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Musharraf verliert die letzte Schlacht

Pakistans Präsident will seinen Rücktritt als "zum Wohle der Nation" verstanden wissen

Von Daniel Kestenholz *

Nach neun Jahren an der Macht hat Pakistans Präsident Pervez Musharraf am Montag seinen Rücktritt verkündet. Seit dem Frühjahr 2007 war er innenpolitisch immer mehr unter Druck geraten.

Er sah sich bis zum Ende als Retter der Nation. Noch in den letzten Minuten als Präsident Pakistans ging Pervez Musharraf mit seinen Anklägern hart ins Gericht - nur um eine emotionale, einstündige Rede mit den trockenen Worten zu beenden, dass er nach neun Jahren an der Macht »zum Wohl der Nation« zurücktrete. »Auch ich bin nur ein Mensch, ich mag Fehler begangen haben«, so Musharraf. Er habe immer für die Nation gekämpft, doch wolle er dem Land weitere Konfrontationen und die Entwürdigung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen sich ersparen. Musharraf erfüllte damit ein zweitägiges Ultimatum der Koalitionsregierung, freiwillig zurückzutreten oder aber eine politische Krise zu riskieren, die auch die Armee auf die Straßen hätte bringen können.

Zunächst blieb offen, ob Musharraf eine Amnestie zu einer Reihe von Vorwürfen zugesichert wurde oder ob er ins Exil ziehe, womöglich nach Saudi-Arabien. Er wolle keinen Kuhhandel im Parlament, so Musharraf. Die Regierung müsse die vielen Probleme des Landes anpacken können. Worte, mit denen er den beiden neuen starken Männern Pakistans, den Koalitionsführern Asif Ali Zardari und Nawaz Sharif, gleich die Ausrede wegnahm, dass er an allen Problemen im Land schuld sei, »selbst an Stromunterbrechungen«, so Musharraf.

In einer ersten Reaktion nannte Bilawal Bhutto Zardari, Sohn der im Dezember ermordeten Benazir Bhutto, den Rücktritt eine Wiedergutmachung für den Tod seiner Mutter. »Nach dem Martyrium meiner Mutter sagte ich, dass Demokratie die beste Rache ist - was heute bewiesen wurde«, so der 19-jährige Vorsitzende von Pakistans größter Partei, der Volkspartei PPP, der in Oxford studiert.

Die Reaktionen aus dem Ausland blieben verhalten. Die USA, Musharrafs Chefverbündete im Westen, ließen schon letzte Woche durchblicken, dass dies eine innerpakistanische Angelegenheit sei. Trotz Milliardeninvestitionen in Musharraf versagte dessen Kampf gegen radikale Islamisten, die ihr Einflussgebiet entlang der Grenze zu Afghanistan im Gegenteil nach und nach auszuweiten vermochten und dem Taliban-Widerstand als Brückenkopf und Refugium dienten, während Indien neue Konfrontationen in Kaschmir meldet.

Musharraf hatte nach 9/11 entschieden, sich den USA anzuschließen. Die Amerikaner vertrauten ihm. Inzwischen aber regiert bei ihnen bezüglich Pakistans die Frustration. Diese wuchs aber auch in Pakistan über Musharrafs Allianz mit den Amerikanern, deren Einmarsch in Afghanistan dem Land nichts als neue Konflikte und Gewalt gebracht zu haben scheint.

So volksnah und patriotisch, wie sich Musharraf gestern lobte, wurde er im Land aber längst nicht mehr wahrgenommen. Es wäre ihm auch zuzutrauen gewesen, das Parlament aufzulösen - womit er höchstwahrscheinlich Massenunruhen ausgelöst hätte. Pakistans Fernsehen schaltete nach Musharrafs dramatischer Ankündigung zu einer Liveübertragung auf eine Straße in Rawalpindi, wo Menschen den Rücktritt bejubelten. Pakistan reagierte mit Erleichterung.

Eine monatelange Pattsituation scheint beendet, jetzt wird ungeduldig die rasche Lösung der vielen wirtschaftlichen und sozialen Probleme erwartet. Laut Presseberichten sei Musharraf ein würdiger Abgang aus der langen politischen Krise zugestanden worden. Pakistanische Medien berichteten, Musharraf wurde »freies Geleit« aus dem Land zugesichert.

* Aus: Neues Deutschland, 19. August 2008

Letztes Gefecht

Von Olaf Standke *

Sein letztes Gefecht hat der General verloren. Pakistans Präsident Pervez Musharraf, der sich einst an die Macht putschte, kam gestern einem schmachvollen Amtsenthebungsverfahren zuvor und kündigte seinen Rücktritt an. Die Regierungskoalition hatte dem 65-Jährigen als besonderes Geburtsgeschenk ein Ultimatum gestellt. Wirtschaftlicher Niedergang, ausufernde Korruption, brutales Vorgehen gegen die Opposition, Knebelung der Justiz, dazu militante Islamisten, die ganze Regionen beherrschen, ein Geheimdienst als Staat im Staate, die tiefe Verstrickung in Afghanistan, Hunderttausende auf der Flucht, ein nicht entschärfter Kaschmir-Konflikt - die Liste der Vorwürfe gegen den despotischen Verbündeten Washingtons im Anti-Terrorkrieg ist lang. Unter seiner Ägide trieb das mit Atomwaffen bestückte Land im Vorjahr selbst an den Rand eines Bürgerkriegs.

Der eigentliche Lackmustest steht der überaus fragilen und bisher wenig effektiven Allianz in Islamabad allerdings erst noch bevor. Sie muss das Machtvakuum schnell füllen und die Extremisten im Lande zügeln. Innerhalb von 30 Tagen sollen die beiden Parlamentskammern und vier Provinzversammlungen nun in einer außerordentlich angespannten Lage einen neuen Präsidenten wählen. Nicht zuletzt argwöhnisch beobachtet vom nach wie vor mächtigen Militär. Gut möglich, dass bei wachsender politischer Instabilität in Pakistan nach dem General die Armee kommt.

* Aus: Neues Deutschland, 19. August 2008 (Kommentar)



Musharraf tritt zurück

Pakistans Präsident kommt Amtsenthebungsverfahren zuvor **

Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf hat am Montag (18. August) seinen Rücktritt angekündigt und ist damit einem Amtsenthebungsverfahren zuvorgekommen. Er lege sein Amt in der Gewißheit nieder, stets »im Sinne des Volkes und des Landes« gehandelt zu haben, sagte Musharraf in einer Fernsehansprache. Zugleich bat er um Entschuldigung für seine »Fehler«. Die Regierung in Islamabad wollte noch in dieser Woche im Parlament ein Verfahren zur Amtsenthebung des Staatschefs beantragen, der 1999 mit einem Putsch die Macht übernommen hatte.

Gewährsleute hatten bereits zuvor erklärt, möglicherweise werde Mu­sharraf zurücktreten, wenn er im Gegenzug die Garantie erhalte, weder strafrechtlich verfolgt zu werden noch ins Exil gehen zu müssen. Ein Vertreter der zweitgrößten Partei in der Regierungskoalition, der Muslimliga (PML-N) von Exministerpräsident Nawaz Sharif, erklärte jedoch, man wolle Musharraf keine strafrechtliche Immunität zubilligen. Das Amtsenthebungsverfahren, für das eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments notwendig gewesen wäre, wäre das erste gegen einen pakistanischen Präsidenten in der 61jährigen Geschichte des Landes gewesen.

Am Sonntag (17. August) hatte ein Regierungsausschuß nach fünftägigen Beratungen eine Liste von Vorwürfen gegen Mu­sharraf beschlossen, wie Informationsministerin Sherry Rehman mitteilte. Daraus ging hervor, daß der Präsident unter anderem wegen Verfassungsbruchs und schwerer Verletzung seiner Amtspflichten beschuldigt werden sollte.

Der Vorsitzende der regierenden Volkspartei (PPP), Asif Ali Zardari, begründete das geplante Amtsenthebungsverfahren in der vergangenen Woche damit, daß Musharraf Pakistan in den vergangenen Jahren in eine kritische wirtschaftliche Situation hineinmanövriert habe. Hintergrund des Streits zwischen Musharraf und der Regierung ist aber vor allem das Vorgehen des Präsidenten in den vergangenen Jahren gegen die frühere Opposition, die jetzt die Regierung stellt.

Musharrafs Popularität erreichte im vergangenen Jahr einen Tiefpunkt, als er den Notstand verhängte und mehrere Dutzend angesehene Richter entließ, die seinem Kurs nicht gefolgt waren. Dies führte zu umfangreichen Protesten. Später räumte Musharraf ein, daß die Verhängung des Notstands verfassungswidrig war.

Die US-Regierung dankte dem scheidenen Staatschef am Montag für treue Dienste. »Präsident Musharraf war ein Freund der USA und einer der engagiertesten Partner im Krieg gegen Extremismus und Terrorismus«, erklärte Außenministerin Condoleezza Rice in Washington. Musharraf habe »die wichtige Entscheidung getroffen, sich dem Kampf gegen Al-Qaida, die Taliban und andere extremistische Gruppen anzuschließen«, hieß es in der Erklärung weiter. »Dafür gebührt ihm unser Dank.« Unerwähnt blieben am gestrigen Tag die engen Beziehungen des pakistanischen Geheimdienstes ISI zu den Taliban.

** Aus: junge Welt, 19. August 2008


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