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Unkontrollierbares Grenzgebiet? Wie Pakistan und die USA gegen die Aufständischen vorgehen

Ein Beitrag von Jürgen Hanefeld in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag, der in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" am 10. Januar 2009 erstmals gesendet wurde. Moderator der Sendung: Joachim Hagen.

Joachim Hagen:
In wenigen Tagen wird Barack Obama in Washington in sein Amt eingeführt. Wir wollen uns in dieser Sendung mit den wichtigsten außen- und rüstungspolitischen Problemen beschäftigen, die auf den neuen amerikanische Präsidenten zukommen. Eines der drängendsten ist der Krieg in Afghanistan. Bis zum Sommer soll die Zahl der US-Soldaten am Hindukusch auf 60-tausend verdoppelt werden. Obama und seine Berater wollen dadurch die Lage soweit stabilisieren, dass mit dem Wiederaufbau des Landes begonnen werden kann. Doch die Vorzeichen stehen nicht günstig. Vor allem, weil sich die Aufständischen immer wieder in das Nachbarland Pakistan zurückziehen können. Jürgen Hanefeld berichtet:

Manuskript Jürgen Hanefeld

Der jüngste Fehlschlag liegt gerade erst eine Woche zurück. Nach Monaten permanenter Überfälle auf die Versorgungskonvois für Afghanistan schloss Pakistan kurzerhand die Grenze zum Nachbarland, um dort eine nachhaltige Operation gegen die Aufständischen einzuleiten. Wie bei einer ähnlichen Offensive vor einem halben Jahr blieb das Ergebnis überschaubar: Hubschrauber, Panzer, Artillerie und Bodentruppen durchkämmten das unwegsame Bergland, doch der Feind war verschwunden. Fünf Tote, vier davon Zivilisten, und 43 Festnahmen, so lautete die Bilanz der dreitägigen Aktion. Das NATO-Kommando in Kabul begrüßte -- etwas schmallippig -- die "Anstrengung" der pakistanischen Alliierten:

O-Ton Tariq Sayeed (overvoice)
"Wer immer in Amerika oder Europa glaubt, man könne Terrorismus mit militä-rischen Mitteln bekämpfen, ist ein Narr."

Tariq Sayeed ist kein Militär, aber als Präsident der Südasiatischen Handels-kammern ein über Pakistan hinaus einflussreicher Geschäftsmann. Und als solcher braucht er nicht einmal höflich zu sein, wenn er die US-amerikanische Politik verflucht:

O-Ton Tariq Sayeed (overvoice)
"Wessen Krieg führen wir denn? Es ist der Krieg der Amerikaner. Und wir op-fern dafür unsere Leute. 1.200 unserer Soldaten sind allein im zurückliegenden Jahr getötet worden an der Grenze zu Afghanistan. Jeden Tag sterben unschuldige Zivilisten."

Die Stimmung in der pakistanischen Gesellschaft ist gegen die US-amerikanische Politik in Afghanistan und gegen das Bündnis mit Washington, zu dem sich Pakistans Diktator Musharraf nach den Angriffen vom 11. September 2001 hat bewegen lassen. Auch in der Armee findet die Allianz wenig Unterstützung. Der dem Westen wohl gesonnene General im Ruhestand, Jamshed Ayaz, betreibt seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ein renommiertes Forschungsinstitut. Er formuliert so höflich wie möglich:

O-Ton Jamshed (overvoice)
"Die pakistanische Armee muss mit den Amerikanern kooperieren, denn sie ist ja der Regierung unterstellt. Mehr als 150.000 Soldaten stehen an der Nordwestgrenze. Ich persönlich glaube, dieser Krieg dient nicht allein den Amerikanern, sondern auch Pakistan. Denn Extremismus und Terrorismus gab es in dieser Region ja auch schon vor dem 11. September. Allerdings reichen militärische Mittel nicht aus. Man muss den politischen Dialog suchen. Denn es handelt sich ja um unsere Bürger! Wir können nicht, wie die Amerikaner, von "Kollateralschäden" reden und ungestraft davonkommen. Wir müssen die Region gut verwalten, gut regieren, befrieden, Wohlstand schaffen; und nur dann, wenn es wirklich unumgänglich ist, sollte das Militär eingreifen -- als letztes Mittel."

Doch die Amerikaner wollen schnelle Ergebnisse. In diesem Jahr sollen in Afghanistan Wahlen stattfinden. Die USA befürchten aus diesem Anlass ver-mehrte Attacken der Taliban. Denen wollen sie mit einer Aufstockung der zivi-len Hilfe, aber auch mit militärischer Stärke begegnen. Der künftige Präsident Barack Obama kündigte an:

O-Ton Obama (overvoice)
"In Afghanistan hat der Krieg gegen den Terror begonnen, und dort muss er auch beendet werden. Wir werden unser Engagement verstärken und die Zahl der Bodentruppen erhöhen, um die Gefahren des 21. Jahrhunderts abzuwehren."

Um bis zu 30.000 Mann wollen die Amerikaner ihr Kontingent aufstocken. Dann stünden -- fast wie zur Zeit der sowjetischen Besatzung -- nahezu 100.000 ausländische Soldaten im Land.

Damals konnten sich die militanten Islamisten -- aufgebaut und ausgerüstet von den USA -- stets ins pakistanische Hinterland zurückziehen und am Ende die Sowjetmacht aus dem Lande jagen. Damit sich dieses Szenario nun, wo sich die Vorzeichen umgedreht haben, nicht wiederholt, verlangen die USA von Islamabad, die Grenze besser zu kontrollieren. Doch Ex-General Jamshed Ayaz winkt ab:

O-Ton Jamshed (overvoice)
"Die Taliban operieren eindeutig hier. Und sie passieren die Grenze in beiden Richtungen, obwohl wir mehr als 1000 Checkpoints haben. Aber sie dürfen das! Sie haben Verträge, die bis auf das Jahr der Staatsgründung 1947 zu-rückgehen, weil durch die Grenzziehung damals ihre Familien geteilt wurden. Und die Militanten unter ihnen erfahren Unterstützung aus der lokalen Bevölkerung, sei es materiell oder ideell."

Es geht um eine 2.560 Kilometer lange Linie in einem unübersichtlichen, bergigen Terrain, in dem der Staat Pakistan nach Meinung von Experten gar keine Autorität hat. Hier regieren schon immer die Stammesfürsten. Sie stehen nicht nur im Verdacht, Terroristen Unterschlupf zu gewähren, sie umgibt vor allen Dingen der Nimbus der Unbesiegbarkeit. Und deshalb liegt bei ihnen nach Meinung des Generals im Ruhestand auch der Schlüssel zur Lösung des Problems:

O-Ton Jamshed (overvoice)
"Die meisten Stammesfürsten sind friedliebende Leute. Sie haben Pakistan seit 1947 immer wieder verteidigt. Sie sollten auch die militanten Kräfte bekämpfen, jedenfalls die Ausländer unter ihnen."

Mit den "Ausländern" sind die Mujaheddin gemeint, die "Heiligen Krieger" der Al Kaida, deren Gründer Osama bin Laden sich womöglich noch immer in dieser Region versteckt hält. Doch ihre Anzahl ist offenbar gering. Der pakistanische Militär-Geheimdienst ISI schätzt, dass sich im gesamten Grenzgebiet rund 7.000 Kämpfer bewegen, darunter aber kaum mehr als 150 dieser meist aus Arabien stammenden Extremisten. Viele von ihnen wurden vom ISI selbst ausgebildet, und zwar auf Geheiß der USA, damit sie die Russen aus Afghanistan vertreiben. Als dieses Ziel 1989 erreicht war und sich die USA aus dem Konflikt zurückzogen, setzte Pakistan die Partisanen im Kaschmir-Konflikt ein und zur Unterstützung der Taliban in Afghanistan. Erst nach den Angriffen vom 11. September 2001 vollzog General Musharraf auf Druck der USA die Kehrtwende und sicherte Washington Schützenhilfe im sogenannten Krieg gegen den Terror zu. Er versprach, die traditionsreichen Verbindungen zwischen ISI und Dschihadisten zu kappen. Doch ob und wie weit das jemals geschehen ist, bleibt fraglich.

Musharrafs demokratisch gewählter Nachfolger Zardari vollführt einen gefährlichen Balanceakt. Einerseits ist er persönlich auf das Wohlwollen und sein bankrotter Staat auf die Wirtschaftshilfe des Westens angewiesen. Andererseits muss er die anti-amerikanische Stimmung in Volk und Armee berücksichtigen. Dass es ihm nicht gelingt, die permanenten Verletzungen des pakistanischen Luftraums durch US-Kampfflugzeuge, Raketen und Drohnen zu beenden, wird als nationale Demütigung empfunden. Gemäßigte Militärs wie Ex-General Jamshed Ayaz halten diese Angriffe, bei denen re-gelmäßig zahllose Zivilisten ums Leben kommen, für absolut kontraproduktiv:

O-Ton Jamshed (overvoice)
"Je mehr Drohnen hier hinein fliegen, desto mehr Menschen schlagen sich auf die Seite der Aufständischen. Das ist ein Schneeballeffekt! Statt dessen sollte man mit den Leuten in den Stammesgebieten reden. Das sind erprobte Kämpfer. Überzeuge sie, dass das unsere gemeinsame Schlacht ist, dann werden sie die fremden Leute aus Afghanistan, Arabien, Usbekistan oder woher sie auch kommen mögen, hinauswerfen."

Meldungen aus den USA, nach denen es ein geheimes Abkommen mit der Regierung in Islamabad über die Tolerierung der Attacken auf so genannte "wertvolle Ziele" in Pakistan gäbe, weist der Ex-General empört zurück:

O-Ton Jamshed (overvoice)
"Das ist absoluter Quatsch. Es gibt kein Abkommen, denn weder das Volk noch die Regierung kann so etwas wollen. Die Armee schon gar nicht, denn deren Leute werden ja dort getötet. Das ist vollkommen unmöglich."

Tatsächlich hat US-Präsident Bush noch im Dezember wiederholt, dass seine Regierung Luftschläge in den Stammesgebieten weder ankündige noch mit den betroffenen Staaten diskutiere. In einem viel beachteten Essay stellte die prominente indische Schriftstellerin Arundhati Roy kürzlich fest: "Eine Super-macht hat keine Alliierten. Nur Handlanger."

Quelle: NDR Info Das Forum, STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 10.01.2009/19.20-19.50 Uhr; www.ndrinfo.de


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