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Tödliche Drohnen

Britische Journalisten veröffentlichen Untersuchung über Geheimkrieg der CIA in Nordwestpakistan

Von Knut Mellenthin *

Bei den illegalen Drohnenangriffen des US-Geheimdienstes CIA auf Ziele in Pakistan wurden bisher zwischen 385 und 775 Zivilisten getötet, darunter mindestens 164 Kinder. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die am Mittwoch auf der Website des Bureau of Investigative Journalism in London veröffentlicht wurde. Der Untersuchung liegen rund 2000 Zeitungsartikel, Zeugenaussagen, Vor-Ort-Berichte von Nichtregierungsorganisationen und Anwälten, Einschätzungen ehemaliger Geheimdienstleute, aber auch geheime Dokumente der US-Regierung zugrunde. Die CIA macht grundsätzlich keine Angaben über Zahl, Ziele und Folgen ihrer Drohneneinsätze. Inoffiziell verlautet aber aus Regierungskreisen, daß es nicht mehr als 50 zivile Todesopfer gegeben habe.

Der umfangreichen Studie der unabhängigen Journalistengruppe zufolge fanden seit 2004 insgesamt 291 Drohnenangriffe statt. Die meisten dieser Einsätze, nämlich 236, fielen in die Amtszeit von Präsident Barack Obama. Durchschnittlich kam es in diesem Zeitraum somit jeden vierten Tag zu einem derartigen Einsatz.

Die Zahl der Todesopfer seit Beginn der Angriffe liegt zwischen 2292 und 2863. Nur 126 sind namentlich bekannt. Bei den meisten Getöteten soll es sich um »low-ranking militants«, einfache bewaffnete Stammesmitglieder, gehandelt haben. Mindestens 1842 Menschen seien seit dem Regierungsantritt Obamas im Januar 2009 getötet worden, darunter auch 218 Zivilisten.

Bei der jüngsten Drohnenattacke am Mittwoch soll es zwischen 21 und 25 Tote gegeben haben. Ziel der Angriffe waren ein Fahrzeug und ein angebliches Ausbildungslager in Nordwasiristan nahe der Grenze zu Afghanistan. Nach Aussagen anonymer pakistanischer »officials« – das können Verwaltungsbeamte, Polizisten, Militärs oder Geheimdienstler sein – handelte es sich bei den Opfern ausschließlich um Kämpfer. Überwiegend sollen sie dem sogenannten Haqqani-Netzwerk angehört haben, das in Afghanistan gegen die NATO-Interventen kämpft. Es seien zahlreiche Afghanen unter den Toten, möglicherweise auch einige Araber und Usbeken.

Die Behauptungen der pakistanischen »officials« erfolgen fast immer anonym und beruhen in der Regel nicht auf gesicherten Erkenntnissen vom Ort des Geschehens.

In Peschawar, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Khyber-Pakhtunkhwa, kamen am Donnerstag sieben Menschen bei zwei Anschlägen ums Leben. Zunächst traf eine Bombe, die in einem Auto oder am Straßenrand verborgen war, ein voll besetztes großes Polizeifahrzeug. Vier Insassen wurden getötet, 18 weitere verletzt. Unter den Toten war außerdem ein 12jähriger Schüler, der sich zufällig in der Nähe befand. Kurz darauf warf in derselben Gegend Peschawars eine weibliche Selbstmordattentäterin eine Handgranate gegen eine Polizeistation und zündete ihre Sprengstoffweste. Außer ihr wurde jedoch nur eine Passantin getötet. Erste Berichte, wonach es sich bei dieser um eine zweite Attentäterin gehandelt habe, wurden später zurückgezogen.

Die Anschläge waren möglicherweise eine Reaktion auf die jüngste Offensive der Sicherheitskräfte in Nordwestpakistan. Nach eigenen Angaben haben diese im Juli bei einem Feldzug in Kurram, einer Region in den sogenannten Stammesgebieten, über 200 Rebellen getötet. Mehrere zehntausend Menschen sind nach UN-Angaben vor den Kämpfen geflüchtet.

* Aus: junge Welt, 12. August 2011


Auszüge aus den Artikeln, die in dieser Sache auf der Website von The Bureau of Investigative Journalism (TBIJ) erschienen: **

(...) The study is based on close analysis of credible materials: some 2,000 media reports; witness testimonies; field reports of NGOs and lawyers; secret US government cables; leaked intelligence documents, and relevant accounts by journalists, politicians and former intelligence officers.

The Bureau’s findings are published in a 22,000-word database which covers each individual strike in Pakistan in detail. A powerful search engine, an extensive timeline and searchable maps accompany the data.

The result is the clearest public understanding so far of the CIA’s covert drone war against the militants. Yet US intelligence officials are understood to be briefing against the Bureau’s work, claiming ‘significant problems with its numbers and methodologies.’

(...)

The Bureau’s data reveals many more CIA attacks on alleged militant targets than previously reported. At least 291 US drone strikes are now known to have taken place since 2004.

The intended targets – militants in the tribal areas – appear to make up the majority of those killed. There are 126 named militants among the dead since 2004, though hundreds are unknown, low-ranking fighters. But as many as 168 children have also been reported killed among at least 385 civilians.

More than 1,100 people are also revealed to have been injured in the US drone attacks – the first time this number has been collated.

(...)

At least 1,842 people have been reported killed in the Obama strikes, most of them militants.

Recently, Obama’s chief counter-terrorism adviser John Brennan stated that the president has ‘insisted’ that Pakistan drone strikes ‘do not put… innocent men, women and children in danger’. Yet at least 218 of those killed in drone attacks in Obama’s time in office may have been civilians.

(...)

Civilian casualties do seem to have declined in the past year. Yet the Bureau still found credible evidence of at least 45 civilians killed in some ten strikes in this time. The US continues to insist that it ‘can’t confirm any noncombatant casualties’ in the past year.

(Drone War Exposed – the complete picture of CIA strikes in Pakistan, August 10th, 2011. by Chris Woods)

The Bureau’s key findings

  • 291 CIA attacks have taken place in Pakistan – 8% more than previously reported. Under President Obama alone there have been 236 strikes – one every four days.
  • Between 2,292 and 2,863 people are reported to have died in the attacks – most of them militants
  • The minimum number of reported deaths is far higher than previously believed – with 40% more recorded casualties. Most of those killed are likely to be low-ranking militants.
  • 126 named militants have so far been killed.
  • The Bureau has collated credible news reports of 385-775 civilians being killed in the attacks.
  • The Bureau has identified credible reports of 164 children killed in the drone strikes. Under President Bush, one in three of all attacks is reported to have killed a child.
  • For the first time the Bureau has compiled accurate details of recorded injuries in drone strikes, revealing that at least 1,114 people have been wounded.


** www.thebureauinvestigates.com


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