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Warten auf ein Wunder

Pakistans neue Regierung muß zahlreiche große ökonomische und sozial Probleme angehen. Und mehr als zwei Millionen "Steuerflüchtlinge" zur Zahlung animieren

Von Thomas Berger *

Pakistans Wahlsieger und designierter Premier Nawaz Sharif steht vor einer Mammutaufgabe. Nicht nur politisch geht es bei der südasiatischen Atommacht um einen Neuanfang. Vor allem muß sich der »Tiger«, wie Sharif gerade in den letzten Tagen immer wieder genannt wurde, den drängenden sozialökonomischen Problemen zuwenden. Gelingt es ihm nicht, wird die Desillusionierung seiner Millionen Anhänger kaum geringer ausfallen als die Enttäuschung vieler, über die abgewählte Pakistanische Volkspartei (PPP). Diese hatte es nicht vermocht, Energiekrise, Verschuldung, Inflation und Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.

Erst Mitte April hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) die aktuelle Wachstumsprognose für das Land heruntergeschraubt. Statt 4,2 Prozent Wirtschaftswachstum wird jetzt gerade noch ein Anstieg um 3,5 Prozent erwartet. Ähnlich sieht das die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), die für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein Plus von 3,6 Prozent vorhersagt. Zwar ist das eine Rate, von der krisengeplagte Euro-Länder derzeit nur träumen können. Doch in Südasien ticken die Uhren anders. Schon angesichts des noch immer beachtlichen Bevölkerungswachstums und der alljährlich neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen muß der BIP-Zuwachs hoch genug sein, um ausreichend neue Jobs zu schaffen. Arbeitsplätze sind jetzt schon rar. Trotz guter Ausbildung finden viele Pakistaner speziell zwischen 20 und 30 kaum ordentliche Stellen. Dafür werden Billigjobs angeboten, mit deren Entlohnung keine Familie zu ernähren ist. Ohnehin drückt das Überangebot an qualifizierten Arbeitskräften auf die Löhne. Während die Preise spürbar gestiegen sind, stagnieren die Einkommen bestenfalls. Unter dem Strich steht ein realer Kaufkraftverlust für weite Teile der Bevölkerung – was lebensbedrohlich ist für jene, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Aktuell wird die Inflation mit 8,2 Prozent beziffert. Mit dem neuen Haushaltsjahr, das im Juli beginnt, könnte sie den Prognosen zufolge auf 9,5 Prozent steigen.

Wenn am 30. Juni ein Schlußstrich unter das zu Ende gehenden Haushaltsjahr gezogen wird, wird noch einmal die vernichtende Bilanz der abgelösten PPP-Regierung deutlich. Das Vorhaben, die Neuverschuldung halbwegs im Zaum zu halten, haben der noch bis September amtierende Staatschef Asif Ali Zardari und seine Getreuen nicht ansatzweise erreicht. Von 4,7 Prozent des BIP war als Zielmarke die Rede. Laut jüngsten Bestandsaufnahmen könnte es beinahe das Doppelte werden (8,5 Prozent), in Zahlen fast zwei Billionen Rupien (umgerechnet 15 Milliarden Euro). Nicht nur der IWF als wichtigster internationaler Geldgeber des Landes drängt deshalb, das ausufernde Defizit zu verringern. Während die Kreditgeber in gewohnter Manier an den Ausgaben anzusetzen gedenken, gäbe es die Möglichkeit, die Einnahmen für die Staatskasse nachhaltig zu verbessern. Erst im vergangenen Oktober hatte eine Aufstellung der nationalen Statistikbehörde NADRA offengelegt, daß mindestens 2,38 Millionen reiche Pakistaner keine Steuern zahlen. Zwar hätten immerhin fast drei Millionen eine Steuernummer, doch nur ein Teil davon entrichteten im Vorjahr tatsächlich Einkommenssteuer. Der Rest genieße unbeschwert seinen Reichtum.

Die NADRA-Statistik stellte gerade der Steuerbehörde ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Zwar seien mindestens umgerechnet 193 Millionen US-Dollar in eine Reform des passiven Beamtenapparates geflossen, Folgen in Form verstärkter Zahlungen durch die Steuerpflichtigen habe dies aber nicht gehabt. Der bei der Wahl unterlegene Exkricketstar Imran Khan, der mit seiner Gerechtigkeitsbewegung (PTI) auf dem zweiten Platz knapp vor der abgestraften PPP landete, hatte im Wahlkampf vollmundig versprochen, gegen diese Steuerflucht vorzugehen. Vom neuen Premier Sharif ist solches nicht unbedingt zu erwarten: Selbst einer der reichsten Männer des Landes, dürften sich schon in seinem engeren Freundeskreis manche finden, die ebenfalls keine einzige Rupie an den Fiskus abführen.

Zumindest eine positive Wirtschaftsnachricht gab es im Frühjahr: Das Handelsbilanzdefizit konnte zwischen Juli 2012 und Februar 2013 um zehn Prozent reduziert werden. Noch immer aber überstieg der Wert der Einfuhren den der Exporte um 13,18 Milliarden Dollar. Nach dem Wahlsieg von Sharifs Pakistanischer Muslimliga-Nawaz (PML-N) eröffnen sich nun auch Perspektiven für die wirtschaftliche Kooperation mit dem Nachbarn und Erzrivalen Indien. Arvind ­Pradhan, Generaldirektor der indischen Handelskammer, und andere führende Persönlichkeiten des Landes gehen davon aus, daß die neue Regierung in Islamabad bald nach ihrem Antritt Indien auf die Liste der bevorzugten Handelspartner (MNF) setzen werde. Umgerechnet 50 Milliarden Dollar könnten indische Investoren ins Nachbarland lenken. Das bilaterale Handelsvolumen von 2,34 Milliarden Dollar könnte sich gar verzehnfachen. Für die erwartete Entspannung spricht unter anderem die Ankündigung von Nawaz Sharif, zu seiner Vereidigung als Premier auch seinen indischen Amtskollegen Manmohan Singh einzuladen.

Auch die Börse gibt sich erwartungsfroh. Nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse schoß der Spitzenindex erstmals in der Geschichte über die 20000-Punkte-Marke und landete am Montag bei 20232 Zählern.

Nicht nur dank internationaler Kredite überlebt Pakistans Wirtschaftsondern auch durch die Finanzspritzen der USA. Auf 1,8 Milliarden Dollar beläuft sich der sogenannte Coalition Support Fund (CSF), die Bezahlung für einen Schlüsselalliierten im »Kampf gegen den Terrorismus«. Pakistan ist wichtiges Transitland für die US-Truppen in Afghanistan.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. Mai 2013


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