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Sharif reicht Singh den Olivenzweig

Pakistans künftiger Premier lädt seinen indischen Amtskollegen zur Vereidigungszeremonie ein

Von Hilmar König *

Während die Wahlkommis­sion Pakistans am Dienstag das offizielle Ergebnis des Votums vom 11. Mai für 249 von 272 Parlamentssitzen verkündete, reichte der künftige Premier Nawaz Sharif seinem indischen Amtskollegen Manmohan Singh den Olivenzweig.

Laut offizieller Bekanntgabe der Wahlkommission ging die Pakistanische Muslimliga-N von Nawaz Sharif aus den Parlamentswahlen mit vorerst 122 Mandaten als stärkste Partei hervor. Ihr folgen abgeschlagen die Pakistanische Volkspartei (PPP) mit 31, die Gerechtigkeitsbewegung (PTI) mit 26, die Bewegung Muttahida Qaumi mit 16, die Jamiat Ulema-e-Islam mit zehn sowie die Jamaat-i-Islami und die PML-F mit je drei Sitzen. Unabhängige Kandidaten gewannen 25 Mandate.

Unterdessen erregte der Premier in spe mit seinen Bemerkungen zum Nachbarn Indien Aufsehen. Er lud dessen Regierungschef zur Vereidigung nach Islamabad ein. Umgehend kommentierten indische Medien das Ereignis mit Vokabeln wie »Olivenzweig« oder »Tauwetter« in den immer noch unterkühlten Beziehungen zwischen den beiden atomar bewaffneten Staaten. Im November 2008 hatte eine Terrorattacke, die von Pakistan ausging, in Mumbai über 160 Menschenleben ausgelöscht und sich verheerend auf den vorsichtig begonnenen Friedensprozeß mit Indien ausgewirkt. Bis heute leidet das Nachbarschaftsverhältnis unter den Nachwehen dieses blutigen Anschlags.

Sharif will einen Neuanfang. Als ihm am Sonntag Singh telefonisch zum Wahlsieg gratulierte, entspann sich ein »langer Plausch«, bei dem sich beide Politiker gegenseitig zu einem Besuch einluden. Am Montag legte Nawaz Sharif auf einer Presskonferenz in Lahore nach: Mißtrauen zwischen Islamabad und Neu-Delhi bestimmten das Verhältnis schon zu lange. Die Befürchtungen auf beiden Seiten müssten endlich ausgeräumt werden. In einem Interview für die Zeitung Hindustan Times erklärte er: »Wir müssen uns treffen und gemeinsam für ein friedliches und prosperierendes Südasien arbeiten.« Doch in indischen Regierungskreisen hält man sich bislang bedeckt. Der Nachrichtendienst Daily News & Analysis meldete am Dienstag, Neu-Delhi wolle erst sehen, was Sharifs Regierung konkret zu den verschiedenen Problemen – darunter Grenzfragen, die Situation am Gletscher Siachen und der Kaschmir-Zwist – vorzuschlagen hat.

Dabei hat Neu-Delhi mit Sharif bislang keine schlechten Erfahrungen gemacht. Im Jahre 1999 empfing er den damaligen indischen Premier Atal Bihari Vajpayee am Grenzkontrollpunkt in Punjab, als dieser mit dem ersten Fahrzeug zur Aufnahme des Busverkehrs zwischen Neu-Delhi und Lahore eintraf. Beide unterzeichneten als Geste guten Willens und als neues Kapitel in den Beziehungen die »Lahore-Deklaration«. Allerdings paßte dieser Kurs den pakistanischen Militärs nicht ins Konzept. Unter Armeechef Pervez Musharraf brachen sie bald danach den Kargil-Konflikt in der Kaschmir-Region vom Zaun, und im Oktober stürzten sie Sharif und zwangen ihn ins saudi-arabische Exil.

Offenbar will die PML-N an das »Tauwetter«« von 1999 anknüpfen. Ihr Chef sagte im Interview für die Hindustan Times, die Lahore-Deklaration sei ein großer Fortschritt und guter Ausgangspunkt gewesen. Er werde einen »Terrorexport von pakistanischem Boden nach Indien nicht erlauben«. Der in Pakistan bestehende Terrorismus sei ein Erbe von Musharraf: »Diktatur nährt Radikalismus und Terrorismus.« Unter seiner Führung werde sich Pakistan für Freundschaft mit Indien engagieren. Er sei zuversichtlich, daß die Streitkräfte mit »an Bord sind, was den Friedensprozeß zwischen beiden Ländern betrifft«. Außerdem trete er dafür ein, die Handels- und Businessbeziehungen zum Nutzen beider Nationen zu fördern und Indien die Meistbegünstigung zu gewähren.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. Mai 2013


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