Osttimor: Versöhnung durch Gerechtigkeit
Nach dem Vorbild Südafrikas wurde eine Wahrheitskommission geschaffen
Von Monika Schlicher und Marianne Klute*
Nach dem Vorbild Südafrikas hat im einst von Indonesien
okkupierten und brutal unterdrückten Osttimor eine
nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission die Arbeit
aufgenommen.
Manchmal bin ich so wütend, dass ich verrückt werden könnte.
Was ich mir dann am meisten wünsche - dass alle Täter
umgebracht werden. Doch dann, wenn ich wieder etwas ruhiger
werde, denke ich, mein Mann ist tot und nichts kann ihn
zurückbringen, auch Rache nicht.« Wie die Witwe aus Baucau, die
dies sagt, haben fast alle Familien in Osttimor in den 24 Jahren der
indonesischen Besetzung Opfer zu beklagen. Schätzungsweise
200.000 bis 250.000 Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, starben
an den Folgen des Krieges: an Hunger und Seuchen und infolge
der brutalen Verfolgung durch indonesische Soldaten.
Den Willen der Menschen von Osttimor zur Unabhängigkeit haben sie nicht zu brechen vermocht, doch
sie haben unendliches seelisches und körperliches Leid verursacht. Familien wurden auseinander
gerissen, müssen den Verlust eines geliebten Menschen beklagen, waren gezwungen, an Gräueltaten
teilzunehmen. Mädchen und Frauen wurden oftmals vor den Augen der Familie oder der
Dorfgemeinschaft vergewaltigt, viele kamen aus den Folterkammern als gebrochene Menschen zurück
oder verschwanden für immer.
Indonesien hatte in Osttimor ein Klima der Angst und des Terrors geschaffen. Dabei verfolgten die
Sicherheitskräfte konsequent das Prinzip des »Teile und Herrsche« und spalteten so die Gesellschaft.
Sie zwangen Menschen mit Folter und Drohungen in ihr Dienste, gewannen andere, indem sie ihnen
Geld und Einfluss versprachen.
Als Indonesiens damaliger Präsident Habibie Anfang 1999 die Vereinten Nationen einlud, zur Lösung
des Konfliktes ein Referendum über den Verbleib oder die Loslösung Osttimors durchzuführen, brachten
die indonesischen Militärs ihre Milizen als Helfershelfer zum Einsatz. Kaum hatte die überwältigende
Mehrheit der Osttimorer am 30. August 1999 sich gegen Indonesien entschieden, zogen die Milizen
mordend und brandschatzend durch das Land und vertrieben zirka 250.000 Menschen nach Westtimor.
Erst die am 20. September 1999 landenden Friedenstruppen bereiteten dem Grauen ein Ende.
Seitdem herrscht Frieden, und nun gilt es, die Spaltung zu überwinden und an einer dauerhaften
Versöhnung zu arbeiten. Dazu wurde eine nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission ins Leben
gerufen. Sie orientiert sich an dem Modell in Südafrika, mit dem entscheidenden Unterschied, dass es
keine Amnestie für schwere Verbrechen wie Mord und Vergewaltigung geben wird. In den kommenden
zwei Jahren wird die Kommission die in der Zeit vom April 1974, dem der Zusammenbruch des
portugiesischen Kolonialreiches folgte, bis zum Abzug des indonesischen Militärs im Oktober 1999
begangenen minderschweren Menschenrechtsverbrechen untersuchen. Ziel ist es, Versöhnung durch
Gerechtigkeit zu erzielen. Den Opfern wird Raum gegeben, von den Verletzungen zu sprechen, die
ihnen widerfuhren. Den Tätern, von denen sich viele noch in Westtimor aufhalten, soll eine Möglichkeit
zur Reintegration gegeben werden. Den Opfern soll Genugtuung verschafft werden - durch öffentliche
Entschuldigung, materiellen Ausgleich oder auch gerichtliche Ahndung. Dabei orientiert sich die
Kommission nicht an nationalen, sondern an internationalen Rechtsnormen und bindet die traditionelle
Rechtspraxis mit ein.
Im Januar 2002 nahm die Kommission mit der feierlichen Amtseinführung der sieben Beauftragten die
Arbeit auf. Ihr gehören ein ehemaliger politischer Gefangener, die Vorsitzende der Organisation Frauen
gegen Gewalt, eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsdienstes, ein katholischer Priester und ehemaliges
Mitglied des studentischen Widerstandes sowie Vertreter der Kirche und einer proindonesischen
Vereinigung an. Vorsitzender ist Aniceto Guterres Lopes, der Chef der bedeutendsten
Menschenrechtsorganisation Osttimors. Experten aus Südafrika und Guatemala bereiten die
Beauftragten auf ihre Aufgabe vor. Parallel dazu werden sechs Regionalbüros mit bis zu 30 Mitarbeitern
eröffnet.
»Wir wollen aus der Vergangenheit lernen, um in Zukunft ähnliche Tragödien zu vermeiden, aber zur
gleichen Zeit bemühen wir uns um Vergebung und möchten diejenigen, die in den Teufelskreis der
Gewalt geraten sind, wieder aufnehmen«, erklärte der Friedensnobelpreisträger und derzeitige
Außenminister Jose Ramos-Horta. Auch vor den Menschenrechtsverletzungen, die von der Wider-
standspartei Fretilin begangen wurden, dürfe nicht Halt gemacht werden.
Die Wahrheits- und Versöhnungskommission hat in Osttimor breite Akzeptanz gefunden und die
Hoffnung gestärkt, dass mit der Heilung alter Wunden ein wichtiger Beitrag zum Neuaufbau der
Gesellschaft geleistet wird. Die Bereitschaft zur Versöhnung ist deutlich spürbar, Voraussetzung für ein
Gelingen ist jedoch die Mitarbeit der Täter. Und um den Menschen in Osttimor Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen, müssen auch die indonesischen Militärangehörigen und politischen
Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.
*Die Autorinnen sind Mitarbeiterinnen der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia!
Informationen im Internet: www.easttimor-reconciliation.org
Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2002
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