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Khans Bomben-Erbe im Visier

Die Taliban im Vormarsch – wie sicher sind Pakistans Atomwaffen?

Von Olaf Standke *

Während gestern bei einem Selbstmordanschlag im Nordwesten Pakistans mindestens 40 Menschen getötet wurden, haben sich die Taliban zu dem Angriff am Wochenende auf das Armee-Hauptquartier bekannt. Er hat erneut die Frage nach der Sicherheit der pakistanischen Atomwaffen auf die Tagesordnung gesetzt.

Für Hillary Clinton gibt es keinen Zweifel, zumindest nicht offiziell: Die Sicherheit der atomaren Arsenale Pakistans ist gewährleistet. »Wir vertrauen der pakistanischen Regierung und der Kontrolle des Militärs über ihre Nuklearwaffen«, erklärte die USA-Außenministerin jetzt in London. Und fand Unterstützung bei ihrem britischen Amtskollegen David Miliband: Es gebe kein Risiko, dass Kernwaffen in die Hände von Terroristen geraten. Vorausgegangen war eine beispiellose Attacke. Kämpfer des »Punjab-Arms« der Tehreek-e-Taliban griffen das schwer bewachte Armee-Hauptquartier der Atommacht in der Garnisonsstadt Rawalpindi nahe Islamabad an, nahmen Geiseln und konnten erst durch eine Eliteeinheit gestoppt werden. Nicht nur die Wiener »Presse« stellte sich gestern die »Frage nach der Sicherheit von Pakistans Atomwaffenarsenal mit neuer Dringlichkeit«.

Pakistan hatte sich sich nach einem regelrechten Atomtest-Duell mit Indien Ende der 1990er Jahre zur Nuklearmacht erklärt. Die beiden wegen des Kaschmir-Konfliktes verfeindeten Nachbarstaaten arbeiteten seit Jahrzehnten an Atomwaffen. Im Februar dieses Jahres hat der High Court in Islamabad den vor fünf Jahren verhängten Hausarrest gegen den »Vater der islamischen Atombombe«, Abdul Qadeer Khan, aufgehoben. Der war auf Druck der USA unter dem damaligen Präsidenten Pervez Musharraf verhängt worden, nachdem der Wissenschaftler zugegeben hatte, seine Kenntnisse an Nordkorea, Iran und Libyen verkauft zu haben. In den 1980er Jahren soll er zudem einen schwunghaften Handel mit Nuklearmaterial betrieben haben.

Der 1935 in Bhopal geborene Khan arbeitete nach der Studienzeit in Deutschland und Belgien in den 1970er Jahren in einer Urananreicherungsanlage in den Niederlanden. Mit Hilfe gestohlener Unterlagen soll er dann die größte Anlage dieser Art in Pakistan aufgebaut haben. Nachdem Indien 1974 einen nuklearen Sprengkörper zur Explosion brachte, übertrug ihm Premier Zulfikar Ali Bhutto das Geheimprojekt, pakistanische Atomwaffen zu entwickeln. Am 6. April 1978 sei es erstmals gelungen, Uran anzureichern, so Khan in einem Interview, allerdings noch auf einem nicht waffenfähigen Niveau. Als er fünf Jahre später in Abwesenheit in Amsterdam zu vier Jahren Haft wegen Atomspionage verurteilt wurde, lag die Anreicherung schon bei 90 Prozent. Doch der damalige Präsident, General Zia ul-Haq, zögerte mit einem Test. »Wir waren Alliierte der USA im Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan. Wir baten Zia und seine Leute, den Test zu genehmigen, doch sie meinten, der hätte harte Konsequenzen. Weil die USA aber bei unserem Atomprogramm ein Auge zudrückten, damit wir den Krieg in Afghanistan unterstützten, bot sich uns die Gelegenheit, das Programm weiter zu entwickeln«, berichtete Khan.

1998 war es dann so weit für den ersten Test, und heute vermutet die USA-Regierung laut »New York Times« 80 bis 100 Atomsprengköpfe im Besitz Pakistans, das den Atomwaffensperrvertrag bisher nicht unterzeichnete. Damit hätte sich ihre Zahl in zehn Jahren verdoppelt. Man schätzt, dass bis Ende 2008 etwa zwei Tonnen angereichertes Uran und 90 kg Plutonium produziert wurden, ausreichend für 130 Atomwaffen. Doch besitzt Pakistan noch nicht genug Trägersysteme für so viele Waffen. Das Spaltmaterial dürfte für künftige Verwendung gelagert werden.

Indirekt fließen rund 100 Millionen Dollar aus den USA in dieses Nuklearprogramm. Offiziell sind sie dafür vorgesehen, die Atomarsenale vor dem Zugriff von Al Qaida, Taliban und anderen Extremisten zu schützen. »So Gott will, fallen diese Atomwaffen nicht den Amerikanern in die Hände, sondern werden von den Muslimen in Besitz genommen und gegen die Amerikaner benutzt«, hatte Mustafa Abu al-Jasid, einer der angeblichen Al-Qaida-Führer in der Region, vor vier Monaten gedroht. Die pakistanischen Atomsprengköpfe besitzen kein elektronisches Code-Sicherungssystem zur Schärfung der Gefechtsköpfe, wie man es etwa von den US-amerikanischen kennt. Jeder, der in ihren Besitz gelangt, könnte sie also prinzipiell einsetzen, warnen Experten. Und das Spaltmaterial aus Uran sei zwar in »Friedenszeiten« nicht in den Sprengköpfen montiert, zudem lagerten Bombengehäuse wie Spaltmaterial an unterschiedlichen Orten, doch könne dieser Minimalschutz in kurzer Zeit aufgehoben werden. Die USA jedenfalls sollen sich auf die militärische Sicherung der pakistanischen A-Waffen vorbereiten. Dafür ausgebildete Spezialeinheiten stünden auf dem Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean in Alarmbereitschaft.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2009


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