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Vorgeprescht und zurückgepfiffen

Pakistan: Nur zahme Reaktionen auf jüngsten Drohnenmord der USA

Von Knut Mellenthin *

Pakistans Regierung will sich mit dem Fortdauern der US-amerikanischen Drohnenangriffe abfinden. Dabei hatten die ersten Reaktionen, nachdem Taliban-Chef Hakimullah Mehsud am vergangenen Freitag durch Raketen eines unbemannten Flugkörpers getötet worden war, auf etwas anderes hingedeutet. Washingtons Militäraktion wird in Pakistan allgemein als gezielter Schlag gegen die Friedensgespräche zwischen der Regierung und der von Mehsud geführten TTP interpretiert, die einen Tag später beginnen sollten. Innenminister Chaudhry Nisar sprach am Sonnabend dementsprechend von einem »Mord an den Friedensbemühungen« und kündigte eine Kabinettssitzung zur Überprüfung der gesamten Beziehungen zwischen beiden Staaten an.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Premier Nawaz Sharif noch auf dem Heimflug von einem Staatsbesuch in London. Die von ihm geführte konservative PML-N war im Mai als stärkste Partei aus den Parlamentswahlen hervorgegangen. Sharif trat sein Amt am 5. Juni an. Im Wahlkampf hatte er versprochen, Friedensverhandlungen mit den Aufständischen einzuleiten und sich konsequent für die Beendigung der US-Drohnenangriffe einzusetzen. Diese Forderung hatte er am 23. Oktober dem US-Präsidenten Barack Obama auch persönlich bei einem Besuch im Weißen Haus vorgetragen, war aber nur mit Phrasen abgespeist worden.

Innenminister Nisar ist als ambitionierter Parteipolitiker bekannt. Bis zum Regierungswechsel war er parlamentarischer Oppositionsführer. Er wollte Sharifs Abwesenheit anscheinend nutzen, um eigenmächtig deutliche Töne anzuschlagen. Der Premier selbst äußerte sich erstmals am Montag öffentlich, aber ohne den Vorgang überhaupt direkt anzusprechen. Über einen Appell gegen »die Entfesselung sinnloser Gewalt« kam er nicht wesentlich hinaus. In der folgenden Kabinettssitzung wurde lediglich bestätigt, daß man an den beabsichtigten Gesprächen mit den Aufständischen festhalten wolle. Von irgendwelchen praktischen Reaktionen auf das provokatorische Verhalten Washingtons war nicht die Rede. Ein Sprecher der TTP kommentierte dazu, die Regierung bestehe aus »Sklaven der USA«, und mit Sklaven werde es keine Verhandlungen geben.

Der Chef der oppositionellen PTI, Imran Khan, hatte sofort nach der Ermordung Mehsuds die Forderung erhoben, die Nachschubtransporte für den NATO-Krieg in Afghanistan zu stoppen. Falls die Zentralregierung nicht bis zum 20. November einen Aktionsplan zur Beendigung der Drohnenangriffe vorlege, werde die von der PTI geführte Regierung der nordwestlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa, durch die der wichtigste Nachschubweg verläuft, eigene Maßnahmen treffen. Khan verdankt seine Popularität hauptsächlich der Tatsache, daß er früher Kapitän der nationalen Kricketmannschaft war und diese 1992 zu ihrem ersten Wold-Cup-Gewinn führte. Seine PTI existiert schon seit 1996, war aber zunächst bedeutungslos und erhielt erst in den letzten Jahren starken Zulauf. Bei den Wahlen im Mai wurde sie mit rund 17 Prozent zweitstärkste Kraft, noch vor der bis dahin regierenden Volkspartei (PPP).

Inzwischen hat Khan anscheinend von seinen Rechtsberatern erfahren, daß ein Alleingang von Khyber Pakhtunkhwa verfassungswidrig wäre. So kam es am Montag zu einem einstimmig verabschiedeten Beschluß des Provinzparlaments, der wesentlich vorsichtiger formuliert ist, als es die ersten Ankündigungen des PTI-Chefs waren. Sollte die Zentralregierung bis zum 20. November keine »aktionsfähigen Empfehlungen« zur Beendigung der Drohnenangriffe vorlegen, so heißt es jetzt, behalte sich die Provinz eigene Maßnahmen vor.

Bei Beratungen der pakistanischen Oppositionskräfte über das weitere Vorgehen, die am Montag begannen und am Dienstag fortgesetzt werden sollten, stellten sich die PPP sowie die Parteien ANP und MQM gegen einen Stopp der NATO-Transporte. Die PPP wird aufgrund ihrer Vergangenheit immer noch gelegentlich als sozialdemokratisch eingestuft, zeichnete sich in ihrer Zentralregierungstätigkeit aber vor allem durch extreme Korruption und Mißwirtschaft aus. An den Parteien ANP und MQM wird meist hervorgehoben, daß sie säkular orientiert sind. Seltener ist davon die Rede, daß sie explizit den von den USA geführten »Krieg gegen den Terror« unterstützen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 6. November 2013


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