Kein Nachschub für Besatzer
Pakistan startet Militäroffensive und blockiert damit Lieferungen für die NATO-Truppen in Afghanistan
Von Knut Mellenthin *
Pakistan hat am Dienstag (30. Dez.) alle Lieferungen für die
NATO-Interventionstruppen in Afghanistan über den Khyber-Paß auf
unbegrenzte Zeit gestoppt. Über diese Route laufen 75 Prozent des
gesamten Nachschubs für das US-Militär, einschließlich 40 Prozent ihres
Treibstoffs.
Die Unterbrechung der Lieferungen wird mit einer Offensive gegen
Aufständische im Khyber-Bezirk begründet, die am frühen Dienstag morgen
begann. Durch dieses Gebiet verlaufen die letzten 50 Kilometer der
mehrere hundert Kilometer langen Nachschublinie zwischen dem
pakistanischen Hafen Karatschi und dem Grenzkontrollpunkt Torkham. Der
Bezirk galt lange Zeit als »ruhig«, der Nachschub war kaum gefährdet --
vermutlich aufgrund von Schutzgeldvereinbarungen mit den einheimischen
Stämmen. Seit Anfang 2008 haben Angriffe auf die Konvois mit NATO-Fracht
jedoch sprunghaft zugenommen. Allein im November und Dezember wurden
Hunderte LKW zerstört. Zahlreiche Fahrer und eine Reihe von
Transportunternehmern weigern sich inzwischen unter Hinweis auf die
Sicherheitslage, weiter für den NATO-Nachschub zu arbeiten.
Schon einmal in diesem Jahr, im Juni und Juli, war der Khyber-Bezirk
Ziel einer mehrwöchigen Offensive der pakistanischen Streitkräfte, die
aber trotz Erfolgsmeldungen offensichtlich ein Fehlschlag war. Die jetzt
begonnene Operation sei »gigantisch« und werde so lange fortgesetzt,
»bis wir unser Ziel erreicht haben«, verkündete Bezirkschef Tariq Hajat
am Dienstag. Die Hauptstraße zwischen Peschawar und dem Khyber-Paß sei
für den gesamten Verkehr gesperrt. »Der Nachschub für die NATO-Kräfte
bleibt unterbrochen, bis wir das Gebiet von Aufständischen und
Verbrechern gesäubert haben.«
Das allerdings könnte unabsehbar lange dauern. Ein NATO-Sprecher in
Kabul begrüßte dennoch die pakistanische Offensive und war demonstrativ
bemüht, die Folgen herunterzuspielen: »Das wird keine größeren
Auswirkungen haben, weil es nur vorübergehend ist und wir Vorräte haben.
Insgesamt wird es eine gute Sache sein.«
Nach Angaben von Bezirkschef Hajat sind neben den aus Einheimischen
rekrutierten Truppen der Nordwest-Grenzprovinz auch Armee-Einheiten mit
Artillerie, Panzern und Kampfhubschraubern im Einsatz. Schauplatz der
Offensive ist zunächst der Distrikt Jamrud, der auf halbem Weg zwischen
Peschawar und Torkham liegt. »Wenn erforderlich«, so Hajat, werde der
Feldzug auch auf die anderen zwei Distrikte des Khyber-Bezirks ausgedehnt.
* Aus: junge Welt, 31. Dezember 2008
Hierzu ein drei Wochen alter Kommentar aus dem "Neuen Deutschland":
Nachschub stockt
Von René Heilig **
Die Route von der südpakistanischen Hafenstadt Karachi über Peshawar und den Khyber-Pass ist die wichtigste Nachschubroute für die Internationale Schutztruppe ISAF und die US-geführten Koalitionstruppen in Afghanistan. Bereits mehrmals wurden Konvois auf dem Pass angegriffen. Die Militärs stellten sich darauf ein: Die Lastwagen, die all das transportieren, was westliche Soldaten zum Kämpfen und Leben brauchen, müssen nun über Nacht in den angeblich sicheren Depots am Stadtrand von Peshawar parken.
Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die NATO-Widersacher genau diese Wagenburg als Schwäche ihrer Feinde und damit als Angriffsziel ausmachten. Klar, aus zahlreichen Partisanenkämpfen weiß man: Kriege werden selten an der Front – die es in Afghanistan ohnehin nicht nach klassischem Militärakademie-Muster gibt –, sondern oft im Hinterland verloren.
Nach der erfolgreichen Attacke kommt nun so einiges auf die »Befreier« Afghanistans zu. Erstens müssen sie sich Gedanken darüber machen, wie ihre Fracht sicher durch unwägbare Gelände gebracht werden kann. Zweitens wird der Frachtraum knapp. Drittens steigen – ob des gewachsenen Risikos – Fracht- und Versicherungskosten. Viertens ist die moralische Wirkung nicht zu unterschätzen.
Sicher, die westliche Koalition und die Gier nach noch mehr Profit sind stark genug, um jetzige und vermutlich noch kommende Verluste auszugleichen. Doch diese Stärke mit der Chance auf einen Sieg über mehrere Dutzend Völkerschaften in Afghanistan zu verwechseln, wäre trügerisch.
** Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2008
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