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Viele Medien verbreiten islamfeindliche Stimmung

Von Aiman A. Mazyek *

Dass es sich in Pakistan nicht um irgendeine Flut handelt, sondern wohl um eine der gewaltigsten Flutkatastrophen, die so viele Menschen auf einen Schlag obdachlos gemacht hat wie keine zuvor, wird jetzt erst vielen klar. Leider hat die Jahrhundertflut zu wenig Aufmerksamkeit, oder besser gesagt, eine zu negative Aufmerksamkeit gerade in den westlichen Ländern erzeugt. Denn die schon Ende Juli deutlich abzusehende Katastrophe war in den Schlagzeilen meist mit politischen Implikationen versehen. So titelte eine große deutsche Tageszeitung Anfang August »Tausende Tote bei Flut«, um dann in der Unterüberschrift hinzuzufügen: »Pakistanische Islamisten wollen von Not profitieren.«

Dies ist fatal, denn solche Schlagzeilen bewirken, dass plötzlich viele Pakistaner als potenzielle Terroristen abgestempelt werden. Spätestens dann überlegt sich der spendenwilligste Helfer, ob sein Geld richtig »angelegt« ist. Ohnehin erleben wir hierzulande und in diesen Tagen eine zunehmend islamfeindliche Stimmung. Jetzt noch für Pakistan zu spenden, welches mit einem negativen Image, einer korrupten Regierung und dem Ruf als Rückzugsgebiet für Terroristen belastet ist, erscheint vielen dann doch zu viel. Man darf sich also nicht wundern, wenn die Spendenbereitschaft mau ist. Im Angesicht einer Jahrtausendflut und mittlerweile 20 Millionen Obdachlosen wird zu viel über Taliban geredet und zu wenig darüber, wie wir, so wie beim Erdbeben in Haiti oder bei der Tsunami-Katastrophe, den Opfern helfen können.

Unsere Solidarität gilt allen Opfern, gleich ob sie Muslime, Christen, Hindus sind oder gar keiner Religion angehören. Und unsere Empathie gehört insbesondere den Kindern und den Ärmsten der Armen, die von der Flutkatastrophe am stärksten betroffen sind. Not- leidende Menschen sind in erster Linie Menschen wie wir alle, und in zweiter Linie sind sie Angehörige einer bestimmten Religion, Rasse oder Kultur.

Hinzu kommt, dass Pakistans Bevölkerung tagtäglich durch die Misswirtschaft der Regierung, Korruption und Antiterrorkriege bestraft wird. Die Pakistaner sind nicht dafür verantwortlich zu machen und auch nicht für die Taliban, die sich ohnehin nur in einem sehr kleinem Gebiet des Landes aufhalten. Pakistan ist auf die Hilfe der Weltgemeinschaft dringend angewiesen. Wir dürfen diesem Volk jetzt nicht durch eine völlig deplatzierte Taktikdiskussion, nach dem Motto: »Wer profitiert mehr von der Flut, der Westen oder die Extremisten?«, erneut in den Rücken fallen. Das ist zynisch und entspricht nicht dem menschlichen Antlitz, für das wir stehen.

Wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen und direkte Hilfe zuteil werden zu lassen, dann sind die Deutschen für ihr vorbildliches Verhalten weltbekannt. Darauf setze ich und hoffe auch in diesem Fall auf ihre Großzügigkeit, Mildtätigkeit und Hilfsbereitschaft.

Gleichzeitig habe ich uns Muslime in diesen Tagen daran erinnert, dass die Spende im Ramadan um ein Vielfaches vergolten wird. Jetzt ist die große Gelegenheit, die »Zakkat el-Fitr«, eine spezielle Armenabgabe im Ramadan, für die notleidenden Familien zu entrichten. Auch reiche muslimische Ölländer und ihre Bürger stehen jetzt in der Pflicht, die 4. Säule des Islam die Zakat (Pflichtabgabe für Arme und Bedürftige) zu erfüllen. Dies ist mindestens genauso wichtig wie das Fasten.

Ich bitte auch die Intendanten, insbesondere der öffentlich rechtlichen Sender (ARD und ZDF), ihre Entscheidung zu überdenken und nicht doch Spendengalas auszurichten. Die mediale Aufmerksamkeit gehört heutzutage nun einmal zur Wirklichkeit dazu; die vielen Opfer und das unbeschreibliche Ausmaß der Katastrophe sind aber auch Teil der heutigen Wirklichkeit, welche sich zur Zeit in Pakistan abspielt.

Zusammen mit Rupert Neudeck werden wir mit den Grünhelmen einem christlich-islamischen Friedenskorps, welches von namhaften Menschen begleitet und unterstützt wird in den nächsten Tagen nach Pakistan aufbrechen und dort zusammen mit unseren Partnern beim Aufbau eines Flüchtlingscamps Hand anlegen. Auch um deutlich zu machen: Stets, aber insbesondere in der Not, sind Christen und Muslime geschwisterlich verbunden und bauen Brücken für die Zukunft.

All diese Hilfsbrücken brauchen wir jetzt. Sie werden später auch die menschlichen Brücken sein, die wir in dieser Region dringend benötigen und die schließlich die Situation dort nachhaltig verbessern helfen. Das ist übrigens die erfolgreichste Form, den Boden für Extremismus, Krieg und Terrorismus auszutrocknen, denn Brücken schaffen Perspektiven, die die Menschen dort neben der Nothilfe am dringendsten benötigen. Wenn wir als Teil der Weltbevölkerung den Pakistanern heute zur Seite stehen, dann werden sie uns das morgen nicht vergessen und mehrfach zurückgeben, davon bin ich überzeugt.

* Aus: Neues Deutschland, 21. August 2010


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