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Nachbarschaft mit Spannungen

Pakistans Präsident besucht Afghanistan. Abkommen soll Grenzgebiet befrieden

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Während im Süden Afghanistans die ISAF-Offensive »Operation Medusa« auf vollen Touren läuft und verlustreiche Gefechte zwischen der NATO-Streitmacht und Taliban-Kommandos gemeldet werden, wagte sich Pakistans Präsident General Pervez Musharraf am Mittwoch zu einem zweitägigen Besuch nach Kabul. Im Reisegepäck hatte er ein am Vortag in der pakistanischen Region Nordwasiristan erzieltes Abkommen zur Entspannung der Lage im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet.

Mitte Februar, beim letzen Besuch des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai in Pakistan, war es fast zum Eklat gekommen, als dieser seinen Gastgebern eine Liste mit den Namen von 150 Taliban-Mitgliedern vorlegte, die in Pakistan Unterschlupf gefunden haben sollen. Die Liste enthielt Adressen und Telefonnummern. Kabul erhob damit den Vorwurf, daß Pakistan nicht genug unternehme, den Taliban und Kadern von Al Qaida das Handwerk zu legen. Islamabad reagierte sauer. Musharraf sagte, es handele sich um völlig veraltete Informationen. Seine Sicherheitsleute verwiesen darauf, daß an der über 2000 Kilometer langen pakistanisch-afghanischen Grenze 80000 pakistanische Soldaten stationiert und über 350 von ihnen in den letzten drei Jahren bei Kämpfen mit Grenzgängern der Taliban, Al Qaida und paschtunischen Stammesmilizen gefallen seien. Außerdem habe Islamabad immerhin rund 700 Leute der Al Qaida dingfest gemacht und an die USA ausgeliefert.

Aber Kabul hält an der Meinung fest, der Hauptfeind sickere über die pakistanische Grenze ein. In Islamabad hingegen herrscht die verbreitete Ansicht, die Kämpfe seien eine rein innerafghanische Angelegenheit. Kabul solle sein eigenes Haus in Ordnung bringen, ehe es den Nachbarn beschuldige. Die Karsai-Regierung habe über große Teile des Landes keinerlei Kontrolle. Obendrein säßen unter den afghanischen Entscheidungsträgern Leute mit krimineller Vergangenheit und Beziehungen zum Drogenhandel in Toppositionen. Die gegenseitigen Beschuldigungen stehen im Raum. Beide Seiten werden um das brisante Thema beim jetzigen Staatsbesuch gewiß keinen Bogen machen, zumal der Verdacht nicht ausgeräumt ist, Osama bin Laden und die Taliban-Spitze hielten sich noch immer auf paschtunischem Gebiet Pakistans versteckt.

Deshalb wird Kabul brennendes Interesse an Details des jüngsten Abkommens zeigen. Es wurde am Dienstag in Miranshah, der wichtigsten Stadt in Nordwasiristan, auf einer »Grossen Versammlung« von Stammesführern in Anwesenheit von Regierungsbeamten, islamischen Gelehrten und lokalen Mudschahedin unterzeichnet, die aus ihrer Sympathie für die Taliban kein Geheimnis machen. Islamabad will damit wieder Ruhe in einen Teil des paschtunischen Stammesgebietes bringen. Es legt fest, daß Sicherheitskräfte und staatliche Einrichtungen nicht mehr von den Milizen attackiert werden und daß diese ihre grenzübergreifenden Operationen einstellen. Wie es Stammestradition ist, dürfen sie Waffen tragen, doch schweres Rüstungsgerät ist verboten. Von den Milzen erbeutetes Eigentum des Staates wird zurückgegeben.

Die Regierung verpflichtet sich, die Armeekontrollposten und Bunker im Stammesgebiet zu beseitigen, die Militäroperationen einzustellen und alle während der Kämpfe Festgenommenen freizulassen. Die in Nordwasiristan lebenden Ausländer haben Pakistan zu verlassen oder zumindest jeglichen militanten Aktionen abzuschwören und die Gesetze zu respektieren. Bereits am Dienstag sollen 132 Stammesangehörige freigelassen worden sein und ein Abzug von Truppenteilen begonnen haben. Ob der Pakt tatsächlich die Lage im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet entspannt und sich auf die Kämpfe im Süden Afghanistans auswirkt, bleibt jedoch abzuwarten.

* Aus: junge Welt, 6. September 2006


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