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Protest nach Massaker in "Koranschule"

Militärschlag in der pakistanischen Region Bajur mit 80 Toten lässt viele Fragen offen

Von Hilmar König, Delhi *

Die Bombardierung einer angeblichen Koranschule im pakistanischen Stammesgebiet nahe der afghanischen Grenze am Montag schlägt weiterhin hohe Wellen des Protests. Präsident Pervez Musharraf rechtfertigte die Militäraktion einen Tag später als Schlag gegen den Terrorismus. Bei dem Raketenhagel auf den Gebäudekomplex nahe der Stadt Khar in der Region Bajur waren 80 Menschen getötet worden. Nach Islamabads Version handelte es sich ausschließlich um Kader, die mit militärischer Ausbildung befasst waren. General Musharraf unterstrich das am Dienstag auf einer Veranstaltung in Islamabad. »Wenn jemand sagt, es wären unschuldige Taliban (Religionsschüler) gewesen, dann lügt er«, äußerte er. Man habe sie rund eine Woche lang beobachtet und genau gewusst, was sie tun. Sie wären an Waffen ausgebildet worden.

»Lateralschäden«, so ergänzte Militärsprecher Generalleutnant Shaukat Sultan, habe es nicht gegeben. Präsident Musharraf unterstrich, Terrorismus müsse mit Macht bekämpft werden. Extremismus hingegen sei eine »Geisteshaltung«, die eine andere Strategie erfordere. Dazu gehörten neben militärischer Härte politische Elemente, ordentliches Regieren und Verwalten sowie sozialökonomische Maßnahmen.

Drei Überlebende widersprachen der offiziellen Darstellung von dem Angriff: Es seien Lehrer und Schüler getötet worden, mindestens 30 von ihnen unter 15 Jahre alt. Der 22-jährige Abu Bakr behauptete, sie alle seien dort gewesen, »um Allahs Religion zu lernen«. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verlangte eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse. Entsprechende Teams und auch Journalisten sollten sich vor Ort ein Bild davon machen dürfen, was tatsächlich passiert ist. Exgeneralleutnant Talat Masud fragte nach dem Sinn der Bombardierung, wenn die freiliegenden Gebäude doch von Truppen hätten umzingelt und die Insassen zum Aufgeben gezwungen werden können.

Trotz Islamabads Dementi hält sich das Gerücht, die Angriffe seien durch USA-Dronen erfolgt. Sprecher Sultan hatte anfangs erklärt, man habe sich auf USA-Geheimdienstinformationen gestützt. Doch nahm er diese Aussage später zurück. Die USA seien in keiner Weise involviert gewesen. Sultan widersprach auch der Auffassung, der Schlag habe sich gegen Al-Qaidas Nummer 2, Ayman al-Zawahiri, gerichtet, auf den ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar gesetzt ist. Im Frühjahr dieses Jahres war Osama bin Ladens Stellvertreter nur knapp einer Militäraktion in der Region Bajur entkommen.

Die massiven Proteste am Dienstag richteten sich zum großen Teil gegen die USA. In der Region Bajur waren über 10 000 Menschen auf die Straßen gegangen. Sie riefen »Nieder mit Bush« und »Tod den USA«. Auch in Peshawar und anderen Gebieten der Nordwest-Grenzprovinz, in Multan, Lahore, Karatschi und in der Region Kyber-Pass kam es zu Protestaktionen. Die Demonstranten riefen zum Dschihad gegen die USA und zu Selbstmordanschlägen gegen die pakistanischen Sicherheitskräfte auf.

Die Protestierenden genießen die Unterstützung der oppositionellen religiös-politischen Allianz Muttahida-Majlis-e-Amal (MMA), die 60 der 342 Parlamentsabgeordneten stellt. Ihr Chef, Qazi Husain Ahmed, reiste in die Region. Die MMA ist der Meinung, Musharraf habe nach dem 11. September 2001 vor Washington kapituliert und die jüngste Aktion sei auf Druck der USA erfolgt.

USA-Präsident George W. Bush hatte im September bei einem Treffen zwischen dem afghanischen und dem pakistanischen Präsidenten Islamabad gemahnt, im »Kampf gegen den internationalen Terrorismus« nicht nachzulassen. Anfang September hatte die Regierung Pakistans mit der Stammesregion Nordwasiristan ein Abkommen über Zusammenarbeit und zur Einschränkung von Kämpfen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet geschlossen. Ein ähnlicher Vertrag soll mit der Bajur-Region vorbereitet worden sein, dürfte jedoch nach der Bombardierung der »Koranschule« vorerst auf Eis liegen.

* Aus: Neues Deutschland, 2. November 2006


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