Drohnen-Präsident im Internet-Chat
Obama plaudert Mordaktionen schön, liefert aber keine Zahlen und Fakten.
Von Knut Mellenthin *
Barack Obama hat am Montag den Einsatz unbemannter Flugkörper für
massenhafte Tötungen gerechtfertigt. Zugleich versuchte er, diese
Mordoperationen als gezielte Angriffe auf führende „Al-Qaida-Terroristen“
darzustellen. Der US-Präsident äußerte sich in einem einstündigen Video-Chat
mit Internetbenutzern.
Das Ziel der Drohnenattacken seien Personen, „die auf einer Liste aktiver
Terroristen stehen“, behauptete Obama. „Eine Menge“ dieser Angriffe richte
sich gegen „Al-Qaida-Verdächtige, die sich in sehr schwierigem Gelände
aufhalten“. Um sie mit anderen Methoden zu treffen, wären sehr viel
intensivere militärische Aktionen erforderlich.
Zahlen und Fakten zur Sache nannte der Friedensnobelpreisträger nicht.
Tatsächlich sind die Opfer der Mordaktionen, mit ganz wenigen Ausnahmen,
anonyme lokale Aufständische und deren Familienangehörige. Eine im August
2011 veröffentlichte Studie des Londoner Bureau of Investigative Journalism
kam zum Ergebnis, dass nur von etwa fünf Prozent der in Pakistan Getöteten
wenigstens die Namen bekannt sind. Neben den sogenannten Stammesgebieten im
Nordwesten dieses Landes, auf die mindestens 90 Prozent aller weltweiten
Angriffe entfallen, setzen die USA bewaffnete Drohnen auch in Somalia, im
Jemen, in Afghanistan sowie früher auch im Irak ein. Verantwortlich für
diese Operationen ist der Auslandsgeheimdienst CIA. Die einzelnen Einsätze
werden in der Regel nicht bestätigt. Zu Kriterien und Zielen der Aktionen
nimmt die US-Regierung grundsätzlich niemals Stellung.
Obama hat die Zahl der Mordaktionen im Vergleich zu seinem Vorgänger enorm
gesteigert. Von insgesamt rund 286 Angriffen gegen Ziele in Pakistan fanden
lediglich 44 in den acht Amtsjahren von George W. Bush statt. Die Zahl der
Getöteten liegt allein in Pakistan nach unterschiedlichen Schätzungen
zwischen 1.700 und 2.900. Die Verfasser der Londoner Studie meinen, dass
mindestens 385 der Todesopfer „Zivilisten“ gewesen seien, darunter 168
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. US-Dienststellen geben zu diesen
Zahlen keine konkreten Erklärungen ab, versuchen aber den Eindruck zu
produzieren, dass die „Kollateralschäden“ nur minimal seien.
Der US-Präsident ging in seinem Video-Chat auch auf einen am Sonntag
erschienenen Artikel der New York Times ein. Das Blatt hatte berichtet, dass
die USA nach dem Abzug ihrer Truppen aus dem Irak, der zum Jahresende 2011
abgeschlossen wurde, dort Drohnen für vielfältige Überwachungsarbeiten
einsetzen. Der Tageszeitung zufolge sind diese unbemannten Flugkörper nicht
bewaffnet und unterstehen dem Außenministerium. Unter anderem sollen sie
auch „öffentliche Proteste oder Straßensperren“ beobachten. Obama bestätigte
den Einsatz von Drohnen im Irak, versuchte aber, dessen Umfang
herunterzuspielen: Es handele sich nur um ein bisschen „Aufklärung, um
sicherzustellen, dass unser Botschaftsgelände geschützt ist“.
Der Präsident machte allerdings keine konkreten Angaben zu diesem Thema und
äußerte sich auch nicht zur Rechtsgrundlage der Einsätze. Laut New York
Times sind diese zwar schon im Dezember angelaufen, aber es fehlt dafür
immer noch eine Genehmigung der irakischen Behörden. Das Blatt zitierte
anonyme US-Beamte mit der Aussage, Verhandlungen über eine Autorisierung der
Einsätze seien im Gange. Hochrangige Mitglieder der Regierung in Bagdad
bestritten jedoch, von den USA konsultiert worden zu sein.
Laut New York Times wollen die USA solche Überwachungsdrohnen in Zukunft
auch über anderen „Hoch-Bedrohungs-Ländern“ fliegen lassen. Beispielhaft
genannt wurden Indonesien, Pakistan und Afghanistan nach dem für 2014
angekündigten Truppenabzug.
Ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums erklärte am Dienstag zu Obamas Äußerungen, die Drohnenangriffe böten möglicherweise „gewisse
taktische Vorteile“. Dennoch halte seine Regierung an ihrem Standpunkt fest, dass sie „ungesetzlich, kontraproduktiv und daher nicht akzeptabel“ seien.
* Aus: junge Welt, 01.02.2012
Ferngelenkte Exekutionen
Von Olaf Standke **
Dieses Mal waren es ferngelenkte Flugzeuge über Jemen, die elf Menschen ins Visier genommen und getötet haben. Mutmaßlich Mitglieder der Terrororganisation Al-Qaida, wie eine Zeitung gestern in Sanaa mitteilte. Fast zeitgleich bestätigte USA-Präsident Barack Obama erstmals öffentlich den Einsatz von Drohnen in Pakistan. Und er verteidigte sie als wichtige Waffe im Kampf gegen Aufständische, die zudem keine große Zahl von zivilen Opfern fordern würde. Doch die Mär von den »präzisen Angriffen« hat nichts mit der tödlichen Realität zu tun. Ganz davon abgesehen, dass es für diesen unerklärten Krieg keine völkerrechtliche Legitimation gibt.
Allein im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet sind nach Untersuchungen des Londoner Büros für Investigativen Journalismus zwischen 2004 und 2011 bei rund 300 erfassten Angriffen über 2300 Menschen ums Leben gekommen, darunter etwa 400 Zivilisten. Die konservative Denkfabrik »New America Foundation« spricht in ihrem Report »The Year of the Drone« sogar davon, dass jeder dritte Tote ein Zivilist sei. Die Ausgaben für die unbemannten Flugzeuge haben sich zwischen 2002 und 2011 auf fast fünf Milliarden Dollar nahezu verzehnfacht. Schon heute werden in den USA mehr Killer am Joystick ausgebildet als Piloten von Kampfjets. Und Pentagon wie CIA, die jeweils eigene Drohnenprogramme unterhalten, werden ihre Flotten weiter ausbauen. So will Pentagon-Chef Leon Panetta den Bestand an unbemannten Flugzeugen um 30 Prozent vergrößern. Denn Drohneneinsätze sind ein Kernstück der gerade verabschiedeten neuen Militärstrategie der Supermacht.
** Aus: neues deutschland, 1. Februar 2012 (Kommentar)
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