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"Pakistans Krebs"

Gewaltiger Sprengstoffanschlag in Islamabad: Mindestens 60 Tote und 250 Verletzte. Präsident Zardari will sich von Terroristen nicht einschüchtern lassen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Islamabad, die pakistanische Hauptstadt, hat wahrlich schon Dutzende Bombenattacken radikaler militanter Gruppen erlebt. Aber was am Samstag gegen 20 Uhr Ortszeit vor dem Marriott-Hotel geschah, stellt alles bislang Dagewesene in den Schatten. Mit dem Zünden einer »Superbombe« regierte ein Selbstmordattentäter auf die wenige Stunden zuvor von Präsident Asif Ali Zardari vor beiden Kammern des Parlaments gehaltene Ansprache. Darin hatte er seine Entschlossenheit bekräftigt, von pakistanischem Gebiet aus keine terroristischen Aktivitäten mehr zuzulassen.

Wie Augenzeugen berichteten, preschte am Abend ein großer, mit einer Tonne Sprengstoff beladener Lkw bis vor das Haupttor des 290-Zimmer-Hotels, das zur US-amerikanischen Hotelkette Marriott gehört. Der Attentäter zündete den gewaltigen Sprengsatz vor dem Gebäude. Dieser schuf einen zehn Meter tiefen Krater mit einem Durchmesser von 25 Metern. Das Hotel ging in Flammen auf. Dutzende geparkte Autos wurden durch die Luft geschleudert und zu Schrott zerfetzt. Verzweifelte Hotelgäste sprangen aus den Fenstern. Die Angaben über die Zahl der Toten reichen von 60 bis 80, unter ihnen ist auch der tschechische Botschafter. Mindestens 250 Gäste und Hotelangestellte sowie Passanten erlitten Verletzungen. Die Decke des Bankettsaales fiel herunter. Die Außenmauern des Hotelgeländes, Lobby und Korridore stürzten ein. Am Sonntag waren Rettungsmannschaften noch immer im Einsatz. Es wurde befürchtet, daß das Gebäude ganz einstürzt. Es war bereits 2005 und 2007 Ziel von Sprengstoffüberfällen, wenn auch mit weniger katastrophalen Folgen.

Experten wollen Spuren entdeckt haben, die angeblich die Handschrift der Organisation Al-Qaida erkennen lassen. In einer Fernsehansprache nach Mitternacht nahm Präsident Asif Ali Zardari Stellung zu der beispiellosen Attacke. Er bezeichnete den Terrorismus als »Pakistans Krebs«, den Regierung und Volk mit Gottes Hilfe ausmerzen werden. »Wir lassen uns von den Feiglingen nicht abhalten,« sagte er und rief dazu auf, aus dem Schmerz Kraft entstehen zu lassen. Vier Stunden vor der Explosion hatte Zardari seine erste Ansprache vor beiden Häusern des Parlaments gehalten und darin betont: »Wir müssen Terrorismus und Extremismus ausrotten, wo auch immer und wann auch immer sie ihr schmutziges Haupt erheben.« Die Regierung solle fest in ihrem Entschluß bleiben, nicht zu erlauben, dass von pakistanischem Boden terroristische Aktivitäten gegen ein anderes Land ausgehen.

Die Reaktion auf diese Bemerkungen folgte mit dem Zünden der »Superbombe« sozusagen auf dem Fuße. Vor dem Hintergrund der US- und NATO-Überfälle in den letzten Wochen auf pakistanisches Hoheitsgebiet, die den Tod von Zivilisten zur Folge hatten, versicherte Zardari mit Nachdruck, daß Pakistan die Mißachtung seiner Souveränität keiner Macht erlauben werde -- »auch nicht im Namen, Terrorismus zu bekämpfen.« Dafür erhielt er stürmischen Applaus der Abgeordneten. Ähnliche Erklärungen hatten vor ein paar Tagen schon Armeechef Ashfaq Parvez Kayani und Premier Jusuf Raza Gilani abgegeben.

Islamabad steht vor der schweren Aufgabe, einerseits »enger Verbündeter« Washingtons im »Kampf gegen den internationalen Terrorismus« zu bleiben, und andererseits einen Kurs gegenüber militanten Extremisten einzuschlagen, der sich von dem unterscheidet, den Präsident und General a.D. Pervez Musharraf verfolgte. Zu bewähren hat sich eine neue »Dreifachstrategie« der Regierung: Frieden mit jenen Kräften zu schließen, die die Waffen niederlegen und zu Verhandlungslösungen bereit sind; soziale und ökonomische Entwicklung in den fast autonomen Stammesgebieten entlang der afghanischen Grenze; unerbittliches Vorgehen gegen hartgesottene und unbelehrbare Militante. Auf deren Konto gehen allein in diesem Jahr 1300 Tote.

* Aus: junge Welt, 22. September 2008

Zardaris Dilemma

Von Olaf Standke **

Kaum hatte Pakistans neuer Präsident Asif Ali Zardari in seiner ersten Rede vor dem Parlament dem Terrorismus den Kampf angesagt, kam die wohlkalkulierte Antwort. Der Anschlag auf den Sündenpfuhl »Marriott« hat nicht nur die Grundfesten eines der am besten gesicherten Gebäude in Islamabad unweit der Präsidentenresidenz erschüttert. Das ganze Land droht destabilisiert zu werden. Zumal es an diesem Wochenende nicht nur die über 50 Todesopfer eines Selbstmordattentäters in der Hauptstadt gab, in Nordwasiristan starben bei einem Anschlag 17 Menschen. Ob das nun die Handschrift Al Qaidas oder der Taliban war, die neue Führung der Atommacht Pakistan steht gleichsam vor der Quadratur des Kreises. Sie hat über weite Teile des Landes keine Kontrolle, will im Kampf gegen die militanten Radikalislamisten den von ihr heftig kritisierten Kurs von Zardari-Vorgänger Musharraf ändern und zugleich enger Verbündeter Washingtons im globalen Anti-Terrorkrieg bleiben, obwohl die Kritik an den Übergriffen der US-Truppen auf pakistanisches Territorium immer lauter wird. Sie muss gegen unbelehrbare Extremisten unerbittlich vorgehen, den Frieden mit jenen suchen, die zu Verhandlungen bereit sind, und endlich die wirtschaftliche wie soziale Entwicklung in den halbautonomen Stammesgebieten entlang der afghanischen Grenze vorantreiben. Und dabei ist diese Regierungskoalition selbst überaus fragil.

** Aus: Neues Deutschland, 22. September 2008




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