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Massaker in Pakistan

Sunnitische Extremisten führen Krieg gegen die schiitische Minderheit. Über 400 Tote im vergangenen Jahr

Von Knut Mellenthin *

Mindestens 93 Menschen wurden am Donnerstag in Quetta, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Belutschistan, durch Bombenanschläge getötet. Die Zahl der Toten kann noch steigen, da sich von den rund 270 Verletzten noch zehn bis zwölf in Lebensgefahr befinden.

Die meisten Opfer, 81, starben bei einem Doppelanschlag in einer schiitischen Wohngegend der Stadt. Nach dem Ermittlungsstand hatte zunächst ein Selbstmordattentäter ein Billardzentrum betreten und dort eine Explosion ausgelöst. Zehn Minuten später, nachdem Polizei, Helfer und Kamerateams am Tatort eingetroffen waren und sich eine große Menschenmenge gebildet hatte, wurde eine Autobombe gezündet.

Zu dem Massaker bekannte sich kurz darauf die um 1980 gegründete, seit 2001 verbotene sunnitisch-fundamentalistische Organisation Laschkar-e-Jhangwi. Ziel des Doppelanschlags war offenbar die schiitische Minderheit Pakistans, zu der nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen zehn und 20 Prozent der Landesbevölkerung gehören. Die meisten Toten und Verletzten gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara, die überwiegend in Westafghanistan lebt und einen Dialekt der iranischen Landessprache Farsi spricht. Hazara begannen schon vor über hundert Jahren nach Pakistan einzuwandern; in den letzten Jahrzehnten kamen Flüchtlinge aus dem afghanischen Bürgerkrieg hinzu.

Bei Anschlägen und Überfällen auf die schiitische Bevölkerungsgruppe Pakistans wurden im vergangenen Jahr über 400 Menschen getötet, mehr als jemals zuvor. Ziele der Mörder sind Moscheen, religiöse Umzüge, Busse mit Pilgerfahrern, aber auch Märkte und andere stark frequentierte Punkte in Wohngegenden.

Wenige Stunden vor dem Doppelanschlag vom Donnerstag waren auf einem Markt in Quetta zwölf Menschen bei einem anderen Attentat getötet worden. Zu diesem »bekannte« sich eine der militanten Separatistengruppen der Provinz, die Vereinigte Belutschische Armee. Es handele sich um eine Vergeltung für verschiedene Operationen des Grenzkorps, einer paramilitärischen Formation der Sicherheitskräfte. Die Bombe war zwar unter einem Jeep angebracht, der zum Grenzkorps gehörte, aber die Mörder waren ohne jede Rücksicht auf die Bevölkerung vorgegangen: Mit ein oder zwei Ausnahmen waren alle Toten und Verletzten Kunden oder Händler des zu dieser Zeit stark besuchten Marktes.

Noch unklar sind Ursache und Hintergrund einer weiteren Detonation, die sich ebenfalls am Donnerstag in Mingora, der Hauptstadt des nordwestpakistanischen Bezirks Swat, ereignete. Dabei starben 21 Menschen im Zentrum einer islamischen Gemeinde, das sowohl als Ort religiöser Versammlungen wie auch als Ausbildungsstätte für Geistliche diente. Nachdem zunächst von einer Gasexplosion ausgegangen worden war, war später von einer Bombe die Rede. Es gibt allerdings weder eine »Bekennererklärung« noch Vermutungen, wer ein Motiv für einen Anschlag auf diese Gemeinde gehabt haben könnte. Swat steht unter Militärkontrolle, seit die Sicherheitskräfte im Jahre 2009 mit einer mehrwöchigen Offensive bewaffnete islamistische Fundamentalisten aus dieser Region vertrieben hatten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 12. Januar 2013


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