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Angriffe und Anschläge

Pakistan: Selbstmordattentäterin in Khar. USA wollen grünes Licht für Sondereinheiten

Von Knut Mellenthin *

Mindestens 43 Menschen kamen am Samstag (25. Dez.) bei einem Anschlag in der nordwestpakistanischen Stadt Khar ums Leben. Eine mit einer Burka bekleidete Frau hatte sich an einer Verteilstelle für Lebensmittel in die Luft gesprengt. Es gilt als erstes eindeutig bewiesenes Selbstmordattentat einer Frau in Pakistan. Khar ist der Hauptort von Bajaur, einer der sieben Verwaltungseinheiten, in die die sogenannten Stammesgebiete unterteilt sind.

Der Sprecher der pakistanischen Taliban, Azam Tariq, erklärte zu dem Anschlag: »Alle den Taliban feindlichen Kräfte, wie Laschkars, Armee und Sicherheitskräfte, sind unsere Ziele.« Laschkars sind zeitlich befristete Stammesmilizen, die für bestimmte Aufgaben gebildet werden. Die pakistanische Regierung bemüht sich seit zwei Jahren, meist unter Anwendung sowohl von Zwangsmaßnahmen als auch Bestechung, die Stämme zur Gründung von Laschkars gegen die Taliban zu veranlassen. Da diese Milizen jedoch erheblich schlechter bewaffnet und organisiert sind als die Streitkräfte, bilden sie ein bevorzugtes »weiches Ziel« für Angriffe der Taliban. Der Anschlag vom Sonnabend ereignete sich im Gebiet der Salarzai, die 2008 als einer der ersten Stämme eine Laschkar gebildet hatten.

Am Freitag (24. Dez.) hatten örtliche Taliban in Mohmand ihre seit Monaten größte koordinierte Operation unternommen. Rund 150 Bewaffnete griffen fünf Stützpunkte des Frontier Corps nahe der Grenze zu Afghanistan an. Das Corps ist eine Hilfstruppe, die bis auf ihre Offiziere nur aus einheimischen Paschtunen besteht. Bei den Kämpfen kamen nach offiziellen Angaben elf Angehörige des Corps und 24 Angreifer ums Leben. Die Taliban behaupten dagegen, sie hätten zwölf Soldaten getötet, zwei gefangengenommen, einen Stützpunkt erobert und selbst nur zwei Mann verloren. Sowohl in Bajaur als auch in Mohmand hatte die Armee seit 2008 mehrere Offensiven durchgeführt. Danach behauptete sie, die Gebiete fest unter Kontrolle zu haben.

Indessen hält die US-Regierung an ihrer ständig wiederholten Forderung fest, Pakistan müsse im Kampf gegen die Rebellen »mehr tun«. Die New York Times berichtete am 20. Dezember, daß hochrangige amerikanische Militärs darauf drängen, von Washington grünes Licht für Operationen ihrer Sondereinheiten auf pakistanischem Gebiet zu bekommen. Als eine Aufgabe solcher Einsätze wurde genannt, Kommandeure der Aufständischen gefangenzunehmen und sie zum »Verhör« über die Grenze zu verschleppen.

Schon jetzt führt nach Informationen der New York Times eine aus afghanischen Paschtunen gebildete Truppe im Auftrag des US-Militärs Operationen auf pakistanischem Gebiet durch. Bisher seien diese offiziell als reine Informationssammlung bezeichnet worden, doch gebe es in letzter Zeit auch Berichte über Kampfeinsätze. Ein NATO-Sprecher erklärte zum Bericht der New York Times, daran sei kein Wort wahr.

* Aus: junge Welt, 27. Dezember 2010


Krieg in Pakistan

Von Olaf Standke **

Es war eine junge Frau in einer Burka, die sich am Wochenende in einem Zentrum für internationale Nahrungsmittelhilfe in Khar in die Luft sprengte – und fast 50 Unschuldige mit in den Tod riss. Selbstmordanschläge durch Frauen sind selten in Pakistan. Der am Wochenende soll erst der dritte gewesen sein. Doch war das Attentat nur eines von vielen im ablaufenden Jahr. Islamistischer Terror erschüttert die Atommacht in Südasien immer wieder. Hunderte Menschen starben, vor allem im Grenzgebiet. Auch dieses Mal übernahmen die Taliban die Verantwortung – und haben ihr Ziel wohl erreicht: Die Angst im Lande wächst, so wie die Not, musste das UN-Welternährungsprogramm doch seine Lebensmittellieferungen aus Sicherheitsgründen einschränken. Die Helfer versorgen Hunderttausende Menschen, die durch die gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Taliban und die Flutkatastrophe aus ihren Heimatdörfern fliehen mussten.

Während der internationale Fokus in dieser Region vor allem auf Afghanistan liegt, wird oft vergessen, dass auch in Pakistan Krieg herrscht. Etwa 6800 Menschenleben hat er nach Schätzungen von Konfliktforschern allein in diesem Jahr gefordert und damit über 2000 mehr als im Vorjahr. Und nicht wenige starben dabei nicht durch die Hand der Islamisten, sondern durch US-amerikanische Drohnenangriffe. Oft unschuldige Zivilisten wie am Wochenende in Khar.

** Aus: Neues Deutschland, 27. Dezember 2010 (Kommentar)


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