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Staudammprojekt spaltet Pakistan

Ethnische Minderheiten befürchten Nachteile aus Großvorhaben. Vorwürfe gegen Regierung wegen einseitiger Parteinahme

Muddassir Rizvi (IPS), Islamabad*

In Pakistan ist der seit Jahren andauernde Streit um den Bau eines weiteren Staudamms am Indus neu entbrannt. Drei der vier Provinzen des Landes und mit ihnen große ethnische Minderheiten lehnen den sechs Milliarden US-Dollar teuren Kalabagh-Damm vehement ab, weil sie erhebliche Nachteile befürchten.

Anfang des Jahres hatte der pakistanische Staatspräsident General Pervez Musharraf auf das, wie er betonte, »nationale Interesse« an dem Großprojekt verwiesen und betont, es sei unverzichtbar. In der Nordwestgrenzprovinz (NWFP) meldete sich darauf hin Said Alam Mehsud, ein Sprecher der paschtunischen Pukhtoonkhwa Milli Awami Party (PMAP) zu Wort und warnte: »Der Kalabagh-Damm wird Pakistans Föderation zerstören und den weltweit ersten Krieg auslösen, der um Wasser geführt wird.« Der Aktivist Sarwar Bari, Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation (NGO) Paattan Development Organisation erklärte: »Nicht der Staudamm ist das Problem, sondern das tief verwurzelte Mißtrauen zwischen Provinzen und der Zentralregierung. Dieses Mißtrauen der drei kleineren Provinzen – NWFP, Sindh und Balutschistan –, gegenüber dem Staat und der Provinz Punjab hat eine Reihe historischer und politischer Gründe. Manchmal ist es schwierig, zwischen den Interessen Punjabs und denen der Regierung in Islamabad zu unterscheiden.«

Aufgeheiztes Klima

Nach Ansicht von Beobachtern spiegelt das politische Klima in Pakistan eine brisante Situation, in der die von der Provinz Punjab dominierte Zentralregierung ihre Glaubwürdigkeit als neutrale Instanz eingebüßt hat, wenn es darum geht, die Ressourcen unparteiisch auf die ethnisch und sprachlich verschiedenen Volksgruppen des Landes zu verteilen. Etwa die Hälfte der 162 Millionen Pakistaner sind Pandschabi, 15 Prozent Sindhi, 15 Prozent Paschtunen, fünf Prozent Balutschen und acht Prozent Mohajiren, aus Indien eingewanderte Muslime. 56 Prozent der Pakistaner leben in Punjab. Die größte pakistanische Provinz ist auch politisch weit mächtiger als die Nordwestgrenzprovinz, die südliche Provinz Sindh und die Westprovinz Balutschistan.

Der umstrittene Kalabagh-Staudamm soll in Punjab im unterentwickelten Distrikt Mianwali, südwestlich von Islamabad, gebaut werden. Das Wasserkraftwerk, das hier entstehen soll, ist auf eine Kapazität von 3600 Megawatt ausgelegt. Der damalige Diktator General Mohammad Zia-ul-Haq (1977 bis 1988) hatte das gigantische Projekt Anfang der 80er Jahre erstmals ins Gespräch gebracht. Es wurde von Anfang an von den Provinzparlamenten von Sindh, den NWFP und Balutschistan abgelehnt. Sie sahen in ihm den Versuch Punjabs, seine Vorherrschaft auszubauen und den Indus, Pakistans Lebensader, unter seine Kontrolle zu bringen.

»Beim Kalabagh-Damm geht es für die Menschen in der Nordwestgrenzprovinz um Leben und Tod. Wir werden seinen Bau um jeden Preis verhindern«, erklärte Zahid Khan, der Pressesekretär der paschtunisch-nationalistischen Awami National Party (ANP). Seine Partei gehört zu den Hauptgegnern des geplanten Projekts. Um zu beweisen, daß ihre oppositionelle Haltung in der Region Rückhalt findet, organisierte die ANP Ende Dezember in Jehangira, nördlich von Islamabad, eine Protestdemonstration. 20000 Menschen beteiligten sich daran.

Schäden befürchtet

Nach Ansicht von Experten könnte der Kalabagh-Damm das fruchtbare, für Landwirtschaft und Industrie der NWFP gleichermaßen lebenswichtige Peshawar-Tal überschwemmen und schweren Schaden anrichten. Noch größer ist die Furcht vor den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Kalabagh-Damms im pakistanischen Süden, in der Provinz Sindh. Hier sind Protestdemonstrationen an der Tagesordnung, seitdem die Regierung sich wieder einmal um Konsensbildung in Sachen Staudamm bemüht. »In Sindh sind sich die Politiker einig, daß der Kalabagh-Staudamm nicht gebaut werden soll. Die Menschen in Sindh werden sich jedem Versuch Punjabs widersetzten, den Indus aufzustauen«, betonte Rasul Bakhsh Palijo nachdrücklich. Er ist Vorsitzender der nationalistischen Volksbewegung Awami Tehreek in Sindh. Zuvor schon hatte die Bewegung Muttahida Qaumi (MQM), ein Koalitionspartner der Zentralregierung in Islamabad, erklärt, der Kalabagh-Damm widerspreche den Interessen der Provinz Sindh. Die MQM vertritt die Urdu sprechenden Zuwanderer aus Indien, die 1974, nach der Teilung des asiatischen Subkontinents, nach Pakistan gekommen waren.

Trotz des Widerstands nationalistischer Parteien und politischer Verbündeter hält die Regierung in Islamabad an ihren Plänen fest. »Pakistan braucht dringend neue Wasserreservoirs, denn die vorhandenen, ohnehin begrenzten Kapazitäten nehmen weiter ab«, heißt es in einer offiziellen Erklärung von Regierungschef Shaukat Aziz.

Wasser immer knapper

In Pakistan lassen sich nur neun Prozent der jährlich ankommenden Wassermenge speichern. Im benachbarten Indien sind es 33 Prozent. Wegen des Bevölkerungswachstums hat sich die pro Kopf zur Verfügung stehende Wassermenge in den letzten Jahrzehnten von durchschnittlich 5000 Kubikmeter (1947) auf derzeit 1200 Kubikmeter dramatisch verringert.

Dennoch sehen Ökologen im Bau großer Staudämme keine Lösung. »Vor der Planung neuer Projekte sollte die Regierung zunächst in den Ausbau der vorhandenen Fluß- und Kanalsysteme investieren«, forderte Mohammad Abdul Saboor von der NGO Pakistan Network of Rivers, Dams and People. »Die politischen, sozialen und ökologischen Kosten großer Staudämme sind immer höher als deren Nutzen. Tausende Fischer verlieren ihre Existenzgrundlage, weil durch das Aufstauen des Flusses die Mangrovenwälder im Süden zerstört werden. In Teilen der Nordwestgrenzprovinz drohen Überschwemmungen, so daß die Anwohner umgesiedelt werden müssen«, erläuterte der Aktivist.

* Aus: junge Welt, 16. Januar 2006


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