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Neue Fluchtwelle in Pakistan

Militär setzt Massenvertreibung als Bürgerkriegswaffe ein

Von Knut Mellenthin *

Die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen in Nordwestpakistan ist am Freitag (15. Mai) weiter angestiegen. Das Militär hatte die am Sonntag verhängte Ausgangssperre über die von Taliban kontrollierte Stadt Mingora im Distrikt Swat und einige andere Gebiete der Region am Morgen für acht Stunden unterbrochen. Daraufhin machten sich Zehntausende, die seit Tagen ohne Lebensmittel, Strom, Gas und Wasser eingeschlossen gewesen waren, auf den Weg aus der Kampfzone, viele von ihnen zu Fuß. Auf den wenigen offenen Straßen bildeten sich riesige Staus.

Seit die pakistanischen Streitkräfte am 26. April ihre Angriffe auf Taliban-Stellungen in drei Bezirken der Nordwest-Grenzprovinz begonnen hatten, waren von der UNO bis zum Donnerstag 834 000 Flüchtlinge neu registriert worden. Schon vor dieser Offensive wurde die Zahl der durch den Bürgerkrieg Vertriebenen auf bis zu eine Million geschätzt. Daher ist damit zu rechnen, daß die Gesamtzahl bald zwei Millionen erreichen wird. Regierung und Militär setzen die Vertreibung der Bevölkerung aus den Hochburgen der Taliban als gezielte Strategie ein. Die Auslösung der neuen Fluchtwelle aus Mingora durch die befristete Aufhebung der Ausgangssperre am Freitag wurde als Anzeichen für einen kurz bevorstehenden Angriff von Bodentruppen auf die Stadt interpretiert.

Nach Angaben eines Militärsprechers wurden bis Freitag 940 Taliban getötet. Auch 45 Soldaten seien ums Leben gekommen. Über die Opfer unter der Zivilbevölkerung hat das pakistanische Militär seit Beginn der Offensive alle Angaben verweigert. Da internationale Hilfsorganisationen und Journalisten nicht in die Kampfgebiete gelassen werden, ist keine unabhängige Überprüfung der genannten Zahlen möglich. Ein Taliban-Sprecher behauptete am Freitag, seit Mittwoch seien mindestens 37 Soldaten getötet worden, während man selbst nur drei Kämpfer verloren habe. Aus den offiziellen Berichten der Presseabteilung der Streitkräfte geht hervor, daß die Taliban in den drei umkämpften Bezirken Swat, Buner und Dir immer noch starke Stellungen halten. Im Rahmen der Offensive sind derzeit 15000 Soldaten eingesetzt, denen angeblich 4000 bis 5000 bewaffnete Islamisten gegenüberstehen.

* Aus: junge Welt, 16. Mai 2009


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