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Erneute Schlappe für Pakistans Militär

Der Angriff auf die Marine-Luftwaffenbasis in Karatschi wirft etliche Fragen auf

Von Henri Rudolph, Delhi *

Sechs Terroristen ist es kürzlich gelungen, einen wichtigen Militärstützpunkt Pakistans zu attackieren, Soldaten zu töten und Flugzeuge sowie einen Hubschrauber zu zerstören. Der Vorfall in Karatschi wirft ein erneut zweifelhaftes Licht auf die pakistanischen Streitkräfte.

Der dreiste Überfall auf die pakistanische Marine-Luftwaffenbasis PNS Mehran in der Hafenstadt Karatschi wirft eine Reihe wichtiger Fragen auf. In der Nacht vom Sonntag zu Montag hatten laut Angaben von Innenminister Rehman Malik sechs Terroristen im Alter von 18 bis 20 Jahren den Stützpunkt mit Raketen und Handgranaten angegriffen. Vier von ihnen wurden dabei getötet, zwei flüchteten. Zehn Militärangehörige kamen bei den mehr als 15 Stunden dauernden Gefechten ums Leben, 15 wurden verletzt. Elf Chinesen und sechs US-Amerikaner blieben unversehrt. Pakistan verlor einen Hubschrauber und zwei von den USA gelieferte, je bis zu 100 Millionen Dollar teure »P3C Orion«-Flugzeuge, die der Luftaufklärung über See dienten.

Angeblich hat sich die militante Gruppe Tehrik-e-Taliban Pakistan zu dem Anschlag bekannt. Das wirft die erste Frage auf: Handelten die Angreifer auf eigene Faust oder gab es Mitwisser und Helfer im Militär oder aus Kreisen des Geheimdienstes ISI? Immerhin ist Mehran eine der am besten geschützten Militäranlagen Pakistans. Zudem wurden nach dem Tod Osama bin Ladens die Sicherheitsmaßnahmen überprüft und verschärft. Waren dabei absichtlich Schlupflöcher übersehen worden? Die mit Raketenwerfern, AK-47-Gewehren, Handgranaten, Nachtsichtgeräten und Schusswesten bestens ausgerüsteten Terroristen sollen durch einen Abwasserkanal auf das Gelände gelangt sein. Auf die Streitkräfte Pakistans fällt nach dem Osama-Desaster mit der peinlichen Schlappe vom Wochenbeginn erneut ein zweifelhaftes Licht.

Die Extremisten bestätigten mit diesem Anschlag, dass sie zu jeder Zeit an jedem Ort zuschlagen können. Was sie übrigens auch taten, als Osama noch lebte und Vergeltung nicht als Begründung herhalten konnte. Erst Mitte Mai hatten sie beim Selbstmordanschlag auf eine Kadettenausbildungseinrichtung im nordwestpakistanischen Shabqadar 89 Menschen mit in den Tod gerissen und 140 verletzt.

Pakistans Premier Jusuf Raza Gilani hat bei seinem gerade beendeten China-Besuch erklärt, der Kampf gegen den Terrorismus sei nicht »Pakistan-spezifisch, sondern ein globales Problem«, das international bekämpft werden müsse. Trotzdem steht Pakistan immer wieder im Brennpunkt, weil es offensichtlich zu lange als Brutstätte und Hort für militante Extremisten und Fundamentalisten fungierte. Gilani verwies in Peking darauf, dass »während dieses Krieges« bislang 30 000 pakistanische Zivilisten und 5000 Soldaten getötet wurden. Diese Zahlen muss Islamabad nahezu täglich korrigieren.

Verständlicherweise ist nun nach Mehran die Frage wieder aktuell, wie sicher das pakistanische Atomarsenal eigentlich ist. Rahul Roy Chaudhury vom Internationalen Institut für Strategische Studien in London stellte sie am Montag. Er meinte damit nicht nur die Startrampen, Atomsprengköpfe und Raketen, sondern auch die Forschungseinrichtungen und Anlagen zur friedlichen Nutzung von Kernkraft. Könnte es dort nicht auch durch den Tod Osamas radikalisierte Mitarbeiter geben, die ihr Insider-Wissen über die Sicherheitssysteme den »Dschihadis«, Taliban oder Al Qaida zur Verfügung stellen? Auch wenn Pakistans Atomwaffen als »Kronjuwelen« des Militärs – vor allem, um den Nachbarn Indien von »Abenteuern« abzuhalten – gelten, bleibt die Frage berechtigt, ob dort die Infiltration staatsfeindlicher Kräfte unmöglich ist. Shireen Mazari, eine bekannte Strategieexpertin, kann darauf auch keine schlüssige Antwort geben, obwohl sie glaubt, das Nuklearprogramm seit gut behütet, ausgereift, robust, selbsttragend und aus Sicherheitsgründen weit verstreut.

Premier Gilani schätzte seinen Besuch in China als »mehr als erfolgreich« ein. Er weilte anlässlich der Feierlichkeiten zum 60. Jahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Peking und Islamabad in China und lobte die »Allwetterfreundschaft«. Es gebe keinen verlässlicheren Partner für Pakistan als China. Der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus war eines der Hauptanliegen bei dieser Staatsvisite. Die chinesische Führung ließ nach dem Tod Osama bin Ladens keinen Zweifel daran, dass sie unerschütterlich an Pakistans Ernsthaftigkeit glaubt, das Übel des Terrorismus auszurotten.

Zuvor war Präsident Asif Ali Zardari zu seinem ersten Besuch in Russland. Auch dabei standen ein koordiniertes Vorgehen gegen terroristische Aktivitäten sowie gegen Drogenschmuggel im Fokus. Moskau und Islamabad schlugen ein neues Kapitel ihrer Beziehungen auf, die über Jahrzehnte vom Kalten Krieg und von der pakistanischen Unterstützung für die afghanischen Mudschahedin geprägt waren. Moskau will jetzt mit Pakistan an einer Stabilisierung der zentralasiatischen Region arbeiten.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2011


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