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Musharraf flieht aus Gerichtssaal

Haftbefehl gegen Pakistans früheren Machthaber

Von Hilmar König *

Ein Gericht in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad hat am Donnerstag einen Haftbefehl gegen den früheren Militär- und Staatschef General a. D. Pervez Musharraf erlassen.

Damit muss der 69-jährige Musharraf, der erst am 24. März aus dem Exil zurückgekehrt war, seine politischen Ambitionen endgültig begraben. Mit Hilfe seiner Leibwächter flüchtete er sich aus dem Gerichtssaal auf seinen Landsitz Chak Shazad am Stadtrand Islamabads. Musharraf war vor dem Gericht erschienen, um die am Donnerstag endende Kautionsfrist verlängern zu lassen.

Er ist mehrerer schwerer Vergehen aus dem Jahre 2007 angeklagt, so einer Mitschuld am tödlichen Attentat auf Expremierministerin Benazir Bhutto, einer Mitverantwortung für den Tod des Belutschen-Stammesführers Nawab Akbar Bugti sowie der Anordnung des landesweiten Ausnahmezustandes und der gleichzeitigen verfassungswidrigen Entlassung von 60 systemkritischen Richtern am Höchsten Gericht, einschließlich des Chefrichters Iftikhar Muhammad Chaudhry. Vor seiner Rückkehr aus Dubai entging er der Festnahme in Karatschi durch Zahlung einer Kaution. Inzwischen hat ein Gericht auch ein Ausreiseverbot verhängt.

Bereits am Dienstag war Musharrafs Traum geplatzt, sich an der Spitze seiner Partei, der All-Pakistan Muslim League (APML), an den Parlaments- und Provinzwahlen am 11. Mai zu beteiligen und mit seiner Rückkehr auf die politische Bühne nach eigenem Bekunden das zerrüttete Land vor dem Untergang zu retten. Alle vier Kandidaturen wurden abgeschmettert. Gründe dafür sind sein Militärputsch von 1999, seine anschließende Amtszeit als Kriegsrechtsverwalter und später als mit maßgeschneiderten Verfassungsänderungen und Ausnahmezustand agierender Staatspräsident. Der Exgeneral hat alle Vorwürfe als »grundlos und politisch motiviert« zurückgewiesen. Gegen den Haftbefehl kann er zwar Berufung einlegen, doch die Aussichten auf Erfolg sind gering.

Ohnehin haben er und sein Team offensichtlich nur Wunschdenken geäußert, als sie von einer »breiten Unterstützung« im Volk redeten. Talat Masud, Geheimdienstexperte und einst Vertrauter Musharrafs, meint, der frühere Armeechef habe sich eingebildet, als großer Führer in die Geschichte Pakistans eingehen zu müssen. Das glauben offensichtlich auch seine Parteifreunde.

Asif Shahzad Chaudhry, der APML-Vertreter in London, behauptet, sein Chef habe Pakistan Prosperität gebracht. Die vergangenen »fünf Jahre der Misswirtschaft« hätten die Menschen daran erinnert, wie »großartig« Musharraf war. Dessen Anhängerschar hielt sich bislang in Grenzen. Zudem droht ihm die Tehrik-e-Taleban Pakistan. Die Gruppe verkündete, für »Washingtons Marionette« ein Killerkommando formiert zu haben.

Ob der einstige starke Mann nun unter Hausarrest gestellt wird, in Untersuchungshaft kommt oder umgeben von seinen Sicherheitsleuten auf freiem Fuß bleibt, wird sich zeigen. Das Militär wird nicht begeistert sein oder gar zu verhindern wissen, dass ein Mann aus seinen Reihen ins Gefängnis muss.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 19. April 2013


Musharraf nun doch in Gewahrsam

Ex-Machthaber Pakistans festgenommen **

Einen Tag nach seiner spektakulären Flucht aus einem Gerichtsgebäude ist der frühere pakistanische Militärmachthaber Pervez Musharraf nun doch festgesetzt worden. Er habe sich am Freitag der Justiz gestellt, sagte Qamar Afzal, einer von Musharrafs Anwälten. Daraufhin sei er formal festgenommen worden und ein Richter habe zwei Tage Untersuchungshaft angeordnet. Laut Afzal wurde Musharraf zunächst zurück in seine Residenz am Rande Islamabads eskortiert, später brachten ihn die Beamten ins Polizeihauptquartier.

Der staatliche Nachrichtensender Radio Pakistan berichtete hingegen, Musharraf habe sich nicht freiwillig gestellt. Vielmehr sei er am Morgen verhaftet und vorgeführt worden. In dem Fall geht es um die Verhängung von Hausarrest gegen Richter im Jahr 2007 während Musharrafs Amtszeit. Der Ex-Diktator selbst hält die Anschuldigungen für »politisch motiviert«, wie er auf seiner Facebook-Seite verkündete. Er wolle die Entscheidung anfechten.

Gegen Musharraf laufen insgesamt drei Verfahren. Trotzdem war er im vorigen Monat aus dem langjährigen, selbst gewählten Exil in London und Dubai nach Pakistan zurückgekehrt, um am 11. Mai bei der Parlamentswahl zu kandidieren. Seitdem war er gegen Kaution auf freiem Fuß gewesen. Am Donnerstag hatte dann allerdings ein Gericht in Islamabad seine Festnahme angeordnet.

Daraufhin floh Musharraf mit Hilfe seiner Leibwächter aus dem Saal und fuhr in einem gepanzerten Geländewagen davon. Das Gericht kam in der Verhandlung auch zu dem Schluss, dass es sich bei Musharrafs Anordnung, die Richter fast ein halbes Jahr unter Hausarrest zu stellen, um einen »terroristischen Akt« gehandelt habe. Dafür könne er eine lebenslange Haftstrafe erhalten.

Musharrafs Berater Mohammad Amjad sagte, entgegen seiner Ankündigung werde Musharraf nicht das Verfassungsgericht anrufen, um wieder auf Kaution freizukommen. In einer früheren Entscheidung hatten Richter dem ehemaligen Militärmachthaber auch untersagt, das Land zu verlassen.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 20. April 2013


Der Fall Musharraf

Von Olaf Standke ***

Das Ganze liest sich wie das Drehbuch zu einem Politthriller: Ein ehemaliger Diktator kehrt aus dem selbst gewählten politischen Exil in seine krisengeplagte Heimat zurück, um sich als Heilsbringer nunmehr demokratisch wählen zu lassen, und sorgt nach einem Haftbefehl mit einer spektakulären Flucht aus dem Gerichtssaal für Schlagzeilen nicht nur in Pakistan. Doch Leibwächter und ein gepanzerter Geländewagen konnten Pervez Musharraf nicht vor dem Hausarrest schützen, wenn auch in einer Nobelvilla. Im Falle eines Prozesses droht dem unbeliebten Ex-General statt Erfolg per Wahlurne allerdings sogar die Höchststrafe, der Galgen. Denn ihm wird unter anderem Hochverrat vorgeworfen; dabei geht es zum Beispiel um seine mutmaßliche Beteilung an der Ermordung der einstigen Premierministerin Benazir Bhutto oder die Ausrufung des Notstands im Jahr 2007.

So gut es ist, wenn Pakistans Justiz jetzt auch einen Ex-Diktator belangen will. Sie ist längst Akteur des politischen Machtkampfs in einem Atomstaat, der zudem viele ungelöste drängende Probleme hat, ob Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption, religiöser Extremismus oder islamistischer Terror. Und eine Studie hat gerade gezeigt, dass viele junge Menschen im Lande eine Militärherrschaft oder die islamische Rechtsprechung Scharia einer demokratische Regierung vorziehen würden.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 20. April 2013 (Kommentar)


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