Dezember hatte Qadri in ganz Pakistan massenhaft Plakate kleben lassen und viel Werbezeit im Fernsehen gekauft, um seinen Namen überhaupt erst einmal bekannt zu machen. Es ist unklar, ob er das alles ausschließlich aus seinem Privatvermögen bezahlt hat.

Knapp zwei Wochen nach dem Abbruch der Kundgebungen in Islamabad ist die Episode schon wieder fast vergessen. Es bleiben das wachsende Protestpotential und die zunehmende Verzweiflung und Wut in der Bevölkerung, die sich jenseits der etablierten politischen Parteien entwickeln. Qadri hatte mit Begriffen der ägyptischen Halbrevolution wie »Millionenmarsch« und »Tahrir-Platz« nur rhetorisch herumgespielt. Daß Pakistan aber eine soziale Revolution, und nicht etwa nur einen Regierungswechsel, nötig hat, wurde von dem Prediger ebenso ausgesprochen wie von Imran Khan. In Ermangelung »revolutionärer« oder auch nur reformistischer Parteien in Pakistan sind das zwangsläufig Stimmen, die Gewicht haben und die Entwicklung wenigstens ein kleines Stück vorantreiben können.

Aus: junge Welt, Dienstag, 29. Januar 2013


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