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Mord in Karatschi

Pakistans Parteien führen in der größten Stadt des Landes Bandenkrieg

Von Knut Mellenthin *

Nach dem Mord an einer pakistanischen Politikerin in Karatschi liefern sich ihre Partei, die Gerechtigkeitsbewegung (PTI), und die in der Hafenstadt herrschende MQM heftige Polemiken. Der Gründer und Chef der PTI, Imran Khan, hatte in seinen ersten Stellungnahmen den MQM-Führer Altaf Hussain persönlich für die Bluttat verantwortlich gemacht. Beide Parteien riefen ihre Anhänger zu Protestkundgebungen gegeneinander auf.

Die 60jährige Zahra Shahid Hussain wurde am späten Sonnabend beim Verlassen ihres Hauses von mehreren bewaffneten Männern angegriffen und erschossen. Sie war Vizepräsidentin der PTI-Organisation in der Provinz Sindh, deren Hauptstadt Karatschi ist. Die PTI ist nach der Parlamentswahl vom 11. Mai die drittstärkste Partei in der Nationalversammlung hinter der nationalkonservativen PML-N und der Volkspartei (PPP), die sich gern als sozialdemokratisch darstellt.

Die bisher im Parlament nicht vertretene PTI war unter der Parole eines grundsätzlichen »Wandels« auf allen Gebieten der Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik angetreten. Als eines ihrer zentralen Ziele nennt sie die Beseitigung der Korruption, die viele Pakistanis für das Grundübel ihrer Gesellschaft halten. Außenpolitisch lehnt die PTI eine Beteiligung am »Krieg gegen den Terror« ab und strebt mehr Unabhängigkeit von den USA an.

Das Abschneiden der Partei mit vorläufig 29 oder 30 Sitzen blieb hinter den Prognosen zurück. PTI-Chef Khan fordert, daß in 25 der insgesamt 272 pakistanischen Wahlkreise erneut gewählt werden müsse, da es dort zu groben Verstößen gekommen sei. Eine Nachwahl fand bereits am Sonntag, dem Tag nach dem Mord an Hussain, in 43 Stimmabgabestellen des zu Karatschi gehörenden Wahlkreises NA-250 statt. Klarer Sieger war der Kandidat der PTI. Die MQM, der dieses Mandat zunächst zugefallen war, hatte aus Protest gegen die erneute Wahl zum Boykott aufgerufen und war darin von der PPP unterstützt worden.

Nach vielen Pressemeldungen, die aber möglicherweise alle auf eine einzige falsche Vorlage zurückgehen, hatte die MQM am 11. Mai 18 der 19 Wahlkreise von Karatschi gewonnen. Tatsächlich hat die Stadt – mit wahrscheinlich mehr als 20 Millionen Einwohnern bei weitem die größte des Landes – nach offiziellen Listen jedoch 20 Wahlkreise. Von diesen hat die MQM nach manchen Veröffentlichungen nicht 18, sondern »nur« 16 gewonnen, was am Gesamtbild nichts ändert. Die Partei beherrscht Karatschi nicht nur politisch, sondern auch mit den Mitteln wirtschaftlicher und krimineller Macht. Um diese finden seit Jahren heftige Bandenkriege statt, an denen angeblich alle bedeutenden Parteien beteiligt sind.

Die MQM ist ursprünglich und im Kern bis heute die Partei der »Mujahirs«, der Einwanderer oder Flüchtlinge aus Indien und deren Nachkommen. Sie kamen nach Pakistan, als Großbritannien 1947 sein »Indian Empire« liquidierte und aus diesem zwei miteinander verfeindete Staaten hervorgingen. Dementsprechend hieß die 1984 gegründete MQM zunächst ohne Umschweife »Mujahir Qaumi Movement«, Mujahir-Volksbewegung. Erst seit 1997 nennt sie sich bei gleichgebliebener Abkürzung »Muttahida Qaumi Movement«, Vereinigte Volksbewegung, um von ihrem ethnisch-sektiererischen Image loszukommen. Tatsächlich ist aber Karatschi nach wie vor die einzige Machtbasis der Partei, deren Charakter mit den üblichen Attributen »säkular« und »liberal« zwar nicht ganz unzutreffend, aber doch nur unzureichend beschrieben wird.

Der 59jährige MQM-Chef Altaf Hussain lebt schon seit 1992 in London, von wo aus er seine Partei mikrodirigistisch und mit eindeutigen Anzeichen von Personenkult lenkt. Ob er aus Pakistan nur vor Morddrohungen geflüchtet ist oder auch wegen der dort auf ihn wartenden Haftbefehle, bei denen es unter anderem um Korruption und Auftragsmorde geht, ist umstritten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. Mai 2013


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