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Die "Richterfrage" lähmt Pakistans Regierung

Koalitionskrach um Wiedereinsetzung entlassener Juristen

Von Hilmar König, Delhi *

Keine 100 Tage währte die nach den Parlamentswahlen vom 18. Februar arrangierte, jedoch von Anfang an zweifelhafte »Hochzeit« zwischen Pakistans Volkspartei (PPP) und der Muslimliga von Nawaz Sharif. Dieser zog in der vergangenen Woche seine neun Minister aus der Koalitionsregierung zurück. Über deren Bestand schwebt nun das Damoklesschwert.

Da beide Parteien trotz einer im März getroffenen Vereinbarung (der »Murree-Deklaration«) unterschiedliche Positionen zur Wiedereinsetzung der von Präsident Pervez Musharraf im November 2007 während des Ausnahmezustands entlassenen Richter und Anwälte einnehmen, war das Zerwürfnis sozusagen programmiert. Der Termin für eine Resolution des Parlaments, die die Juristen wieder in ihre Ämter bringen sollte, wurde bereits zwei Mal abgesagt. PPP-Chef Asif Ali Zardari schob diese Entscheidung immer wieder auf und verlor so inzwischen an Glaubwürdigkeit. Auf der anderen Seite hat die »Bewegung der Richter« am Wochenende in Lahore eine Intensivierung ihrer Protestaktionen angekündigt. Ein »langer Marsch« in der Hauptstadt Islamabad soll am 10. Juni organisiert werden, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Die Bewegung fordert die bedingungslose Wiedereinsetzung von Chefrichter Iftikhar Chaudhary und dessen rund 60 gefeuerten Kollegen.

Die Begeisterung in der Bevölkerung über das gute Abschneiden der PPP und der PML (N), der Muslimliga, bei den Parlamentswahlen ist längst verflogen. Hingegen verbreitet sich die Meinung, dass die Regierung wegen der »Richterfrage« nicht aus den Startlöchern kommt. Dabei besteht enormer politischer Handlungsbedarf – angesichts einer akuten Nahrungsmittelkrise, einer hohen Inflationsrate, eines steigenden Haushaltsdefizits, einer Abwertung der Rupie von zwölf Prozent sowie langer Stromabschaltungen. All diese Probleme, so hoffte die Bevölkerung bislang vergeblich, werde die Koalitionsregierung energisch angehen.

Zardari manövriert indes und bemüht sich, die aus vier Parteien bestehende regierende Allianz zu retten. So wies er Premier Jusuf Gilani an, den Rücktritt der neun Minister der Muslimliga erst einmal nicht zu akzeptieren. Nawaz Sharif hatte ja nicht alle Brücken abgerissen, als er der Regierung in Islamabad zumindest die »Unterstützung von außen« zusicherte. Das würde sicher eine Rückkehr der zurückgezogenen Kabinettsmitglieder einfacher machen. Außerdem bleibt die Volkspartei Partner der Muslimliga in der Regierungskoalition der Provinz Punjab. Auch das gilt als Beleg, dass zwischen beiden Parteien noch ein Rest an gutem Willen zur Zusammenarbeit besteht. Asif Ali Zardari beteuert immer wieder, die Kontakte zu Sharif seien zwar ins Stocken geraten, aber man befinde sich keineswegs auf »Kollisionskurs«. Er strebe nach Aussöhnung mit allen, auch mit alten Gegnern (gemeint ist Musharrafs Partei), »aber nicht auf Kosten Mr. Sharifs«.

Mitte vergangener Woche äußerte der PPP-Chef dann, seine Partei bereite eine Resolution zur »Richterfrage« vor, die auf einer gemeinsamen Sitzung beider Häuser des Parlaments angenommen werden soll. Den Termin dafür ließ er jedoch wieder einmal offen. Während die Muslimliga die Konfrontation mit Präsident Musharraf sucht und damit rechnet, die in ihre Positionen rückkehrenden Richter würden für die Entlassung des Staatsoberhaupts sorgen, will die Volkspartei eben das vermeiden. Deshalb würde die PPP eine Verfassungsergänzung bevorzugen, mit der das Problem grundsätzlich geregelt wird. Nach Ansicht der Partei sollten die jetzt amtierenden Richter nicht entlassen werden. Genugtuung über das Gezerre der »neuen Demokraten« empfindet wohl nur der Staatschef: Pervez Musharraf verhält sich in dieser kritischen Phase abwartend.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Mai 2008


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