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Muslimische US-Bürger vor pakistanischem Kadi

Anklage wegen "geplanter Anschläge". Zahl der Toten vom Neujahrsattentat weiter gestiegen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

In Pakistan müssen sich seit Montag (4. Jan.) fünf US-Bürger vor einem »Antiterrorgericht« verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, Anschläge geplant zu haben. Die Staatsanwaltschaft will gegen die muslimischen US-Bürger aus dem Großraum Washington lebenslange Haftstrafen verhängen lassen. Sie waren Anfang Dezember in der ostpakistanischen Stadt Sargodha verhaftet worden. Ihre Festnahme hatte zu erneuten Spekulationen geführt, es reisten zunehmend Bürger westlicher Staaten nach Pakistan, um sich dort Aufständischen anzuschließen.

Die Männer im Alter von 19 bis 25 Jahren wiesen die Vorwürfe bei der Anhörung am Montag zurück. Sie hätten weder innerhalb noch außerhalb Pakistans Anschläge durchführen wollen, sagte ihr Anwalt Ameer Abdullah Rokri. Sie hätten lediglich ihren muslimischen Brüdern in Afghanistan helfen wollen, die Opfer westlicher Kräfte geworden seien. Behördenangaben zufolge hatten die Verdächtigen eine Karte von einer Anlage in der bevölkerungsreichen Provinz Punjab bei sich, in der sich ein Wasserreservoir befindet.

Unterdessen teilte die pakistanische Polizei mit, daß bei dem Selbstmord­attentat am Neujahrstag in dem Dorf Shah Hasan Khel im Nordwesten des Landes 99 Menschen getötet wurden und sich 87 Verletzte noch in Hospitälern befinden. Der Attentäter hatte während eines Volleyballspiels ein Fahrzeug auf dem Sportplatz zur Explosion gebracht. Einwohner des Ortes hatten zuvor ein lokales »Friedenskomitee« gebildet, das das pakistanische Militär im Kampf gegen die Aufständischen unterstützt. Es veranstaltete auch die Volleyballpartie. Nunmehr kritisierte der Sprecher des Komitees, Mushtaq Ahmad, die Behörden der Region. Zum Zeitpunkt des Anschlags seien in dem Dorf keine Sicherheitskräfte oder Polizisten im Dienst gewesen. »Die Polizisten, die bei dem Anschlag getötet wurden, haben sich privat das Spiel angesehen«, so Ahmad.

Das Dorf liegt im Distrikt Lakki Marwat, der an die Region Südwasiristan grenzt. Dort führt die Armee seit Oktober 2009 eine Militäroffensive gegen die Taliban und mit ihnen verbündete Stammesmilizen durch. Die pakistanische Zeitung Daily Times konstatierte, trotz der Offensive gebe es kein Zeichen von Schwäche der »Dschihadi« (Glaubenskrieger). Diese würden ganz im Gegenteil noch wütender zurückschlagen. Der Anschlag war der schwerste in Pakistan seit mehr als zwei Monaten. Nach Angaben von Bezirkspolizeichef Mohammed Ayub Khan wurden bereits mehr als 40 Verdächtige festgenommen und »befragt«. Die Ermittler gehen demnach davon aus, daß der Attentäter aus Südwasiristan kam.

In Nordwasiristan nahe der afghanischen Grenze griffen am Sonntag (3. Jan.) mit Raketen bestückte US-Drohnen an. Nach Angaben pakistanischer Geheimdienstkreise wurden dabei mindestens zwei Menschen getötet. Ein Geschoß schlug in ein Haus im nordwasirischen Mir Ali ein. Es war vorerst nicht klar, ob es sich bei den Toten um Rebellen oder Zivilpersonen handelt. Die USA bombardieren seit Monaten Ziele in pakistanischen Provinzen. Offiziell werden die Übergriffe auf fremdes Territorium nicht bestätigt.

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2010


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