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Sharif laviert

Besuch des pakistanischen Premiers in Washington soll Annäherung zwischen beiden Ländern signalisieren

Von Knut Mellenthin *

Pakistans Regierungschef Nawaz Sharif hat am Mittwoch (Ortszeit) die US-Regierung zum Abschluß seines viertägigen Staatsbesuchs aufgefordert, ihre Drohnenangriffe auf sein Land zu beenden. Sie verletzten die Souveränität Pakistans und seien »ein bedeutender Störfaktor« in den Beziehungen zwischen beiden Ländern. Präsident Barack Obama erklärte nach der etwa 90minütigen Begegnung im Weißen Haus ausweichend, der »Kampf gegen den Terrorismus« stelle eine »Herausforderung« dar und sei »nicht leicht«. Er habe mit Sharif erörtert, wie sie auf dem Gebiet der »Sicherheit« in einer Weise zusammenarbeiten könnten, »die Pakistan respektiert«.

Nach der vom Londoner »Bureau of Investigative Journalism« geführten, mutmaßlich vollständigen Zählung hat es seit Beginn der Einsätze bewaffneter Drohnen im Jahre 2004 insgesamt 376 Angriffe gegen Ziele in Pakistan gegeben. 325 davon hätten in der Amtszeit Obamas stattgefunden. Die Zahl der dabei getöteten Menschen liegt nach Schätzung des Büros zwischen 2525 und 3613. 407 bis 926 der Opfer werden als »Zivilisten« bezeichnet, darunter zwischen 168 und 200 Kinder.

Das pakistanische Außenministerium hat im Frühjahr erstmals eigene Angaben vorgelegt. Danach seien bei 330 Angriffen mindestens 2200 Menschen getötet worden, unter denen 400 »Zivilisten« gewesen seien. Unterschiedliche Angaben über die Zahl der Angriffe kommen hauptsächlich durch die Berechnung der sogenannten »double taps« zustande. Das sind kurz hintereinander folgende Attacken auf dasselbe Ziel, von denen sich die zweite gegen Nachbarn und andere Helfer richtet.

Sharif, der erst im Juni zum Premier gewählt wurde, hatte zuvor als Oppositionsführer der regierenden Volkspartei vorgeworfen, sie setze sich bei den USA nicht scharf genug für die Beendigung der Drohnenoperationen ein. Indessen hat er selbst das Thema seit seiner Amtsübernahme nur mit großer Zurückhaltung angesprochen. Einen öffentlichen Streit über diese Angriffe will im Grunde keine der im Parlament vertretenen Parteien führen. Stattdessen setzen die pakistanischen Politiker anscheinend darauf, daß die USA von diesem Mittel stillschweigend immer weniger Gebrauch machen. Nach dem Rekord von 117 Angriffen im Jahre 2010 ließ Obama ihre Zahl auf 64 in 2011 und 46 in 2012 reduzieren. Im laufenden Jahr gab es 23 Einsätze, den vorerst letzten am 30. September.

Nach einem Beziehungstief im Jahre 2011, das unter anderem zu einer monatelangen Unterbrechung der Nachschubtransporte für den Afghanistan-Krieg der NATO geführt hatte, geben sich gegenwärtig beide Regierungen Mühe, zumindest nach außen Wiederannäherung darzustellen. Schon die Einladung Sharifs nach Washington galt als als positives Signal, denn seit Juli 2008 hatte kein pakistanischer Regierungschef mehr die USA besucht, obwohl die beiden Staaten offiziell »strategische Verbündete« sind.

Rechtzeitig zum Eintreffen Sharifs am Sonntag hatte das State Department bekannt gegeben, daß 1,5 Milliarden Dollar »Unterstützung« für Pakistan, die seit 2011 blockiert waren, nun freigegeben worden seien. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Militärhilfe aus einem allgemeinen Fond der USA, der einige Staaten für ihre Beteiligung am »Krieg gegen den Terror« entschädigen soll.

Pakistans Auslandsschulden haben sich seit 2006 mehr als verdoppelt und werden derzeit auf knapp 60 Milliarden Dollar geschätzt. Das sind rund 6 Milliarden weniger als vor einem Jahr. Diese Verringerung seiner Schuldenlast hat Pakistan jedoch nur erreicht, indem es seine ohnehin schon sehr geringen Devisenreserven von 10,86 auf 6,05 Milliarden Dollar verringerte. Pakistan bräuchte nach Ansicht internationaler Experten einen massiven Schuldenerlaß, um eine nachhaltige Belebung seiner Wirtschaft in Gang zu bringen. Sharif nutzte seinen Besuch in Washington, um sein Land vor US-Finanzkapitalisten als kommendes Investitionsparadies darzustellen – und die Privatisierung großer staatlicher Industrieunternehmen zu versprechen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 25. Oktober 2013


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