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Protest gegen US-Drohnen

Tausende Menschen beteiligen sich an Friedensmarsch in Pakistan

Von Knut Mellenthin *

Pakistan hat am Wochenende den bisher spektakulärsten Protest gegen die US-amerikanischen Drohnenangriffe erlebt. 3000 bis 5000 Menschen in Hunderten Fahrzeugen beteiligten sich an einem rund 400 Kilometer langen »Friedensmarsch«, zu dem der populärste Politiker des Landes, Imran Khan, aufgerufen hatte. Im Konvoi waren nach Meldungen pakistanischer Medien auch 80 westliche Friedensaktivisten. Konkret bekannt ist, daß 32 Mitglieder der US-amerikanischen Organisation »Code Pink – Frauen für den Frieden« und der Vorsitzende der britischen Friedensgruppe »Reprieve«, Rechtsanwalt Clive Stafford Smith, teilnahmen.

Ziel des »Marsches«, der am Sonnabend in Islamabad begann, sollte Südwasiristan sein, eine Verwaltungseinheit innerhalb der direkt der Zentralregierung unterstellten sogenannten Stammesgebiete. Über 90 Prozent der vom US-Auslandsgeheimdienst CIA gesteuerten Drohnenangriffe sind gegen Ziele in Nord- und Südwasiristan gerichtet. Die Regierung der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, die der Konvoi zwangsläufig durchqueren mußte, hatte Khan jedoch in der vorigen Woche mitgeteilt, daß sie – angeblich wegen der Sicherheit der Teilnehmer – den »Friedensmarsch« verhindern werde.

Als die Fahrzeuge am Samstag abend die erste Stadt in der Provinz, Dera Ismail Khan, erreichten, in deren Umgebung übernachtet wurde, war daher völlig ungewiß, wie weit der Konvoi am nächsten Tag kommen würde. Es zeigte sich am Sonntag morgen, daß die Sicherheitskräfte die Straße zur Stadt Tank an der Grenze zu Südwasiristans an mehren Stellen durch Schiffscontainer und Stacheldraht blockiert hatten. Die erste Sperre beseitigte die Polizei nach Verhandlungen selbst, eine spätere wurde von den Friedensaktivisten beiseite geräumt. In Tank war jedoch definitiv Schluß. Die Organisatoren, die die Aktion unter allen Umständen friedlich halten wollten, führten dort eine Abschlußkundgebung durch, an der sich auch 15000 Bewohner der Stadt beteiligten. Schon während der ganzen Fahrt hatten sich an Straßen und Kreuzungen immer wieder Hunderte Menschen versammelt, um den Konvoi zu begrüßen und nach pakistanischer Sitte mit Rosenblättern zu bewerfen.

Auch wenn die Teilnehmerzahl des Friedensmarsches deutlich hinter den von Imran Khan früher angekündigten 100000 zurückblieb, war die Aktion ein klarer Erfolg für den Politiker und seine Partei, die Gerechtigkeitsbewegung (PTI). Das in Washington ansässige Meinungsforschungsinstitut Pew hat Khan 2011 und 2012 als populärsten Politiker des Landes ermittelt: 70 Prozent der Befragten haben eine positive Meinung über ihn. Zum Vergleich: Präsident Asif Ali Zardari brachte es nur auf 14 Prozent. 64 Prozent waren es einmal bei seinem Amtsantritt 2008 gewesen.

Khan verdankt seine Beliebtheit zum Teil der Tatsache, daß er zwanzig Jahre lang dem pakistanischen Cricket-Team angehört und dieses 1992 zum ersten und einzigen Weltpokal-Gewinn geführt hatte. Daß aber dieser Hintergrund allein nicht Khans politische Popularität begründet, zeigt sich daran, daß die von ihm 1996 gegründete PTI erst seit wenigen Jahren aus der Marginalität ausbrechen konnte. Ursache dafür ist in erster Linie die Enttäuschung aller Bevölkerungsschichten über die Volkspartei (PPP), die seit dem Ende der Alleinherrschaft von General Pervez Musharraf 2008 regiert. In einem Land, in dem heute alle Parteien und Politiker gleichermaßen als unehrlich, korrupt und inkompetent gelten, halten viele Menschen den politisch völlig unerfahrenen Exsportler für die einzige integre und glaubwürdige Persönlichkeit.

Die PTI vertritt ein im Wortsinne sozialliberales Programm, das auf einem modernen und reformfreudigen Verständnis des Islam gründen soll. Dazu gehört neben einer grundlegenden Umwälzung der pakistanischen Gesellschaft auch die tatsächliche Gleichberechtigung der Frauen, Realisierung der allgemeinen Schulbildung, religiöse Toleranz und Stärkung der Rechte von Minderheiten sowie eine unabhängige Außenpolitik. Khan fordert den Austritt Pakistans aus dem US-geführten »Krieg gegen den Terror« und hat angekündigt, den Abschuß von Drohnen anzuordnen, falls die PTI die 2013 anstehenden Wahlen gewinnt.

* Aus: junge Welt, Montag, 08. Oktober 2012


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