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Tausende fliehen vor den Fluten in Pakistan

Südliche Stadt Jacobabad akut bedroht / UNO appelliert zu schneller Auszahlung der zugesagten Hilfsgelder / Furcht vor Cholera-Ausbruch

Wieder müssen Menschen vor der Flut in Pakistan fliehen: Die Wassermassen bedrohen jetzt die Stadt Jacobabad. Trotz der Gefahr weigern sich viele Bewohner, ihr Hab und Gut zurückzulassen. UNO-Generalsekretär Ban kommt in die Krisenregion.

Nach einer Flutwarnung für die südpakistanische Stadt Jacobabad haben die Behörden die etwa 400 000 Einwohner zur Flucht aufgerufen. Tausende Menschen brachten sich am Freitag mit Autos, auf Traktoranhängern oder auf Eselskarren in Sicherheit. Das Hochwasser im Noorwah-Kanal könne jederzeit über die Ufer treten, sagte der Verwaltungschef des Distrikts Jacobabad, Kazim Ali Jatoi. Zahlreiche Bewohner weigerten sich aber, ihre Häuser und Besitztümer zurückzulassen.

Spendenaufruf

"Nach anfänglich grosser Zurückhaltung der Schweizer bezüglich der Naturkatastrophe in Pakistan fliessen jetzt die Spendengelder reichlicher", weiß die Neue Zürcher Zeitung am 13. August zu berichten. In Deutschland herrscht leider weiterhin allergrößte Zurückhaltung. Dabei gibt es wirklich seriöse Organisationen, die für eine sachgerechte Verwendung der Spenden stehen. Wir empfehlen weiterhin das auch von medico international empfohlene Spendenkonto:
Konto-Nr.: 51 51
Bank für Sozialwirtschaft; BLZ 370 205 00
Stichwort: Pakistan



UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon will an diesem Sonnabend (14. Aug.) nach Pakistan reisen. Die Vereinten Nationen forderten ihre Mitgliedsstaaten auf, das zugesagte Geld im Kampf gegen die Flutkatastrophe rascher auszuzahlen. Der Vorsitzende von CARE Deutschland, Heribert Scharrenbroich, verlangte von der Bundesregierung, die bisherige Hilfe von insgesamt zehn Millionen Euro nochmals aufzustocken.

Jacobabad in der Provinz Sindh ist die zweite größere Stadt in Pakistan, die seit Beginn der Flut evakuiert wird. Vor wenigen Tagen waren die 450 000 Bewohner der Stadt Muzaffargarh in der zentralpakistanischen Provinz Punjab aufgerufen worden, sich in Sicherheit zu bringen. Die meisten flohen in die Millionenmetropole Multan. Multan ist ebenfalls von der Flut bedroht. Am Freitag gingen die Pegel des Flusses Chenab, in dessen Nähe Multan liegt, nach Angaben der Behörden aber zurück.

Im nordpakistanischen Swat-Tal wurde unterdessen nach Angaben der Hilfsorganisation Malteser International der erste Fall von Cholera bestätigt. Der Patient liege im Krankenhaus in der Stadt Mingora, teilte die Organisation mit. Nun müsse alles gegen den Ausbruch einer Epidemie getan werden. Der Chef des betroffenen Saido-Sharif-Krankenhauses, Lal Afridi, sagte allerdings, in der Region komme es auch in normalen Zeiten zu Fällen der Durchfallerkrankung. »Wir haben hier vier bis fünf Fälle von Cholera«, sagte Afridi. »Aber das ist normal. Selbst wenn es keine Fluten gibt, bekommen wir manchmal so viele Cholera-Patienten in dieses Krankenhaus.« Das Hochwasser hatte das Swat-Tal nach dem Beginn der Monsunregenfälle besonders getroffen.

Nach Angaben der Nationalen Katastrophenschutzbehörde kostete die Flutkatastrophe mindestens 1384 Menschen das Leben. Mehr als 1000 davon kamen allein in der nordwestpakistanischen Provinz Khyber-Pakhtunkhwa ums Leben.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen befürchtet einen weiteren Anstieg der Opferzahl. Der Landesdirektor für Pakistan in Islamabad, Wolfgang Herbinger, sagte im rbb-inforadio, die Flut sei nicht überstanden, viele Gebiete stünden noch unter Wasser. Außerdem drohe eine Lebensmittelknappheit.

Nach UNO-Angaben sind etwa 14 Millionen Menschen von der Katastrophe betroffen, davon sechs Millionen Kinder. Sechs Millionen benötigen dringend Hilfe.

Die Regierung in Islamabad will ihre Anstrengungen zur Hilfe für die Opfer weiter verstärken. Das teilte das Büro von Präsident Zardari nach einem Treffen des Staatsoberhaupts mit Premier Gilani in Islamabad mit. Gilani sagte, das Ausmaß der Schäden könnte weitaus größer sein, als erste Schätzungen andeuteten.

Der ehemalige Leiter des Umweltprogramms der UNO, Klaus Töpfer, rief eindringlich zu Spenden für die Opfer der Überschwemmungen in Pakistan auf. »Es ist ein Jahrhundertereignis, eine Flut, wie man sie nie gekannt hat«, sagte der 72-Jährige, der Vizepräsident der Deutschen Welthungerhilfe ist, in einem Interview. Durch ideologische und terroristische Auseinandersetzungen hätten die Pakistaner zusätzliches Leid zu ertragen, betonte er.

* Aus: Neues Deutschland, 14. August 2010

Weitere Berichte und Pressemeldungen

Uno bestätigt Ausbruch der Cholera in Pakistan

In den überfluteten Gebieten breiten sich Seuchen aus **

Die Menschen in Pakistan haben nicht nur mit der Flut, sondern nun auch mit der Ausbreitung von Seuchen zu kämpfen. Die Uno hat die Ausbreitung der Cholera bestätigt. Die Regierung geht davon aus, dass inzwischen gegen 20 Millionen Menschen obdachlos sind.

Die Vereinten Nationen haben erstmals den Ausbruch der Cholera im pakistanischen Hochwassergebiet bestätigt. Nach ausführlichen Untersuchungen sei bei einem Patienten in Mingora im Swat-Tal zweifelsfrei Cholera diagnostiziert worden, erklärte Uno-Sprecher Maurizio Giuliano am Samstag. Zudem gebe es mehrere Verdachtsfälle.

Hilfsorganisationen hatten bereits in den vergangenen Tagen von Cholera-Fällen in der Region berichtet. Die Krankheit kann zu Austrocknung und bei Nicht-Behandlung zum Tod führen.

Die Bestätigung kam zeitgleich mit einer neuen Flutwelle im Süden des Landes. Mittlerweile seien 20 Millionen Menschen durch die Überschwemmungen obdachlos, sagte Ministerpräsident Yousuf Raza Gilani in einer Fernsehansprache am Samstag.

Zuvor hatten die Vereinten Nationen unter Berufung auf Regierungskreise von etwa 14 Millionen Menschen gesprochen, die direkt oder indirekt betroffen seien. Gilani führte in seinen jüngsten Erläuterungen nicht aus, wie viele der von ihm genannten Menschen gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen und wie viele sie durch das Wasser ganz verloren haben. (...)

** Auszug aus: Neue Zürcher Zeitung (online-Ausgabe), 14. August 2010; www.nzz.ch


Mit der Lage in Pakistan nach dem verheerenden Hochwasser befasst sich das LUXEMBUERGER WORT: ***
"Die Mehrheit der Pakistaner findet zu Recht, dass ihr Land in keiner guten Verfassung ist. Präsident Zardari und Regierungschef Gilani sind mit dem Versuch, eine effiziente und angesehene Verwaltung zu schaffen, kläglich gescheitert. Auch deshalb ist Islamabads Autorität in den Nordwestprovinzen an der Grenze zu Afghanistan stark eingeschränkt. Außenpolitisch hat es Pakistan in den letzten Jahrzehnten versäumt, Verantwortung für regionale Stabilität zu übernehmen. Somit können Washington und Peking gar nicht anders, als sich in dem finanziell gebeutelten Land zu engagieren", mahnt das LUXEMBURGER WORT.


Ähnlicher Meinung ist der SAN FRANCISCO CHRONICLE: ***
"Die internationale Gemeinschaft weiß schon lange, dass die Regierung in Pakistan schwach ist. Aber die Unfähigkeit angesichts der Verwüstungen nach dem Hochwasser hat Extremisten-Gruppen, darunter auch den Taliban, Tür und Tor geöffnet. Diese übernehmen die Kontrolle bei den Hilfslieferungen für die Flutopfer und vielleicht demnächst auch in weiten Teilen Pakistans. Die Extremisten gehörten zu den ersten, die den Opfern des Hochwassers geholfen haben. Unlängst hat die größte Taliban-Gruppe des Landes die Unterstützung der USA zurückgewiesen und selbst Millionenbeträge in Aussicht gestellt. Angesichts dessen hat Washington mehr Hubschrauber in die überfluteten Regionen geschickt. Das aber reicht nicht aus. Die USA müssen Pakistan noch stärker helfen, bevor es zu spät ist", fordert THE SAN FRANCISCO CHRONICLE.

*** Aus: Deutschlandfunk, 14. August 2010; www.dradio.de

Pakistans größtes Problem: die Armee

Aus einem taz-Kommentar von Sascha Zastiral ****

(...) Pakistans größtes Problem bleibt jedoch die Armee. Seit über dreißig Jahren kontrolliert sie das Land und ist für einen Großteil der Missstände verantwortlich. In diesen Tagen lassen sich Pakistans Generäle von den militärfreundlichen Medien des Landes als Retter in der Not feiern.

Das Militär kontrolliert ein gewaltiges Konglomerat an Konzernen, die in vielen Bereichen der Wirtschaft über Monopole verfügen. Monopole bringen die Entwicklung eines Landes nicht voran, da sie keinen Mehrwert erzeugen und damit kein Wachstum ermöglichen. Lediglich die Offiziere, die jedes Jahr zu tausenden nach Antreten ihres Ruhestandes hochbezahlte Stellen in den Armeekonzernen bekommen, profitieren davon.

Die Armee, die mit ihren 620.000 Soldaten einen beträchtlichen Teil des Staatshaushaltes verschlingt, rechtfertigt ihre privilegierte Stellung mit der vermeintlich permanenten Bedrohung durch Indien. Kurze Zeit nach einem Staatsbesuch von Pakistans Premier Nawaz Sharif in Indien im Jahr 1999 marschierte Pakistans Armee offenbar eigenmächtig in der Nähe der Stadt Kargil in den indischen Teil von Kaschmir ein. Pakistans Generäle verloren diesen Krieg wie auch alle anderen bewaffneten Konflikte zuvor.

Doch es gelang ihnen, sich als Verteidiger des Landes zu inszenieren. Pakistan ist ein Staat geworden, der nur einer kleinen Oberschicht dazu dient, sich zu maßlos bereichern. Die ethnischen Konflikte nehmen zu, die soziale Ungerechtigkeit treibt den Islamisten immer mehr Menschen in die Arme. Lediglich die Armee hält das Pulverfass gewaltsam zusammen. Dabei ist offen, ob ihr das angesichts der Katastrophe auch weiterhin gelingt. (...)

**** Auszug aus: "Pakistans doppeltes Elend", Kommentar von Sascha Zastiral, in: taz vom 13. August 2010; www.taz.de




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