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Lage in Pakistan weiter zugespitzt

Auch indische Gebiete inzwischen überflutet

Von Hilmar König *

Die Lage in den Überschwemmungsgebieten Pakistans hat sich über das Wochenende durch neue Monsunniederschläge weiter zugespitzt. Schwer betroffen wurde auch die indische Region Ladakh im nördlichen Unionsstaat Jammu und Kaschmir, wo mehr als 140 Menschen ums Leben kamen.

»Die Situation wird schlechter. Es regnet wieder. Das behindert unsere Hilfsmaßnahmen.« Amjad Jamal, der Sprecher des Welternährungsprogramms, hat für den Nordwesten Pakistans keine guten Prognosen. Wegen der komplizierten Wetterbedingungen mussten Hubschrauberflüge eingestellt, zahlreiche Straßen erneut gesperrt werden. Allein im Swat-Tal haben die Fluten 29 Brücken zerstört.

Der UN-Sondergesandte Jean-Maurice Ripert bezeichnete das Ausmaß der Überschwemmungen in Pakistan als »viel schlimmer als erwartet«. Die Wirtschaft Pakistans werde monatelang geschwächt sein. »In der Erinnerung findet sich kein vergleichbares Drama«, sagte Ripert in einem Interview für das ARD-Hörfunkstudio Südasien.

Der schlimmsten Überschwemmung seit Bestehen Pakistans fielen bislang mehr als 1600 Menschen zum Opfer. Hunderte werden noch vermisst. Die Behörden schätzen die Gesamtzahl der Betroffenen auf 16 Millionen. 650 000 Wohngebäude wurden zerstört. Dutzende Dörfer existieren nicht mehr. 560 000 Hektar Ackerland stehen unter Wasser. Die Ernte ist vernichtet. Mindestens 10 000 Rinder ertranken.

Inzwischen hat die Katastrophe auf einem 1000 Kilometer langen Abschnitt entlang des Indus auch die südlich gelegenen Provinzen Punjab und Sindh erreicht und mehr als 70 Dörfer überflutet. Im nördlichen Sindh brach ein Damm. Die großen Staudämme Tarbela und Mangla sind fast randvoll. 200 000 Menschen wurden bislang evakuiert, in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden untergebracht oder mit Zelten versorgt. Aber rund 500 000 Pakistaner hielten sich am Sonntag noch in der Gefahrenzone am Indus auf. Viele weigern sich, Haus und Hof zu verlassen. »Soll die Flut doch kommen. Wir leben hier und wir werden hier sterben«, äußerte der 75-jährige Dur Mohammed aus dem Dorf Dadli.

Laut Auskunft des Generaldirektors der nationalen Katastrophenschutzagentur, Saleh Faruki, wurden am Sonnabend allein in Punjab 10 000 Menschen in Sicherheit gebracht. 30 000 Soldaten haben bisher 100 000 Frauen, Kinder und Männer gerettet. Sie sind seit über einer Woche mit 568 Booten sowie 31 Hubschraubern im Einsatz und warfen Lebensmittel, Trinkwasser und Zelte ab. Das Kinderhilfswerk UNICEF versorgte bisher 500 000 Bedürftige mit Trinkwasser. Es rief zu weiteren Spenden auf, damit den Menschen in Not, mit Lebensmitteln, Medikamenten, Trinkwasser, Zelten und simplen Sanitäreinrichtungen geholfen werden kann.

Unterdessen nahmen Wut und Empörung darüber zu, dass sich Staatspräsident Asif Ali Zardari mitten in der Naturkatastrophe zu offiziellen Besuchen in Europa aufhält. Bei einem Meeting am Sonntag in Birmingham bewarf ihn ein Teilnehmer mit Schuhen, die allerdings ihr Ziel verfehlten. Zardari wies jede Kritik zurück und erklärte gegenüber BBC, er habe die Macht des Präsidenten an das Parlament übertragen. Dieses tage. Premier Jusuf Raza Gilani trage die Verantwortung und erfülle seine Aufgaben. Viele Obdachlose beklagen allerdings, von den Behörden im Stich gelassen worden zu sein. Die Regierung sei mit der Bewältigung dieser Katastrophe überfordert.

Auch im indischen Teil Kaschmirs, besonders in der Ladakh-Region, verursachten Überschwemmungen, Erdrutsche und Schlammlawinen nach sintflutartigem Monsunregen Not und Chaos. Mindestens 140 Tote sind zu beklagen. 500 Menschen werden vermisst. Am Sonntag gelang es sechs Transportmaschinen der Indian Air Force, mit dringend benötigten Hilfsgütern im hoch gelegenen Leh zu landen. In den afghanischen Provinzen Wardak und Nuristan kamen bei Überschwemmungen 12 Menschen ums Leben.

* Aus: Neues Deutschland, 9. August 2010


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