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BB und Musharraf – für die USA ideal

Benazir Bhutto nach den Anschlägen in Pakistan: Kampf für Demokratie wird fortgesetzt

Von Hilmar König, Delhi *

Die Schockwellen des Massakers vom Freitag in Karatschi – mindestens 140 Tote und 500 Verletzte – waren noch nicht verebbt, da folgte in der Provinz Belutschistan am Sonnabend ein neuer Anschlag: Am Busbahnhof der Stadt Dera Bugti riss eine ferngezündete Autobombe sieben Menschen in den Tod und verletzte sechs Passanten.

In mehreren Städten der Provinz Sindh und in deren Hauptstadt Karatschi kam es am Sonnabend auch zu Zusammenstößen zwischen protestierenden Anhängern der Pakistanischen Volkspartei (PPP) von Benazir Bhutto und der Polizei. Steine flogen, Feuer wurde gelegt, Reifen brannten, der Verkehr kam teils zum Erliegen, Geschäfte und Tankstellen schlossen.

Die PPP hatte für die Opfer der Selbstmordanschläge drei Tage offizielle Trauer angeordnet. Die Polizei behauptet, sie sei auf der »richtigen Spur«, die Täter zu identifizieren und dingfest zu machen. Keine Gruppe hat sich zu der Bluttat bekannt, auch wenn vor Benazir Bhuttos Rückkehr aus dem Exil Al Qaida und pakistanische wie afghanische Taliban-Gruppen Frau Bhutto Morddrohungen geschickt hatten. Inzwischen meldete die pakistanische Zeitung »The Nation«, sie habe aus vertraulichen Quellen erfahren, dass zehn »Bomber« bereit stünden, in Islamabad und Rawalpindi zuzuschlagen. Ohnehin glaubt niemand in Pakistan, dass die terroristische Gewalt, der in diesem Jahr bereits 2300 Menschen zum Opfer fielen, plötzlich aufhören würde.

Ziemlich kompliziert dürfte die Identifizierung der Täter von Karatschi deshalb werden, weil Geheimdienstleute und Militärangehörige verdeckt mit islamischen Extremisten und Fundamentalisten kollaborieren. Ihnen passt der nach dem 11. September 2001 eingeschlagene politische Kurs Islamabads nicht. Bhutto hat gewiss Recht mit ihrer Einschätzung, der Anschlag habe nicht allein ihr gegolten, sondern ihrem Vorhaben, Pakistan auf einen demokratischen Weg zu bringen.

Nach acht Jahren im Exil präsentiert sich »BB«, so ihr Kürzel, als Heilsbringerin, als Retterin der Nation, als jemand, der Wunder vollbringen kann. Doch auf der politischen Bühne des Landes oder besser hinter den Kulissen tobt seit Jahrzehnten ein erbitterter Machtkampf zwischen Generalen, Mullahs, säkularen Politikern, reichen Großgrundbesitzern, finanzstarken Industriellen, zunehmend autark handelnden Geheimdienstlern, religiösen Extremisten. Bislang behauptete sich das Militär, das je nach Erfordernissen mal mit dieser, mal mit jener Gruppierung Allianzen einging. Und es gibt keine Anzeichen, dass es seine Dominanz aufzugeben bereit wäre.

Auch wenn BB als liberal-demokratische, eher säkulare Politikerin gilt, ist das Verhältnis der 54- Jährigen zur Demokratie nicht unbefleckt. Zweimal war sie bereits Regierungschefin, von 1988 bis 1990 und von 1993 bis 1996. Stets musste sie vorzeitig das Handtuch werfen, jedes Mal wegen schwerer Korruptionsvorwürfe. Ihr Mann Asif Ali Zardari trug den Spitznamen »Mr. 10 Prozent« und verbrachte insgesamt zehn Jahre im Gefängnis. BB entzog sich einer vom damaligen Premier Nawaz Sharif initiierten Strafverfolgung, indem sie 1999 ins Exil ging. Stets war sie mit hehren Versprechungen angetreten. Sie wollte die feudalistischen Strukturen der von der Stammes- und Männerherrschaft geprägten Gesellschaft zerbrechen. Sie wollte den Frauen zu Anerkennung und Gleichberechtigung verhelfen. Sie wollte das Los der Armen erleichtern.

Erfolg war ihr nicht beschieden. Hingegen gewannen unter ihrem Zepter als Premier die radikalen Taliban an Stärke und Einfluss. Wenn Bhutto jetzt äußert, sie habe in den letzten 20 Jahren viel Lehrgeld bezahlt, dann gehört dazu wohl auch die Erkenntnis, dass man mit der Verhätschelung der Taliban einen schweren, sich bis in die Gegenwart auswirkenden Fehler beging.

BB und die Demokratie ist auch deshalb ein besonderes Kapitel, weil sie das bestehende Präsidialsystem Pakistans höchstens mit ein paar Reformen befruchten, aber nicht demontieren kann. In ihm trifft letztendlich der Staatspräsident (in 60 Jahren der Unabhängigkeit entweder ein General oder ein vom Militär gesponserter Mann) die wichtigen Entscheidungen. General Pervez Musharraf peitschte als Präsident eine Verfassungsänderung durch, die Politikern, die bereits zweimal Regierungschef waren, eine dritte Amtszeit verbietet. Bleibt diese Klausel in Kraft, dann kann Bhutto gar nicht nochmals Premier werden. Aber genau das ist die Absicht, mit der sie ihre Rückkehr begründete. Vielleicht gelingt es ihr, Musharraf zu überzeugen, auf diesen Passus zu verzichten. Aber am Präsidialsystem lässt er gewiss nicht rütteln. Selbst wenn sie unter diesen Verhältnissen Premierministerin würde, bliebe die Macht beim Staatsoberhaupt.

Eine solche Rollenverteilung scheint den USA vorzuschweben, die nach wie vor auf General Musharraf als »Schlüsselpartner im Kampf gegen den internationalen Terrorismus« setzen, zugleich jedoch Anstoß an seinem Konzept von »wahrer Demokratie« nehmen, das mit dem Demokratieverständnis des Westen keineswegs konform geht.

Eine reformfreudige, etwas aufmüpfige, im Prinzip aber zahnlose Benazir Bhutto als Regierungschefin und demokratisches Aushängeschild sowie Musharraf weiterhin als starker Mann – beide zudem pro USA –, das wäre der Kompromiss, mit dem Washington leben könnte. In Islamabad verstummen deshalb auch nicht die Gerüchte, der in der ersten Oktoberwoche ausgehandelte Deal zwischen Bhutto und Musharraf über eine »nationale Aussöhnung« sei auf massiven Druck der USA zustande gekommen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Oktober 2007


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