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Ab jetzt gilt "null Toleranz"

Pakistan: General Pervez Musharraf ruft den Ausnahmezustand aus

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Der Mann, der im Jahre 1999 gegen die rechtmäßige Regierung Pakistans putschte und seitdem das 160-Millionen-Volk auf den Weg zu »wahrer Demokratie« führen will, zeigt seit Samstag (3. November) sein wahres Gesicht. Um die eigene Macht zu erhalten, rief er als Chef der Streitkräfte den Ausnahmezustand aus und setzte eine »provisorische Verfassungsordnung« in Kraft. Im staatlichen Fernsehen erklärte er dazu, »zum Wohle Pakistans« fühle er sich zum Handeln veranlaßt, damit die Nation »nicht Selbstmord begeht«. Pakistan sei in Gefahr und »am Rande der Destabilisierung«. Es herrsche eine kritische Situation. Er müsse die Einheit des Landes bewahren. Terrorismus und Extremismus erlebten eine »Blütezeit«, und die Regierung sei durch den Obersten Gerichtshof blockiert.

Das staatliche pakistanische Fernsehen hatte als einziges Medium die Ausrufung des Ausnahmezustands gemeldet: Alle privaten TV-Kanäle ließ das Regime abschalten, außerdem die Telefonkommunikation im Fest- und im Mobilfunknetz unterbrechen. Dem folgten inzwischen nach Auskunft von Premierminister Shaukat Aziz bis Sonntag »400 bis 500 Festnahmen« oppositioneller Politiker und zahlreicher Richter und Anwälte sowie Restriktionen gegen Presse und elektronische Medien. Etliche Oppositionelle wurden unter Hausarrest gestellt.

Der Chefrichter des Obersten Gerichts, Mohammed Iftekhar Chaudhary, wurde abgesetzt. An seine Stelle trat Hamid Dogar. Er war einer der fünf von 17 Richtern des Oberstens Gerichts, die sich auf die »provisorische Verfassungsordnung« vereidigen ließen. Diese legt fest, daß keine gerichtlichen Urteile gegen den Staatspräsidenten und den Premierminister gefällt werden dürfen. Gegen diese Ordnung darf juristisch nicht vorgegangen werden. Der Polizeichef von Karatschi formulierte den neuen Kurs so: »Unsere weiche Politik ist beendet. Wir üben jetzt null Toleranz. Wir werden handeln, festnehmen und wenn erforderlich Gewalt anwenden.« Die für den Januar vorgesehenen Parlamentswahlen wurden ausgesetzt.

Noch in der Nacht zum Samstag (3. Nov.) kehrte Benazir Bhutto, die am Donnerstag (1. Nov.) zum Familienbesuch nach Dubai geflogen war, nach Karatschi zurück. Daraufhin umstellten mehr als 100 Polizisten ihr Haus. Die Politikerin erklärte: »Das ist kein Ausnahmezustand, sondern Kriegsrecht.« Das Land gerate wieder unter eine Militärdiktatur. Javed Hashmi, amtierender Präsident der Pakistanischen Muslimliga (N), sagte kurz vor seiner Verhaftung in Multan: »Musharrafs Tage sind gezählt. Die Zeit ist gekommen, die politische Rolle des Militärs zu beenden.«

Mit seiner Notstandsverodnung wartete General Musharraf bis zum letzten Augenblick. Am Dienstag wollte das Oberste Gericht das Urteil darüber sprechen, ob er überhaupt berechtigt gewesen war, für die Präsidentenwahl vom 6. Oktober zu kandidieren. Er hatte in Abwesenheit – zum Teil durch Boykott – der oppositionellen Parteien die meisten Stimmen erhalten. Doch den Richtern lagen einige Petitionen vor, die die Kandidatur des Generals wegen seiner Doppelfunktion als Staatsoberhaupt und Militärchef als verfassungswidrig bewerten. Erst vor wenigen Tagen hatte das Oberste Gericht auch entschieden, daß Expremier Nawaz Sharif, der von Musharraf im Oktober 1999 gestürzt und danach ins Exil verbannt worden war, nach Pakistan zurückkehren darf. Der General mußte somit befürchten, daß das Urteil der Richter negativ für ihn ausfällt. Deshalb zog er am Samstag die Notbremse.

* Aus: junge Welt, 5. November 2007

Ausnahmezustand in Pakistan

Pakistans innenpolitisch angeschlagener Staats- und Armeechef Pervez Musharraf hat den Ausnahmezustand ausgerufen. Die Sicherheitskräfte nahmen am Sonntag (4. Nov.) nach offiziell unbestätigten Angaben fast 1600 Oppositionspolitiker und Bürgerrechtler fest oder stellten sie unter Hausarrest. Die Regierung spricht von bis zu 500. Die Ausstrahlung privater und ausländischer Nachrichtensender in den öffentlichen Kabelnetzen wurde von den Behörden bis auf Weiteres unterbunden. Oppositionsparteien und Rechtsanwälte kündigten für diesen Montag landesweite Proteste gegen Musharrafs Politik an. Die internationale Staatengemeinschaft äußerte sich besorgt über die Entwicklungen in Pakistan.

Im Weißen Haus gab sich niemand mehr die Mühe, diplomatisch behutsam zu formulieren. »Sehr enttäuschend« seien die Notstands-Entscheidungen des pa-kistanischen Präsidenten, meinte Sprecher Gordon Johndroe. Für US-Präsident George W. Bush droht die Krise Pakistans zum »absoluten Albtraum-Szenario« zu werden, kommentierte die »Washington Post«. Schließlich sei der islamische Staat Atommacht und in wachsendem Maße Hochburg und Basis islamistischer und terroristischer Organisationen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat die Regierung in Islamabad am Sonntag aufgefordert, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. »Niemand bezweifelt das Recht der pakistanischen Regierung, sich gegen terroristische Angriffe zur Wehr zu setzen und für Stabilität und Sicherheit in Pakistan einzutreten«, heißt es in der Erklärung. »Auf Dauer werden diese Ziele aber nur zu erreichen sein, wenn Pakistan der Demokratie und dem Rechtsstaat verpflichtet bleibt.«

Islamabad hat derweil eine Verschiebung der für Januar geplanten Parlamentswahlen angedeutet.

Quelle: Nachrichtenagenturen, ND




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