Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mehr Geld für Flutopfer

Spendenbereitschaft wächst / Kritik an Kürzung bei Katastrophenhilfe

Von Jörg Meyer *

Geänderte Berichterstattung, Klarheit über das Ausmaß der Katastrophe oder Aufrufe von Politikern – warum steigt die Spendenbereitschaft für Pakistans Flutopfer jetzt an?

Nachdem sie anfangs verhalten agiert haben, spenden die Deutschen immer mehr für die Menschen im von der Flut schwer verwüsteten Pakistan. »Montag hatten wir 800 000 Euro an Spenden, heute ist es schon eine Million«, sagte die Sprecherin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Svenja Koch, am Dienstag gegenüber ND. Zum Vergleich: In den ersten Tagen nach dem Erdbeben in Haiti wurden Millionen gespendet.

Spendenaufruf

"Nach anfänglich grosser Zurückhaltung der Schweizer bezüglich der Naturkatastrophe in Pakistan fliessen jetzt die Spendengelder reichlicher", weiß die Neue Zürcher Zeitung am 13. August zu berichten. In Deutschland herrscht leider weiterhin allergrößte Zurückhaltung. Dabei gibt es wirklich seriöse Organisationen, die für eine sachgerechte Verwendung der Spenden stehen. Wir empfehlen weiterhin das auch von medico international empfohlene Spendenkonto:
Konto-Nr.: 51 51
Bank für Sozialwirtschaft; BLZ 370 205 00
Stichwort: Pakistan



»Viele Leute sind noch im Urlaub, von unterwegs spendet man nicht«, sagte Koch. »Und es war ein Sommer der Katastrophen. Viele Leute sagen sich nach der Loveparade, den Schlammlawinen in China, der Flut hierzulande oder den Bränden in Russland: ›Ich will das alles nicht mehr sehen.‹« Ein dritter Grund sei, dass Pakistan negativ wahrgenommen wird. »Das ist kein friedliches Land. Es gibt Auseinandersetzungen zwischen Taliban und Regierungstruppen und Selbstmordattentate. Die Menschen unterscheiden zwischen menschengemachten und naturgemachten Katastrophen.« Und letztens gehe die Berichterstattung bei anderen Unglücken zurück, was Pakistan zu mehr Aufmerksamkeit verhelfe. Die Rolle der Medien will Koch jedoch nicht überbetonen. »Wir leisten auch Unterstützung in Fällen, von denen nie etwas zu lesen ist. In Haiti waren wir auch drei Jahre vor dem Erdbeben Anfang 2010, nachdem es dort schwere Stürme gegeben hat.« Letztlich liege die Krisenbewältigung aber nicht in den Händen der privaten Spender. Das könnten sie alleine gar nicht schultern, weiß Koch. Die nationalen Roten Kreuze akquirierten immer auch Gelder von ihren Regierungen. Vom Berliner Flughafen Schönefeld startete unterdessen Dienstagnachmittag ein Flugzeug mit 18 Tonnen Hilfsgütern des DRK nach Pakistan.

Auch der Verein Ärzte ohne Grenzen, verzeichnet eine wachsende Spendenbereitschaft. Bis Dienstag seien 250 000 Euro zweckgebundene Spenden für Pakistan eingegangen, sagte Sprecherin Christiane Winje. »Wir vermuten, dass die Aufrufe von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und der Bundesregierung mit dafür gesorgt haben, dass die Spendenbereitschaft gestiegen ist«, so Winje. Genau könne man das aber letztlich nicht sagen. Es sei der Schwenk in der Berichterstattung, meint indes Caritas-Sprecher Achim Reinke. Bis Dienstagvormittag wurden eine Million Euro gespendet, vor vier Tagen waren noch 250 000. Einen Grund für den verhaltenen Spendenbeginn sieht Reinke in der Art der Katastrophe. »Die Folgen einer Überschwemmung deuten sich erst langsam an, während sie bei einem Erdbeben nach kurzer Zeit zu sehen sind.« Bei der Flut in Pakistan seien vier Mal so viele Menschen betroffen wie beim Tsunami Ende 2004. Damals spendeten die Deutschen binnen kurzer Zeit 8,5 Millionen Euro.

Scharfe Kritik äußerten Caritas und Diakonie am Dienstag an den geplanten Kürzungen bei der Katastrophenhilfe durch das Auswärtige Amt. Das Zurückfahren der Gelder von 96 auf 76,8 Milliarden Euro sei der falsche Schritt. Die Kürzung treffe die Ärmsten der Welt, weil das Geld überwiegend für Menschen in »vergessenen Katastrophen« eingesetzt werde, bei denen kaum gespendet werde – beispielsweise Minenopfer in Kolumbien oder an Aids erkrankte in Simbabwe. Bereits Anfang August hatten die beiden kirchlichen Organisationen zusammen mit zwölf weiteren Hilfsorganisationen protestiert.

Spendenkonten: Ärzte ohne Grenzen, Konto 97 0 97, BLZ 370 205 00, Bank für Sozialwirtschaft, Kennwort: Pakistan und andere Krisen; Caritas International, Spendenkonto 202, BLZ 660 205 00. Bank für Sozialwirtschaft, Kennwort: Pakistan; Deutsches Rotes Kreuz, Konto 4141, BLZ 370 205 00, Bank für Sozialwirtschaft, Kennwort: Pakistan.

* Aus: Neues Deutschland, 18. August 2010


Flut bringt die "Erzfeinde" nicht zusammen

Die pakistanische Regierung tut sich schwer mit einem Hilfsangebot des Nachbarlandes Indien

Von Hilmar König **


Indien wartet seit Freitag voriger Woche (13. Aug.) auf eine pakistanische Antwort zum Angebot finanzieller Unterstützung für Opfer der Überschwemmungskatastrophe. Offensichtlich spielen politische Überlegungen die ausschlaggebende Rolle dabei, die Offerte anzunehmen oder abzulehnen.

Der indische Außenminister Somanahalli Mallaiah Krishna hatte am 13. August in einem Telefonat mit seinem pakistanischen Amtskollegen Shah Mehmud Qureshi nicht nur Beileid und Solidarität bekundet, sondern fünf Millionen Dollar Soforthilfe angeboten. Eine spontane Antwort darauf gab es nicht. Im Gegenteil, Qureshis Ministerium verschwieg anschließend in einer offiziellen Mitteilung die Offerte Indiens und erwähnte nur Sympathie- und Solidaritätsbekundungen des Nachbarn.

Schon am 4. August, in der ersten dramatischen Phase der Überschwemmungen, hatte der pakistanische Außenminister Botschafter zu einem Briefing eingeladen und war mit ihnen in Flutgebiete geflogen. Der indische Hochkommissar (Botschafter) war nicht dabei. Journalisten erklärte Qureshi nun ausweichend, Delhi habe angefragt, welche Hilfe erforderlich sei und welche Prioritäten es dabei gebe. Islamabad prüfe das. Auf die Frage, warum man die indische Bereitschaft zur Hilfe nicht umgehend akzeptiere, sagte er: »Unser Verhältnis zu Indien ist anders und angesichts der Empfindsamkeiten … Wie auch immer, die Überschwemmungen sind noch nicht vorüber. Es ist eine sich weiter verschärfende Notsituation, die eine Langzeitstrategie erfordert.«

Die Inder haben inzwischen versichert, zu mehr Hilfe bereit zu sein, die aus »gänzlich humanitären und solidarischen Erwägungen« angeboten werde, eventuell auch durch Kanäle der UNO. Die indischen Medien erinnern daran, dass Islamabad 2005 nach dem Erdbeben im pakistanischen Teil Kaschmirs zunächst auch zögerte, ehe es dann doch etliche Flugzeugladungen, drei Güterzüge und 45 Lkws mit Hilfsgütern akzeptierte, allerdings eine Summe von 25 Millionen Dollar nicht annahm. Sie erwähnen auch, dass die indische Desaster Management Agency über hervorragende Ressourcen verfügt und man von indischer Seite besser in die Katastrophenregion gelangen könnte. Während des Bürgerkrieges in Sri Lanka haben indische »Familienpakete« mit allem Lebensnotwendigen vielen Menschen das Überleben gesichert. Speziell für Notzeiten zubereitete Kekse mit hohem Nährwert stellt Indien seit Langem afghanischen Kindern zur Verfügung. Damit ließen sich jetzt auch bedürftige pakistanische Jungen und Mädchen versorgen.

Indische Friedensaktivisten haben inzwischen in der pakistanischen Stadt Lahore Spenden in Höhe von 30 000 Rupien übergeben. Vinod Sharma, indischer Kopräsident der South Asia Free Media Association, appellierte an Delhi, »Pakistan maximale Unterstützung für die Menschen in den Überflutungsgebieten zu gewähren, weil beide Länder Nachbarn sind und sich in Zeiten der Not stets gegenseitig helfen sollten.«

Doch politische und historische Motive belasten immer wieder das Verhältnis der »Erzfeinde«, die bereits mehrmals Krieg gegeneinander führten. Pakistaner und Inder warten seit Jahren auf Wiederaufnahme des politischen Dialogs, der Frieden und Aussöhnung bringen soll. Selbst in dieser Ausnahmesituation hetzen jedoch entspannungsfeindliche Kreise. In einem Kommentar schrieb die pakistanische Zeitung »Nawa-i-Waqt«, das indische Hilfsangebot sei »heuchlerisch« und streue lediglich »Salz in unsere Wunden.« Es sollte »mit Dank zurückgewiesen werden«. Indien habe Dämme gebaut, um sich zu schützen, und lasse Wasser in pakistanische Flüsse ab, um »Pakistan zu verwüsten, indem es Wasser als Waffe einsetzt«. Als »heuchlerisch« kreidet das Blatt das Angebot des Nachbarn auch an, weil dieser in seinem Kaschmirteil »schreckliche Massaker an wehrlosen Menschen« verübe.

** Aus: Neues Deutschland, 18. August 2010


Pakistan: Es fehlt an allem

Krankheiten breiten sich aus / Flut treibt immer mehr in die Flucht ***

Kein Ende für das Elend in Pakistan in Sicht. Helfer erwarten, dass in dem überfluteten Land noch zahlreiche Menschen erkranken und sterben werden. Sie fordern von der Weltgemeinschaft dringend mehr Hilfe.

Nach der Jahrhundertflut in Pakistan breiten sich unter den Millionen Flüchtlingen Krankheiten aus, Helfer rechnen mit noch mehr Toten. »Wir müssen uns darauf vorbereiten«, sagte der stellvertretende Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Abdullah Assaedi, am Dienstag (17. Aug.) in Islamabad. Die Fluten hätten ein Fünftel der Gesundheitseinrichtungen im Land zerstört oder beschädigt.

In den Fluten starben fast 1500 Menschen, etwa 20 Millionen sind von der Katastrophe betroffen. Ein Fünftel von Pakistan steht nach UNO-Angaben unter Wasser. Die Behörden riefen am Dienstag zur Evakuierung weiterer Dörfer auf.

Der Regionaldirektor des Kinderhilfswerks UNICEF, Daniel Toole, sagte mit Blick auf die drohende Ausbreitung von Krankheiten: »Wir haben nicht Hunderttausende, sondern Millionen Frauen und Kinder, die gefährdet sind.« Auch die ohnehin im Land verbreitete Unterernährung werde nun noch zunehmen.

Die Zeitung »Dawn« berichtete unter Berufung auf Gesundheitsbehörden, ein vierjähriger Junge sei in einem Auffanglager in der südpakistanischen Hafenstadt Karatschi an einer Magen-Darm-Erkrankung gestorben. Ein sechs Tage altes Baby sei durch Tetanus ums Leben gekommen. Ein Arzt sagte »Dawn«, sein Team habe in dem Flüchtlingslager inzwischen bei 400 Menschen hohes Fieber und Magen-Darm-Erkrankungen diagnostiziert.

Nach der Flutkatastrophe fehle es an allem, die Not sei unvorstellbar, mahnte die Vorsitzende der Hilfsorganisation Cap Anamur, Edith Fischnaller, und bat um mehr Spenden für die Bevölkerung. Der humanitäre Koordinator der UNO in Pakistan, Martin Mogwanja, erklärte, die Vereinten Nationen hätten bislang nur 160 Millionen Dollar Soforthilfe erhalten – rund ein Drittel der erbetenen Summe. Die UNO hatte am Mittwoch vergangener Woche 459 Millionen Dollar Soforthilfe angefordert. Auch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) rief die Staatengemeinschaft zu mehr Hilfe für die Flutopfer in Pakistan auf. »Nahrungsmittel, Lastwagen, Hubschrauber und Arbeitskräfte – das alles kostet Geld«, so WFP-Landesdirektor Wolfgang Herbinger. Die Hindernisse bei der Hilfe für Notleidende seien weiterhin »massiv«. Da viele Straßen und Brücken fortgespült wurden, seien viele Gegenden nur per Hubschrauber erreichbar. Lastwagen mit Hilfsgütern müssten große Umwege fahren. »Wir werden eine gewaltige Menge an Geld benötigen«, sagte Pakistans UNO-Botschafter Zamir Akram in Genf. Dass Hilfen in falsche Hände, vor allem an die Taliban, fallen könnten, hält er für ausgeschlossen.

»Massive Mittel« nötig

Die Flutkatastrophe wird nach Einschätzung des Flüchtlingshilfswerks UNHCR immer schlimmer. Die Fluten verwüsteten auf dem Weg nach Süden noch mehr Gebiete und trieben zahlreiche weitere Menschen in die Flucht, warnte die Organisation am Dienstag. Es bestehe die Gefahr, dass die Weltgemeinschaft die Dimension immer noch nicht begriffen habe. Die UNHCR-Reserven an Hilfsgütern schrumpften. »Wir brauchen mehr Hilfsflüge und massive Mittel, um dieser Krise entgegenzutreten, die sich immer noch ausweitet.«

Am Dienstag (17. Aug.) schickte das UNHCR zwei weitere Flugzeuge mit insgesamt 32 Tonnen Hilfsgütern wie Plastikplanen, Moskitonetze oder Seife in die Unglücksgebiete. Am Vortag waren 64 Tonnen dorthin geflogen worden.

Der Einsatz einer militärischen EU-Eingriffstruppe bei Naturkatastrophen wird derweil weiterhin kontrovers diskutiert. Elmar Brok, außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, begrüßte die Idee zum Aufbau solcher Streitkräfte. Beim Einsatz von schwerem Gerät sollte die EU auf gemeinsame Mittel zurückgreifen können, sagte Brok am Dienstag (17. Aug.) im rbb-Inforadio. »Wir sehen immer wieder, dass die Amerikaner sehr viel schneller sind und ein höheres Maß an Sichtbarkeit haben«, so der EU-Parlamentarier. Die Europäer würden dagegen vor allem anonym sehr viel Geld an internationale Hilfsorganisationen verteilen.

Brok reagierte damit auf einen Vorschlag des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Angesichts der Flut in Pakistan hatte Sarkozy EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in einem offenen Brief aufgefordert, eine europäische Eingreiftruppe für Krisenfälle aufzubauen. Damit könnte in Katastrophengebieten wie Pakistan, Haiti oder Russland schnell geholfen werden, erklärte Sarkozy. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel äußerte sich zurückhaltend zum Vorschlag für eine Eingriffstruppe durch die EU. »Das ist keine neue Idee. In Deutschland stoßen wir an verfassungsrechtliche Grenzen«, sagte Niebel im SWR-Interview. Die EU-Kommissarin für Humanitäre Hilfe, Kristalina Georgieva, sprach sich im epd-Gespräch gegen eine militärische Einsatztruppe zum Katastrophenschutz aus. Sie setzt dagegen auf ein europaweites Frühwarnsystem, das allen EU-Mitgliedsstaaten helfen soll, schneller auf Naturkatastrophen zu reagieren und innerhalb weniger Stunden Hilfe zu leisten.

*** Aus: Neues Deutschland, 18. August 2010


Zurück zur Pakistan-Seite

Zur Indien-Seite

Zurück zur Homepage