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Millionen Kinder in Pakistan bedroht

Schmutziges Wasser gefährdet Überlebende / Überschwemmungsgebiete vor Hungerkrise

Sie haben die schlimmsten Überschwemmungen in Pakistan seit Jahrzehnten überstanden und kämpfen nun ums Überleben: Vielen Kindern drohen schwere Krankheiten, so das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA).

Bis zu 3,5 Millionen Kinder seien einem »starken Risiko ausgesetzt«, durch schmutziges Wasser lebensgefährlich zu erkranken, teilte OCHA-Sprecher Maurizio Giuliano mit. Sie seien vor allem von bakteriellen Darminfektionen, Hepatitis, Typhus und Durchfall bedroht. Kinder seien immer »verwundbar«, sie könnten ihren Durst nicht kontrollieren und schreckten auch vor eindeutigem Schmutzwasser nicht zurück, sagte UNICEF-Sprecher Sami Abdul Malik. Von der Überschwemmungskatastrophe in rund einem Viertel des Landes sind 20 Millionen Menschen direkt oder indirekt betroffen. Sechs Millionen Kinder haben in den vergangenen drei Wochen ihre Eltern verloren, sind erkrankt oder ohne Obdach.

Zahlreiche Hilfsorganisationen waren am Montag weiterhin vor allem damit beschäftigt, die Überlebenden mit Trinkwasser und Lebensmitteln zu versorgen. Nach Einschätzung der Hilfsorganisation CARE steht Pakistan »unmittelbar vor einer Hungerkrise«. Eine »Kraftanstrengung ohne Beispiel« sei nötig, um das Schlimmste zu verhindern. Die Verteilung von Essen und Trinken sei bisher »vollkommen unzureichend«, so CARE. Es gebe bereits Berichte über verhungerte Kinder. Das sei »ein schreckliches Warnzeichen für die kommenden Wochen«.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte sich bereits auf einen Ausbruch der Cholera ein. Es würden derzeit Vorbereitungen getroffen, um in diesem Fall 140 000 Menschen helfen zu können, sagte OCHA-Sprecher Giuliano. Bisher bestätigte die UNO nur einen Erkrankungsfall - ein Helfer sagte hingegen, dass bereits mehrere Menschen an der Infektionskrankheit gestorben seien. Im Nordwesten des Landes litten bereits mindestens 36 000 Menschen an Durchfall, einem möglichen Symptom für Cholera, hieß es.

Die Lage in den Katastrophengebieten drohte sich weiter zu verschlimmern: In der südlichen Provinz Sindh fiel in der Nacht zum Montag erneut Dauerregen und überschwemmte mehrere Zeltlager von Überlebenden. Auch in anderen Regionen hielt der Regen an. Viele Menschen machten ihrer Wut über die nach ihrer Ansicht allzu zögerliche Hilfe der Regierung Luft: Hunderte blockierten aus Protest kurzzeitig eine Straße von der Provinz Punjab in die Hafenstadt Karatschi.

Zunehmend kritisch ist die Lage in der Stadt Jacobabad im Süden des Landes. »Wir arbeiten hart daran, das Wasser von Jacobabad wegzulenken«, sagte der pakistanische Sportminister Ijaz Jakhrani am Montag. Jakhrani hält sich derzeit in der Stadt in der Provinz Sindh auf, in der auch sein Wahlkreis liegt. Jakhrani sagte, knapp ein Viertel der zwischen 300 000 und 400 000 Einwohner der Stadt sei in Sicherheit gebracht worden. Die Umgebung von Jacobabad wurde bereits überflutet. Dort ist auch ein Luftwaffenstützpunkt vom Hochwasser bedroht.

* Aus: Neues Deutschland, 17. August 2010

PAKISTAN: 3.5 MILLION CHILDREN AT RISK OF DEADLY DISEASES

Date: 16 Aug 2010

(New York / Geneva / Islamabad: 16 August 2010): As many as three and a half million children in flood-ravaged Pakistan may be at risk of contracting deadly diseases carried through contaminated water and insects, according to the United Nations Children's Fund (UNICEF).

"As in any disaster situation, children are among the most vulnerable", said Martin Mogwanja, Humanitarian Coordinator for Pakistan, "We cannot allow this catastrophe to inflict such a heavy toll on our next generation".

The greatest threats to public health in Pakistan at the current time are certainly from waterborne diseases, which can intensify in precarious hygiene conditions, and when people have limited or poor access to safe water and sanitation services. Diseases like cholera or acute watery diarrhoea, dysentery or bloody diarrhoea, typhoid fever and hepatitis, can all cause excess mortality and morbidity amongst the susceptible populations in the flood-hit areas. There is also an increased risk of malaria and dengue fever, since the stagnant water may provide an ideal breeding ground for mosquitoes — the vector that is responsible for transmission.

"We are still in the process of collecting data, and we can say that the incidence of cases caused by these diseases is increasing, especially among children", said Dr. Guido Sabatinelli, Representative of the World Health Organization (WHO) in Pakistan. "The lack of clean water and the unavailability of medication, in the aftermath of these floods, is a deadly combination. When added to the poor living conditions and the lack of food, which contribute to vulnerability, the picture is alarming".

As a contingency measure, WHO is preparing to assist the Government in responding to prevent any major outbreaks from infectious diseases. Given the very fragile health situation and unpredictability of the developments over the next three months, up to 1.5 million cases of diarrheal diseases (including up to 140,000 of cholera), up to 150,000 cases of measles, up to 350,000 cases of acute respiratory infections, and up to 100,000 cases of malaria can occur in the worst-case scenario. "The contingency plans to react in such circumstances are in place, but we don't have enough funding to meet the immense needs", said Dr. Sabatinelli.

The United Nations Children's Fund (UNICEF) and its partners plan to provide clean water to six million people in flood-torn Pakistan. "Until now, we have been reaching one million people per day", said Omar El-Hattab, chief of the Water, Sanitation and Hygiene (WASH) Section at UNICEF in Islamabad, "but more funds are urgently required in order to reach all those in need".

"If we don't act fast enough, we will soon see a serious wave of death", said Dr. Sabatinelli, "and the toll will be many times higher than that caused by the actual floods". An estimated 1,400 people have died in the floods, according to Government figures.

In the context of the Pakistan Initial Floods Emergency Response Plan (PIFERP), through which the United Nations and its partners plan to complement national relief efforts led by the Government on the immediate short term, US$ 56 million is initially required for health activities, out of which only $ 7 million has been received so far. Activities for water, sanitation and hygiene totalled an initial budget of $ 110 million, but funding presently available is $ 19 million.


Source: Website of United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), 16 Aug 2010; www.reliefweb.int




Bomben verschärfen Katastrophe

Trotz der Überschwemmungen in Pakistan setzen die USA ihre Angriffe gegen Aufständische fort **

In den Katastrophengebieten Pakistans ist keine Entspannung in Sicht, die Behörden warnten vor neuen Überschwemmungen. Am Montag (16. Aug.) regnete es wieder, während Hunderttausende Flutopfer in provisorischen Zelten ausharrten. Der zuständige Minister in der Provinz Sindh, Jaim Saifullah Dharejo, warnte, der Damm im Bezirk Sukkur sei großen Belastungen ausgesetzt. »Die kommenden vier bis fünf Tage sind entscheidend«, sagte er. Bisher wurden durch das Unwetter rund 20 Millionen Menschen in Pakistan obdachlos, 160000 Quadratkilometer, rund ein Fünftel des Landes, sind betroffen. Nach Angaben der Vereinten Nationen kamen bisher 1600 Menschen ums Leben. Es handelt sich um die schlimmste Naturkatastrophe, die das Land je erleiden mußte.

Vor allem der Mangel an sauberem Wasser macht den Helfern zu schaffen. Sie befürchten schwere Durchfallerkrankungen, Typhus sowie den Ausbruch von Gelbsucht. »Kinder bereiten uns die größte Sorge«, sagte UNICEF-Sprecher Sami Abdul Malik. »Wenn sie durstig sind, dann kennen sie nur ihren Durst - sie können das nicht kontrollieren, sie müssen dann Wasser trinken, egal, wie verschmutzt es ist - und dann bekommen sie Durchfall, Cholera, Malaria und andere Krankheiten.« Die Kleinen mit sauberem Wasser und energiereicher Nahrung zu versorgen, sei deshalb das vordringliche Ziel der Helfer. Auch der Hauptgeschäftsführer der Hilfsorganisation CARE, Dr. Anton Markmiller, warnt, daß Pakistan »unmittelbar vor einer Hungerkrise« stehe, wenn nicht eine Kraftanstrengung ohne Beispiel erfolge, um mehr Lebensmittel bereitzustellen. »Die Verteilung von Essen und Trinken ist vollkommen unzureichend«, sagte Markmiller in Bonn. Es gebe bereits erste Medienberichte über verhungerte Kinder. »Das ist ein schreckliches Warnzeichen für die kommenden Wochen.« Pakistan, üblicherweise Exporteur von Reis, »kann seine Bevölkerung zur Zeit nicht ausreichend versorgen.«

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat in diesem Zusammenhang eine Art europäische Eingreifmission für Naturkatastrophen vorgeschlagen. Diese solle durch »nationale Mittel der Mitgliedstaaten« finanziert werden, forderte Sarkozy in einem Brief an EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Frankreich sei bereit, militärische Mittel zu mobilisieren, um im Rahmen der NATO mit Flugzeugen und Schiffen internationale Hilfen nach Pakistan zu bringen, fügte Sarkozy hinzu. Er forderte eine »umfassende Mobilisierung der Europäer«. Es sei »essentiell«, daß die Nothilfe schnell die Menschen vor Ort erreiche. Die EU könne zudem bereits damit beginnen, Wiederaufbaumaßnahmen festzulegen, die als »Instrument der Stabilität« bald nötig würden.

Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) machte am Wochenende im Fernsehen deutlich, worum sich die europäischen Regierungen am meisten Sorgen machen: »Gerade die sofortige Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft ist das beste Mittel, um Islamisten und Taliban den Nährboden zu entziehen.« Angesichts des Versagens der pakistanischen Regierung und der nur zögerlich anlaufenden internationalen Hilfe konnten sich islamische Organisationen als schnelle Helfer vor Ort profilieren. Die Taliban forderten die pakistanische Regierung auf, keine Hilfsgelder aus den USA anzunehmen und kündigten ihrerseits Hilfen für die Flutopfer von 20 Millionen Dollar an.

Die USA setzen unterdessen ihren Krieg gegen die Aufständischen fort und verschärfen dadurch die Lage im Land. Beim Angriff einer US-Drohne im Nordwesten Pakistans wurden nach offiziellen Angaben am Samstag 13 Menschen getötet. Der Angriff auf das Dorf Essori, 20 Kilometer östlich von Miranshah, der größten Stadt von Nord-Waziristan, erfolgte offenbar genau zu dem Zeitpunkt, als sich die Einwohner zum Abendgebet versammelt hatten. Inoffiziellen Schätzungen zufolge wurden wurden durch die US-Angriffe seit Jahresanfang mehr als 1000 Menschen getötet.
(AFP/apn/PL/jW)

** Aus: junge Welt, 17. August 2010


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