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Schutzlos

Pakistans Minister für religiöse Minderheiten in Islamabad von Extremisten ermordet

Von Hilmar König *

Zum Entsetzen der religiösen Minderheiten Pakistans ist Shahbaz Bhatti, der Minister für Minoritäten, am Mittwoch kurz vor Mittag auf dem Weg in sein Büro in der Hauptstadt Islamabad ermordet worden. Die Täter hinterließen angeblich ein Flugblatt der bis dahin unbekannten Gruppe »Tehrik Taliban Fidayeen e Muhammad Punjab«. Andere Quellen nennen auch einen Zettel mit der Aufschrift »Al-Qaida in Punjab«. Der Katholik Bhatti war der einzige Christ in der Regierung von Premier Jusuf Raza Gilani und hatte sich energisch für eine Überarbeitung des strikten Anti-Blasphemie-Gesetzes engagiert. Staatspräsident Asif Ali Zardari verurteilte scharf die Ermordung des Ministers, der auch Vorsitzender der All Pakistan Minorities Alliance war, und bekräftigte, die Regierung werde Terroristen und Extremisten nicht nachgeben.

Erst am 4. Januar war der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, von einem seiner Leibwächter umgebracht worden. Er trat ebenfalls für eine Überarbeitung des kontroversen Gesetzes gegen Gotteslästerung ein. Gemeinsam mit Minister Bhatti hatte er im November vorigen Jahres die unter fadenscheinigen Blasphemie-Anschuldigungen zum Tode durch den Strang verurteilte Aasia Bibi im Gefängnis besucht. Fanatische islamische Gruppen hatten ihn daraufhin auf ihre Todesliste gesetzt. Auch Minister Bhatti erhielt seitdem ständig Morddrohungen.

Das Gesetz, das gewöhnlich als »Beleidigung des Islam« ausgelegt wird, ermöglicht es, Widersacher aus dem Weg zu räumen. Sein Mißbrauch ist bei persönlichem Zwist, Eigentumsstreit oder zur Ausschaltung von Geschäftskonkurrenten ein letztes Mittel. Meist basiert die Anklage lediglich auf Behauptungen. Im Fall von Aasia Bibi gab es beispielsweise einen Streit um einen Becher Wasser zwischen der christlichen Landarbeiterin und ihren muslimischen Kolleginnen. Nach ein paar Tagen warfen diese ihr »Schmähung des Propheten Mohammed« vor. Das reichte für einen Gerichtsprozeß und die Todesstrafe, die allerdings bislang nicht vollstreckt wurde. Noch ist nicht entschieden, ob sie begnadigt wird.

Nach der Ermordung des Gouverneurs Taseer machte die Regierung deutlich, das Gesetz nicht ändern zu lassen. Das setzte sie ins Zwielicht und ermutigte offensichtlich die Fanatiker, nun auch Minister Bhatti ins Visier zu nehmen. Über seine Sicherheit hatte er keine Illusionen und äußerte kürzlich: »Schutz für mich kann nur aus dem Himmel kommen.« Der Mörder des Gouverneurs hatte drei Tage vor seiner Tat im Kollegenkreis sein Vorhaben angekündigt. Niemand meldete das weiter. Die Asiatische Menschenrechtskommission hatte nach der Ermordung Taseers konstatiert: »In einem Land, das bereits an Instabilität und religiösem Faschismus der Fundamentalisten leidet, kann die lauwarme Reaktion der Regierung nur die gesellschaftlichen Strukturen weiter beschädigen. Die Regierung muß streng gegen jene Leute vorgehen, die Quadri (den Mörder Taseers, H.K.) zum Helden erklärt haben. Wie ist es in einem Land, in dem angeblich Recht und Ordnung herrschen, möglich, daß religiöse Extremisten das Recht auf den Straßen in ihre Hände nehmen?«

Pakistans 173 Millionen Bewohner sind zu 97 Prozent Muslime, überwiegend Sunniten. Etwa 20 Prozent sind Schiiten, und 2,3 Prozent gehören der Sekte der Ahmadi an, die aber diskriminiert und offiziell nicht als Muslime anerkannt werden. 2,8 Millionen Christen und etwa die gleiche Anzahl Hindus sowie 20000 Sikhs bilden die wichtigsten religiösen Minderheiten.

* Aus: junge Welt, 3. März 2011


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