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Unter Nachbarn

Pakistans Präsident verständigt sich in New York mit Indiens Premier auf einen "Neustart" des Friedensprozesses – und geißelt die US-Besatzer von Afghanistan

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Er habe eine »Brandrede« gehalten, werteten Beobachter der UNO-Vollversammlung in New York am Freitag den Auftritt des pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari. Das Besondere daran: Der Redner geißelte mit den USA seinen in der Vergangenheit – und auch gegenwärtig noch – weltweit engsten Verbündeten überhaupt. Scharf zu verurteilen seien die Angriffe von US-Truppen auf Ziele in seinem Land, so Zardari. Pakistan könne es nicht zulassen, daß sein Territorium »durch unsere Freunde verletzt« werde. Solche Angriffe stärkten nur die Extremisten, die die USA beseitigen wollten, argumentierte er weiter.

Pakistans Präsident spielte darauf an, daß sich in direkter Folge der US-amerikanischen Attacken der Aufstand gegen Islamabad in verschiedenen, Stammesregionen nahe Afghanistan weiter verstärkt hat. Und die Regierung schickt Militär: Nach Angaben der pakistanischen Armee vom Freitag wurden bei ihrer laufenden Großoffensive im westlichen Grenzgebiet zu Afghanistan bereits »mehr als tausend islamistische Kämpfer getötet«, unter ihnen fünf Führer der Aufständischen. Auch auf seiten des paramilitärischen Grenzkorps, so dessen Befehlshaber Tariq Khan am Freitag, seien während eines Einsatzes im Distrikt Bajaur im Nordwesten Pakistans auch 27 Soldaten ums Leben gekommen.

Während sich also die Beziehungen Pakistans zum westlichen Nachbarn, dem von NATO-Truppen unter US-Führung besetzten Afghanistan, offensichtlich zunehmend komplizierter gestalten, versucht Islamabad im Osten des Landes den Konflikt zum verfeindeten Nachbarn dort zu entschärfen– das gilt insbesondere für die Auseinandersetzungen mit Indien in Sachen Kaschmir. Dieses Problem stand auch im Zentrum der ersten Begegnung von Zardari mit Indiens Premier Manmohan Singh. Die Kontrahenten umarmten sich am Donnerstag in New York vor laufenden Kameras und verkündeten, sie wollten den festgefahrenen Dialogprozeß wieder in Gang setzen.

In einer gemeinsamen Erklärung gaben sie zu, daß nach einer Serie von Terroranschlägen und Verletzungen des Waffenstillstands an der Kontrollinie zwischen beiden Kaschmirteilen der Friedensprozeß zwischen den nuklearbewaffneten Nachbarn in den letzten Monaten zum Stillstand gekommen ist. Ihre Absicht sei, diesen Zustand nun zu überwinden und »auf der Basis gegenseitiger Achtung, friedlicher Koexistenz und Nichteinmischung« für eine baldige und vollständige Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern zu wirken. Darin dürfe für Gewalt, Feindschaft und Terrorismus kein Platz sein. Präsident Zardari bekäftigte ausdrücklich, daß er zu der Vereinbarung vom Januar 2004 steht. Darin verpflichtet sich Islamabad, von Gebieten unter pakistanischer Kontrolle keine terroristischen Aktivitäten gegen Indien zu erlauben.

In New York einigten sich beide Seiten zudem auf eine Reihe praktischer Maßnahmen, die zur Entspannung und Vertrauensbildung beitragen sollen. Die Militärführungen beider Staaten werden beauftragt, den Waffenstillstand zu »stabilisieren«. Die Experten des im September 2006 aus der Taufe gehobenen gemeinsamen »Anti-Terror-Mechanismus« sollen sich im Oktober zu einer dringenden Sitzung treffen. Der indo-pakistanische Grenzkontrollpunkt Wagah-Attari wird künftig auch für Gütertransporte auf der Straße und der Grenzbahnhof Kokrapar-Munabao für den Frachtverkehr geöffnet. In der Kaschmir-Region kommt ab 21. Oktober kleiner Grenzhandel über die Routen Srinagar–Muzzafarabad und Poonch–Rawalkot in Gang, so Zardari und Singh am Donnerstag. Danach sprach Pakistans Präsident vor der UNO – und widmete sich den Problemen des Landes mit dem Westen.

* Aus: junge Welt, 27. September 2008


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