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Hoffen auf eine bessere Zukunft

Volkspartei (PPP) der ermordeten Benazir Bhutto liegt in Umfragen vorn

Von Hilmar König, Delhi *

Wenige Stunden vor den heutigen Parlaments- und Provinzwahlen in Pakistan sind bei einem Selbstmordattentat auf das Büro eines unabhängigen Kandidaten mindestens 37 Menschen getötet worden. Auch in anderen Landesteilen gab es Anschläge. 81 000 Soldaten halten sich bereit, um zusammen mit der Polizei während des Urnengangs für Sicherheit zu sorgen.

Pakistans Bevölkerung blickt auf zwölf Monate zurück, die an Turbulenz kaum zu überbieten sind. Im März 2007 entließ General Pervez Musharraf -- Staatspräsident und Armeechef in Personalunion -- Chefrichter Iftekhar Chaudhary. Damit provozierte er eine von Juristen initiierte, über Monate anhaltende Massenprotestbewegung, in deren Verlauf über 40 Menschen starben. Im Juli stürmten Soldaten die Rote Moschee in Islamabad, die von radikalen Koranschülern und militanten Taliban-Sympathisanten besetzt worden war. Über 100 Menschen kamen dabei ums Leben. Danach nahmen die Selbstmordanschläge überall im Land merklich zu. Hunderte Zivilisten fielen ihnen zum Opfer. Und in der Nordwest-Grenzprovinz eskalierten die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Stammesmilizen.

Am 18. Oktober kehrte Benazir Bhutto aus dem Exil zurück. Bei ihrem Empfang in den Straßen Karatschis wurden Sprengsätze in die Menge geworfen. Die Folge: 140 Tote und über 500 Verletzte. Am 3. November rief Musharraf, inzwischen mit einer Wahlfarce zum zweiten Mal zum Staatsoberhaupt gekürt, wegen der chaotischen Lage und um den revoltierenden höchsten Gerichtshof auszuschalten, den Ausnahmezustand aus. Tausende »Dissidenten« wurden unter dem Kriegsrecht festgenommen, Benazir Bhutto unter Hausarrest gestellt. Ende November kehrte Nawaz Sharif aus dem Exil zurück, darf aber nicht für die angekündigten Wahlen kandidieren. Am 29. November trat Musharraf den Armeevorsitz ab und ließ sich erstmals als Zivilpräsident vereidigen. Am 16. Dezember beendete er auf Druck der internationalen Öffentlichkeit und der Proteste im Land den Ausnahmezustand. Am 27. Dezember wurde Benazir Bhutto nach einem Massenmeeting in Rawalpindi ermordet. Mit ihr starben mindestens 20 Kundgebungsteilnehmer. Und das Morden ging 2008 weiter. Seit Jahresbeginn wurden bei Bombenanschlägen bereits über 400 Menschen getötet.

Vor diesem Hintergrund ist der Wunsch des Volkes nach Frieden, Sicherheit und Stabilität nur allzu verständlich. Präsident Musharraf hat versichert, die Wahlen würden »frei, fair, transparent -- und friedlich« ablaufen. Doch Asma Jehangir, die Vorsitzende der Menschenrechtskommission, befürchtet: »Wir werden auch diesmal alle in den Jahren zuvor angewandten Betrugsmethoden erleben.« Dazu zählten falsche Identitätskarten, nicht korrekte Wählerlisten, massenweise nicht nachprüfbare »Briefwahl«, plötzlich umgezogene Wahlbüros und Waffen tragende Parteiaktivisten, die die Wähler entweder zum Votum zwingen oder vom Gang zur Wahlurne abhalten.

Pervez Musharraf hat sich kürzlich auf seiner Europareise als Garant für Ordnung und Demokratie in Pakistan zu präsentieren versucht. Er sei für Demokratie, aber diese müsse auf die pakistanischen Verhältnisse zugeschnitten sein, wiederholte er ständig. Was meint er? Pakistanische Verhältnisse -- das ist über die Hälfte der 60 Jahre Unabhängigkeit direkte Militärherrschaft. Will er die fortsetzen? Sein Nachfolger als Armeechef, General Ashfaq Parvez Kayani, scheint entschlossen zu sein, die Generäle Schritt für Schritt aus der Politik abzuziehen. Kürzlich ließ er 250 Offiziere aus 21 Ministerien und staatlichen Agenturen in die Kasernen zurückrufen. Das sieht wie ein ermutigender Anfang aus. Ob es demokratische Verhältnisse in Pakistan geben wird, hängt also weniger von den verschiedenen politischen Parteien als viel mehr davon ab, ob das Militär entpolitisiert wird.

Die politischen Parteien sind ein Kapitel für sich. Sie werden von autoritären Führern nicht gerade nach demokratischen Prinzipien geleitet und wie familiärer Privatbesitz betrachtet. Die Pakistanische Volkspartei (PPP) liefert das Paradebeispiel. Benazir Bhutto bestimmte in ihrem Testament ihren Gatten Asif Ali Zaradari zum Parteichef. Der will das Amt so lange ausüben, bis sein Sohn Bilawal reif dafür ist. Die PPP rechnet sich nach dem Bhutto-Mord große Chancen im Rennen um die Sitze im Nationalparlament und in den vier Provinzparlamenten aus. Laut Meinungsumfragen liegt sie angeblich in der Gunst der Wähler weit vor dem nächsten Mitbewerber, der Pakistanischen Muslimliga von Ex-Premier Nawaz Sharif. Erst an dritter Stelle mit lediglich zwölf Prozent folgt Musharrafs Partei, die Pakistanische Muslimliga (Q). Von den islamischen Parteien war in den Umfragen gar keine Rede.

Ob sich die Pakistaner wirklich so entscheiden, bleibt abzuwarten, zumal bei diesem Votum auch zahlreiche ungelöste soziale Fragen (Arbeitslosigkeit, Armut, Inflation) ins Gewicht fallen dürften. Zardari verkündete jedenfalls, er wolle nach einem PPP-Wahlsieg »eine Regierung des nationalen Konsenses« bilden, um Pakistan zu einigen. Das könnte immerhin ein erster Schritt in bessere Zeiten, zu Frieden, Stabilität und Sicherheit werden.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2008


Vom selben Autor erschien ebenfalls am 18. Februar ein Artikel in der "jungen Welt", worin noch andere Aspekte der Wahl in Pakistan beleuchtet wurden. Auch diesen Artikel dokumentieren wir im Folgenden - trotz einigere Überschneidungen.

Wahlen in Angst

Attentate erschüttern Pakistan vor den Abstimmungen zu Parlament und Provinzversammlungen am heutigen Montag

Von Hilmar König, Neu-Delhi **


Ein Aufgebot von 81000 Soldaten und 400000 Polizisten in über 90000 »sensitiven Arealen« Pakistans konnte am Samstag zwei Bombenanschläge nicht verhindern. Während einer Wahlveranstaltung der Pakistanischen Volkspartei (PPP) in Parachinar in der nordwestlichen Grenzprovinz ging eine Autobombe hoch. Sie riß über 40 Menschen in den Tod und verletzte etwa hundert Kundgebungsteilnehmer. Einige Stunden später explodierte in Swat, ebenfalls im Nordwesten, eine Autobombe vor einem Medienzentrum der Armee. Zwei Zivilisten wurden getötet, acht verletzt. Mit weiteren solcher Anschläge muß auch am heutigen Montag gerechnet werden, wenn das Nationalparlament und die Provinzversammlungen gewählt wird.

Nicht nur wegen der berechtigten Angst vor Attentaten sind von Präsident Pervez Musharraf versprochene »freie, faire, transparente und friedliche Wahlen« nicht zu erwarten. Asma Jehangir, die Vorsitzende der Menschenrechtskommission, befürchtet: »Wir werden auch diesmal alle in den Jahren zuvor angewandten Betrugsmethoden erleben.« Dazu zählten falsche Identitätskarten, nicht korrekte Wählerlisten, eine nicht nachprüfbare massenhafte »Briefwahl«, plötzlich umgezogene oder in der Vorwahlnacht zerstörte Wahlbüros sowie bewaffnete Parteiaktivisten, die die Wähler entweder zum Votum zwingen oder vom Gang zur Wahlurne abhalten.

Die westlich orienierte PPP sieht sich bereits als Wahlsiegerin, nachdem zwei US-amerikanische Agenturen Meinungsumfragen in Pakistan durchführten und dabei angeblich die Bhutto-Partei klar vor der Pakistanischen Muslimliga von Expremier Nawaz Sharif und weit vor der Pakistanischen Muslimliga (Q), die bislang als Musharrafs Partei galt, ausmachten. PPP-Chef Asif Ali Zardari, Witwer der am 27. Dezember 2007 ermordeten Benazir Bhutto, rechnet jedenfalls mit einer »Sympathiewelle« und schließt nicht aus, selbst Premier zu werden.

In den vergangenen 48 Stunden brachte er eine neue Idee in Umlauf: Im Falle eines Wahlsiegs würde die PPP »auf breiter Basis eine Regierung der nationalen Einheit bilden.« Daran könnten mitwirken: Sharifs Partei, die Muttahida-Qaumi-Bewegung (MQM), die die einstigen Immigranten aus In­dien repräsentiert und ihre Hausmacht in Karatschi hat, sowie islamische Parteien, egal ob sie an den Wahlen teilnehmen oder diese boykottieren. Interessant ist, daß selbst die Muslimliga (Q) Kooperationsbereitschaft mit der PPP signalisierte. Zardari äußerte gegenüber der indischen Zeitung The Hindu, seine Partei wolle »die kolletive Weisheit aller politischen Kräfte« zum Wohle des Landes nutzen.

In diesen Rahmen paßt, daß er im Gegensatz zu Sharif eine Zusammenarbeit mit Pervez Musharraf nicht rundweg ablehnt. Das zeugt von Realitätssinn, denn Musharraf ist zwar angeschlagen, hat aber immer noch das Sagen. Deshalb warnte die MQM, die lange mit dem Putschgeneral kollaborierte, vor dem Versuch, Musharraf entmachten zu wollen, denn es bleibe völlig ungewiß, wie die Armee in einem solchen Fall reagieren würde. Das ist allerdings nach wie vor die Schlüsselfrage. Am Ende entscheiden in Pakistan nicht die Wähler, sondern die »politisch gestählten« Generäle. Sie halten das Heft seit über 60 Jahren in der Hand. Nicht von ungefaher schwebt Musharraf vor, die Regierungsgewalt nach der Wahl von einer »Troika« ausüben zu lassen, der er selbst, der Premierminister und der Armeechef angehören würden. Nach der alten Machtaufteilung würde es dann stets 2:1 gegen den Regierungschef stehen.

Der neue Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani, zwar von Musharraf ausgewählt, deutete mit einigen Anordnungen jedoch etwas völlig Unerwartetes an -- nämlich eine vorsichtige Entflechtung des Militärs von der Politik. So erhielten die rund 300 Offiziere, die in 21 Ministerien und staatlichen Agenturen sitzen, kürzlich den Befehl zur Rückkehr in die Kasernen, um sich den militärischen Hauptaufgaben zu widmen. Ein Prozeß, der sich über Monate hinziehen wird, aber mit Musharrafs Vorstellungen keineswegs konform geht. Was das Militär will -- ob es das Votum der Wähler akzeptiert oder weiter die entscheidende politische Kraft bleibt --, wird sich daran zeigen, wie General Kayani auf die »Troika«-Idee reagiert. Sagte er nein, dann hätte Pakistan eventuell sogar die Chance, einen parlamentarisch-demokratischen Weg einzuschlagen.

** Aus: junge Welt, 18. Februar 2008

Wahl in Pakistan von Betrugsvorwürfen und Gewalt begleitet

Überschattet von Betrugsvorwürfen und Gewalt ist am 18. Februar in Pakistan ein neues Parlament gewählt worden. Im Zusammenhang mit der Wahl kamen mindestens 15 Menschen gewaltsam ums Leben. In Lahore und in Shikarpur in der südlichen Provinz Sindh beschwerten sich Wähler über unvollständige Wahllisten und das Fehlen von Stimmzetteln. Nach Angaben der EU-Wahlbeobachtermission verlief die Abstimmung "relativ ruhig".

Bei Schießereien zwischen den Anhängern verschiedener politischer Lager in der Provinz Pendjab im Zusammenhang mit der Wahl starben nach Angaben der Polizei sechs Menschen. Zwei Pakistaner seien in der südlichen Provinz Sindh getötet worden, und ein Toter wurde aus der Region Karak im Nordosten des Landes gemeldet. Außerdem wurden rund hundert Menschen verletzt. Bei einem Anschlag auf einen PML-N-Kandidaten waren am Sonntagabend (17. Feb.) sechs Menschen getötet worden.

Die Wahl sei in den meisten Gebieten Pakistans "ordnungsgemäß und friedlich" verlaufen, sagte der Generalsekretär der Wahlkommission, Kanwar Dilshad. Der deutsche Leiter der EU-Langzeitwahlbeobachtermission, Michael Gahler, sagte in Islamabad, der Wahltag sei "relativ ruhig gelaufen". Die EU-Mission habe keinerlei Hinweise auf Manipulationen, entscheidend für eine Beurteilung der Wahl sei aber der Auszählungsprozess.

An einem Wahllokal im ostpakistanischen Lahore versammelten sich Dutzende aufgebrachte Anhänger der Pakistanischen Volkspartei (PPP) der ermordeten Oppositionsführerin Benazir Bhutto. Sie beklagten, rund 700 Namen seien von den Wahllisten gestrichen worden. In Shikarpur in der südlichen Provinz Sindh wurde nach Polizeiangaben ein Wahlhelfer festgenommen, nachdem Wähler das Fehlen von rund 350 Stimmzetteln beklagten.

In mehreren Vororten von Peshawar nahe der afghanischen Grenze wurde Frauen die Möglichkeit zur Abstimmung verwehrt. Stammesälteste in der Gegend hätten entschieden, "dass die Wahl von Frauen gegen unsere Kultur ist", sagte der Distriktbürgermeister. PPP-Chef und Bhuttos Witwer Asif Ali Zardari sagte bei der Stimmabgabe: "Der Sieg ist unser Schicksal und wir werden das System ändern." Der Chef der Partei PML-N, Nawaz Sharif, warf der PML-Q, die Staatschef Musharraf stützt, erneut Wahlbetrug vor.

(Agenturbericht 18.02.2008)




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