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Wegen Blasphemie

Pakistan: Die Ermordung eines Provinzgouverneurs läßt die Regierungskrise vorübergehend in den Hintergrund treten

Von Knut Mellenthin *

Als »großen Verlust« hat das Außenministerium der USA den Tod des Gouverneurs von Punjab bezeichnet. Rund die Hälfte aller Einwohner Pakistans leben in dieser Provinz. Salman Taseer war am Dienstag bei einem Besuch in der Hauptstadt Islamabad von einem seiner Leibwächter erschossen worden. Als Hintergrund der Tat wird das Eintreten Taseers gegen die »Blasphemie«-Gesetze vermutet. Sie bedrohen nicht nur Schmähungen des Propheten Mohammed und Schändungen des Koran mit dem Tod, sondern sehen Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren auch für geringfügigere Vergehen vor, wie etwa das absichtliche Verletzen von religiösen Gefühlen anderer Menschen. Nach übereinstimmenden pakistanischen Zeitungsberichten wurde noch nie ein Todesurteil wegen »Blasphemie« tatsächlich vollstreckt. Wohl aber wurden mehrere Verurteilte – die Zahlen variieren zwischen zehn und 30 – nach dem Prozeß von Einzeltätern oder von einem Lynchmob ermordet.

Die aktuelle Auseinandersetzung um die Gesetze war durch das Todesurteil gegen Asia Bibi, eine Frau christlichen Glaubens, ausgelöst worden. Berichten zufolge bestand ihr ganzes »Verbrechen« darin, die Wasserflasche moslemischer Kolleginnen berührt zu haben. Mehrere Einzelpersonen, darunter die frühere Propagandaministerin Shehrbano (»Sherry«) Rehman, haben eine Initiative eingeleitet, um Änderungen der Gesetzgebung zu erreichen. Unter anderem wollen sie, daß die Todesstrafe wegen »Blasphemie« abgeschafft wird. Taseer, Millionär oder Milliardär und Besitzer einer englischsprachigen Tageszeitung, unterstützte diese Bestrebungen. In der vorigen Woche hatten religiöse Gruppen 24stündige Protestaktionen gegen jede Änderung der Gesetze durchgeführt. Unter anderem erreichten sie, daß an diesem Tag in vielen Städten die meisten Geschäfte geschlossen blieben. Die Regierung beeilte sich zu erklären, daß sie die Initiative der Einzelpersonen nicht unterstütze.

Auf den Mord an Taseer reagierten die Sicherheitsorgane in der üblichen grobschlächtigen Weise: Der Vater des Attentäters und seine fünf Brüder wurden ebenso festgenommen wie 25 Polizisten der Leibwächter-Einheit. Angeblich hat der Mörder, Mumtaz Qadri, im Verhör ausgesagt, daß er seine Kollegen zuvor über seine Absicht informiert habe. Gegen ihn und einige andere Angehörige der Truppe soll schon vorher ein Verdacht wegen »Unzuverlässigkeit« bestanden haben.

Aufgrund des Attentats wurden die Gespräche über eine Beilegung der Regierungskrise für mindestens einen Tag unterbrochen. Premier Yusuf Raza Gilani von der Volkspartei (PPP) hatte am Wochenende seine parlamentarische Mehrheit verloren, als die Muttahida-Qaumi-Bewegung (MQM) zunächst ihre zwei Minister aus der Regierung abzog und später bekanntgab, daß sie in die Opposition gehen werde. Die MQM gilt als Partei der aus Indien stammenden Bevölkerungsgruppe und scharfe Gegnerin des Islamismus. Schon vorher hatte die gemäßigt religiöse Partei Jamiat Ulema-e-Islam (JUI) die Regierungskoalition verlassen.

Die MQM, ebenso wie die Opposition insgesamt, konzentriert ihre Kritik auf soziale Forderungen, wie etwa die Rücknahme der Benzinpreiserhöhung um fast zehn Prozent. Trotzdem braucht sich Gilani vorerst keine Sorgen um seinen Posten zu machen, da alle relevanten Oppositionsparteien angekündigt haben, daß sie kein Mißtrauensvotum beabsichtigen. Allgemeine Begründung: Dadurch würde Pakistan nur noch weiter destabilisiert.

* Aus: junge Welt, 6. Januar 2011


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