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Pakistan nach NATO-Angriff empört

"Tiefes Gefühl des Zorns" an US-Regierung übermittelt

Ein NATO-Angriff auf einen pakistanischen Militärposten im Grenzgebiet zu Afghanistan hat am Wochenende zu schweren diplomatischen Verwerfungen geführt. Die Regierung in Islamabad protestierte. Das Militärbündnis und die US-Regierung erklärten ihr Bedauern über den Zwischenfall und bemühten sich um Schadensbegrenzung.

Nach Angaben der pakistanischen Außenministerin Hina Rabbani Khar wurden bei der Luftattacke in der nordwestlichen Provinz Mohmand am Samstag (26. Nov.) mindestens 24 Soldaten getötet. Seit dem Beginn des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan vor rund zehn Jahren waren in Pakistan noch nie mehr Menschen bei vergleichbaren Vorfällen mit NATO-Beteiligung getötet worden. Ein ISAF-Sprecher nannte es »sehr wahrscheinlich«, dass es sich um einen NATO-Angriff gehandelt habe. Demnach waren Bodentruppen im Grenzgebiet zu Afghanistan unterwegs. Sie hätten Unterstützung aus der Luft angefordert. In den Stammesregionen im Nordwesten Pakistans fliegen die USA immer wieder Drohnenangriffe auf Aufständische.

Pakistans Regierungschef Yousuf Raza Gilani verurteilte den Angriff laut einer Mitteilung des Außenministeriums scharf. Die Armee sprach von einem »grund- und wahllosen Angriff«. Bei einer Sondersitzung beschloss die Regierung, alle »diplomatischen, politischen, militärischen und geheimdienstlichen« Absprachen mit der NATO und den USA zu überprüfen. Zudem stoppte sie Nachschublieferungen für die ISAF nach Afghanistan und forderte die USA zur Räumung eines Luftwaffenstützpunkts auf. Außenministerin Khar übermittelte ihrer US-Kollegin Hillary Clinton am Sonntag per Telefon das »tiefe Gefühl des Zorns« ihres Landes auf die USA. Der pakistanische Informationsminister Firdous Ashiq Awan sagte, der Vorfall könne antiamerikanische Ressentiments in seinem Land verstärken.

* Aus: neues deutschland, 28. November 2011


Friendly Fire

24 Tote bei Luftangriff der NATO auf zwei pakistanische Grenzstellungen

Von Knut Mellenthin **


Bei einem Luftangriff der NATO auf zwei pakistanische Grenzstellungen wurden am frühen Sonnabend morgen 24 Soldaten getötet und elf weitere verletzt. Das westliche Bündnis bekundet zwar »tiefes Beileid« und hat eine »gründliche Untersuchung« angekündigt, plädiert aber schon vorab auf »Selbstverteidigung«: Angeblich sei zuvor ein aus US-Amerikanern und Afghanen bestehendes Kommando von der pakistanischen Seite aus beschossen worden. Warum man daraufhin ausgerechnet die Grenzposten angegriffen hat, deren exakte Positionen der NATO nach Angaben eines Militärsprechers in Islamabad bekannt waren, blieb jedoch bisher unerklärt.

Die pakistanische Regierung hat den Luftangriff »in starken Worten verurteilt« und mehrere Sofortmaßnahmen angeordnet: Erstens wurden die beiden Grenzübergänge, durch die ein erheblicher Teil des Nachschubs für den NATO-Krieg in Afghanistan transportiert wird, geschlossen. Zweitens wurden die USA aufgefordert, ihren Stützpunkt in Schamsi innerhalb von 15 Tagen zu räumen. Angeblich war dieser zumindest in der Vergangenheit Ausgangspunkt für Drohnenangriffe. Drittens sollen sämtliche »Programme, Aktivitäten und Kooperationsvereinbarungen« mit den USA und der NATO überprüft werden.

Diese Maßnahmen waren allerdings seit Monaten überfällig: Die Überprüfung der Zusammenarbeit war bereits in einer Resolution gefordert worden, die das Parlament am 14. Mai einstimmig verabschiedet hatte. Sie war lediglich, im stillschweigenden Zusammenspiel mit der Opposition, bisher noch nicht vorgenommen worden. Die Räumung Schamsis hatte die Regierung in Islamabad schon im Juni verlangt, ohne aber dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Und was schließlich die Sperrung der Grenzübergänge für den NATO-Nachschub angeht, beruft sich der jetzige Regierungsbeschluß des Verteidigungsausschusses des Kabinetts sogar ausdrücklich auf die Parlamentsresolution vom 14. Mai. Darin war nämlich gefordert worden, »alle notwendigen Schritte zu unternehmen, einschließlich der Kündigung der Transitmöglichkeiten« für die NATO-Streitkräfte, falls die USA nicht sofort ihre Drohnenangriffe und anderen Übergriffe auf Ziele in Pakistan einstellen würden. Die Attacken gingen bekanntlich trotzdem unvermindert weiter, ohne daß die Regierung in Islamabad bisher aktiv wurde.

Ob die politische Führung Pakistans die Konfrontation diesmal mit mehr Nachdruck und Konsequenz betreiben will oder ob nur ein kurzer Theaterdonner veranstaltet wird, muß sich erst noch zeigen. Auffallend ist, daß keine Regierungspolitiker an der Trauerfeier für die getöteten Soldaten teilnahmen, die am Sonntag in einem Militärstützpunkt in Peschawar stattfand. Erschienen waren nur Vertreter der Provinzverwaltung. Nicht völlig auszuschließen ist, daß die militärische Führung signalisiert hatte, daß ein Auftritt von Premier Jusuf Raza Gilani oder gar Präsident Asif Ali Zardari unerwünscht wäre.

** Aus: junge Welt, 28. November 2011


Die Träne im Knopfloch

Von Roland Etzel ***

Die NATO hat sich noch nie kleinlich gezeigt in Afghanistan und Pakistan, jedenfalls wenn es um geheucheltes Bedauern geht. Diesmal wurden im Grenzgebiet beider Staaten pakistanische Soldaten ins Jenseits bombardiert, da tragen Clinton und Rasmussen schon mal die Krokodilsträne im Knopfloch. Sie geben sich wirklich nicht allzu viel Mühe, die Scheinheiligkeit ihres Bedauerns zu erkennen.

Mag schon sein, dass es nicht erklärtes Ziel der US-Bomber war, verbündete Truppen zu bombardieren. Aber es ist nicht das erste Mal, dass in Afghanistan oder Pakistan auf diese Weise Menschen sterben, ob durch Kampfflugzeuge oder Drohnen, ob Stammesversammlungen oder Hochzeitsgesellschaften. Es wird mit einem »O, sorry!« mehr oder weniger achselzuckend hingenommen. Echtes Bedauern hätte längst Konsequenzen aus solcherart Kriegsführung zur Folge gehabt. Aber das gibt es eben nicht. Und während die US-Außenministerin schon ihr Bedauern übermittelt, erklärt ihr kommandierender General, er wolle erst mal untersuchen lassen, was überhaupt vorgefallen sei. Es wird ihnen nicht einmal bewusst sein, dass sie kaum deutlicher ihre Arroganz gegenüber den Opfern zum Ausdruck bringen können.

Obwohl diesmal nicht Bundeswehroberst Klein den tödlichen Befehl gab, hat der deutsche Außenminister bußfertig die Aufnahme von Verwundeten angeboten. Das ist ehrenwert, wird aber auch nötig sein, denn Hillary Clinton wird auf diese Idee bestimmt nicht kommen.

*** Aus: neues deutschland, 28. November 2011 (Kommentar)


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