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Pakistan straft Musharraf ab

Oppositionsführer Sharif fordert nach Sieg bei Parlamentswahl Rücktritt des Präsidenten

Von Hilmar König, Delhi *

Pakistans Wähler haben der Politik von Präsident Pervez Musharraf eine Absage erteilt. Bei der Parlamentswahl errangen die beiden großen Oppositionsparteien einen eindeutigen Sieg. Die regierende Pakistanische Muslimliga (Q), die Musharraf unterstützt, erlebte ein Debakel.

Obwohl das Endergebnis der Wahlen vom Montag zum Nationalparlament und zu den vier Provinzverwaltungen noch nicht vorlag, gab es am Trend nichts zu deuteln. Bei der Stimmenauszählung führte die Pakistanische Volkspartei (PPP) mit einem Anteil von 33 Prozent, gefolgt von der Pakistanischen Muslimliga (N) von 27 Prozent. An dritter Stelle lag weit abgeschlagen die Musharraf-Partei, die Pakistanische Muslimliga (Q). Alle ihre Spitzenvertreter, darunter Minister und der vorherige Chefminister der größten Provinz Punjab, mussten Niederlagen quittieren.

Nach dem Stand der Auszählung um 18 Uhr Ortszeit kamen die PPP auf 87, die PML (N) auf 66, die PML (Q) auf 38 und andere Parteien und Unabhängige zusammen auf 67 Parlamentssitze. Damit war die Auszählung jedoch noch nicht abgeschlossen. Insgesamt werden 272 Abgeordnete gewählt. 70 Sitze sind außerdem für Frauen und Minderheiten reserviert. Die Partei mit den meisten Parlamentsabgeordneten wird vom Staatspräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt.

Wenn sich der Trend bestätigt, was als sicher gilt, dann werden voraussichtlich PPP und PML (N) den Kern einer Koalitionsregierung bilden. Bei einer Zweidrittelmehrheit könnte das Nationalparlament gegen Präsident Musharraf einen »Misstrauensantrag« wegen dessen willkürlicher, verfassungswidriger Entscheidungen in den vergangenen zwölf Monaten stellen und seine Amtsenthebung verlangen. PML (N)-Sprecher Sadiq ul Faruk erklärte ganz im Sinne von Parteichef Nawaz Sharif: »Musharraf sollte gehen. Wir wollen Pakistan zurück auf das Gleis der Demokratie, der Verfassung und der gesetzlichen Ordnung bringen.« PPP-Vorsitzender Asif Ali Zaradari verkündete vorsichtiger: »Der Sieg ist unsere Bestimmung. Wir werden das System ändern.«

Die eigentliche Überraschung war nicht, dass die PML (Q) rund zwei Drittel ihrer Parlamentssitze verlor, sondern dass die »Bhutto-Sympathiewelle« doch nicht so stark wie erwartet war und die PML (N) der PPP relativ dicht auf den Fersen blieb. Die religiösen Parteien, die im vorigen Parlament mit knapp über 60 Abgeordneten saßen, büßten spürbar an Stimmen ein und werden in der Nordwest-Grenzprovinz nicht mehr die Regierung stellen. Dort verbuchte die säkular ausgerichtete Awami National Party Gewinne.

Die PML (Q), die fünf Jahre lang nahezu kritiklos den Kurs und die Winkelzüge von Musharraf unterstützte, gestand ihre Niederlage ein. Parteisprecher Tariq Asim sagte: »Das Volk hat sein Urteil gefällt. Wir respektieren das. Wir gratulieren der PML (N) und der PPP. Sie haben gut abgeschnitten.«

Im Fernsehen erklärte ein sich geläutert gebender Musharraf, er habe sein Wort gehalten. Die Wahlen seien frei, fair, transparent und friedlich abgelaufen. »Es sollte Aussöhnung geben und nichts sollte in irgendjemandes persönlichem Interesse getan werden. Ich glaube an eine Politik der Versöhnung und nicht der Konfrontation«, sagte er. Die Wahlbeteiligung lag zwischen 30 und 40 Prozent.

* Neues Deutschland, 20. Februar 2008

Pressestimmen

"Ohrfeige", ist der Kommentar von Von Olaf Standke im "Neuen Deutschland" vom 20. Februar überschrieben. Darin heißt es:
Das war ein schwarzer Tag für Pervez Musharraf. Dabei stand er gar nicht zur Wahl. Doch »seine« regierende Muslim-Liga erlebte ein Desaster. Da konnte beim pakistanischen Präsidenten nicht einmal Freude darüber aufkommen, dass die Islamisten im Parlament fast bis zur Unsichtbarkeit geschrumpft sind. Denn zählt man die Stimmen der beiden größten Oppositionsparteien zusammen, kommen sie auf etwa 60 Prozent. Diese Wahl war eindeutig ein Referendum über und gegen Musharraf. Die Wut auf den Ex-General, der sich vor acht Jahren an die Macht geputscht und zuletzt ein ziviles Mäntelchen umgehängt hat, ist groß. Nicht nur wegen seines autokratischen Führungsstils, der der Gewalt im Lande dann doch nicht Herr wird.
Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption -- es gibt viele Gründe für die Unbeliebtheit Musharrafs, der nun sogar um seinen Präsidentenstuhl bangen muss. Denn bildet sich eine Koalition mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, wäre ein Amtsenthebungsverfahren möglich. Doch das hängt davon ab, ob die politischen Erben Benazir Bhuttos und der aus dem Exil zurückgekehrte Ex-Premier Sharif nur an die eigenen Pfründe denken oder das Wohl aller Pakistani im Auge haben. Und wie sich die Armee verhalten wird. Demokratie, Chaos, Ausnahmezustand -- wohin der einzige muslimische Atomwaffenstaat mit seinen Terroristen-Enklaven treibt, berührt auch den Rest der Welt. Im Fall der Fälle existenziell.

Die türkische Zeitung Aksam kommentiert die Präsidentschaftswahl in Pakistan mit folgenden Worten:
"Diese Abstimmung war ein Referendum für oder gegen Pervez Muscharraf - jetzt steht er als Verlierer da. Und die Generäle, die bis zum Hals im Korruptionssumpf stecken, scheuen sich vor einem Volksaufstand. Deswegen unterstützen sie mit aller Kraft den Übergang zu einer Zivilverwaltung. Worauf das Ganze hinaus läuft, lässt sich allerdings noch nicht sagen".

Die norwegische Zeitung DAGSAVISEN gibt zu bedenken:
"Es ist zu begrüßen, dass die Bevölkerung so deutlich Nein zu Musharrafs undemokratischen Praktiken gesagt hat, aber es muss auch daran erinnert werden, dass statt seiner nicht unbedingt die großen Befreier gewählt worden sind", gibt "Der Bhutto-Witwer Zardari ist ein höchst umstrittener Politiker, der unter Korruptionsverdacht steht, und Sharif wurde sogar bereits wegen Korruption verurteilt. Es muss auch daran erinnert werden, dass es bei der Wahl nicht nur um eine Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur ging. Ein Grund für die Unzufriedenheit der Pakistaner mit Musharraf ist auch der Preisanstieg für Lebensmittel und Treibstoff. Pakistans neue Führung wird daher auch für Brot und Benzin sorgen müssen, nicht nur für einen neuen Regierungsstil."

Quelle: Presseschau des Deutschlandfunks




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