Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Osttimor: Versöhnung durch Gerechtigkeit

Nach dem Vorbild Südafrikas wurde eine Wahrheitskommission geschaffen

Von Monika Schlicher und Marianne Klute*

Nach dem Vorbild Südafrikas hat im einst von Indonesien okkupierten und brutal unterdrückten Osttimor eine nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission die Arbeit aufgenommen.

Manchmal bin ich so wütend, dass ich verrückt werden könnte. Was ich mir dann am meisten wünsche - dass alle Täter umgebracht werden. Doch dann, wenn ich wieder etwas ruhiger werde, denke ich, mein Mann ist tot und nichts kann ihn zurückbringen, auch Rache nicht.« Wie die Witwe aus Baucau, die dies sagt, haben fast alle Familien in Osttimor in den 24 Jahren der indonesischen Besetzung Opfer zu beklagen. Schätzungsweise 200.000 bis 250.000 Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, starben an den Folgen des Krieges: an Hunger und Seuchen und infolge der brutalen Verfolgung durch indonesische Soldaten.

Den Willen der Menschen von Osttimor zur Unabhängigkeit haben sie nicht zu brechen vermocht, doch sie haben unendliches seelisches und körperliches Leid verursacht. Familien wurden auseinander gerissen, müssen den Verlust eines geliebten Menschen beklagen, waren gezwungen, an Gräueltaten teilzunehmen. Mädchen und Frauen wurden oftmals vor den Augen der Familie oder der Dorfgemeinschaft vergewaltigt, viele kamen aus den Folterkammern als gebrochene Menschen zurück oder verschwanden für immer.

Indonesien hatte in Osttimor ein Klima der Angst und des Terrors geschaffen. Dabei verfolgten die Sicherheitskräfte konsequent das Prinzip des »Teile und Herrsche« und spalteten so die Gesellschaft. Sie zwangen Menschen mit Folter und Drohungen in ihr Dienste, gewannen andere, indem sie ihnen Geld und Einfluss versprachen.

Als Indonesiens damaliger Präsident Habibie Anfang 1999 die Vereinten Nationen einlud, zur Lösung des Konfliktes ein Referendum über den Verbleib oder die Loslösung Osttimors durchzuführen, brachten die indonesischen Militärs ihre Milizen als Helfershelfer zum Einsatz. Kaum hatte die überwältigende Mehrheit der Osttimorer am 30. August 1999 sich gegen Indonesien entschieden, zogen die Milizen mordend und brandschatzend durch das Land und vertrieben zirka 250.000 Menschen nach Westtimor. Erst die am 20. September 1999 landenden Friedenstruppen bereiteten dem Grauen ein Ende. Seitdem herrscht Frieden, und nun gilt es, die Spaltung zu überwinden und an einer dauerhaften Versöhnung zu arbeiten. Dazu wurde eine nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission ins Leben gerufen. Sie orientiert sich an dem Modell in Südafrika, mit dem entscheidenden Unterschied, dass es keine Amnestie für schwere Verbrechen wie Mord und Vergewaltigung geben wird. In den kommenden zwei Jahren wird die Kommission die in der Zeit vom April 1974, dem der Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches folgte, bis zum Abzug des indonesischen Militärs im Oktober 1999 begangenen minderschweren Menschenrechtsverbrechen untersuchen. Ziel ist es, Versöhnung durch Gerechtigkeit zu erzielen. Den Opfern wird Raum gegeben, von den Verletzungen zu sprechen, die ihnen widerfuhren. Den Tätern, von denen sich viele noch in Westtimor aufhalten, soll eine Möglichkeit zur Reintegration gegeben werden. Den Opfern soll Genugtuung verschafft werden - durch öffentliche Entschuldigung, materiellen Ausgleich oder auch gerichtliche Ahndung. Dabei orientiert sich die Kommission nicht an nationalen, sondern an internationalen Rechtsnormen und bindet die traditionelle Rechtspraxis mit ein.

Im Januar 2002 nahm die Kommission mit der feierlichen Amtseinführung der sieben Beauftragten die Arbeit auf. Ihr gehören ein ehemaliger politischer Gefangener, die Vorsitzende der Organisation Frauen gegen Gewalt, eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsdienstes, ein katholischer Priester und ehemaliges Mitglied des studentischen Widerstandes sowie Vertreter der Kirche und einer proindonesischen Vereinigung an. Vorsitzender ist Aniceto Guterres Lopes, der Chef der bedeutendsten Menschenrechtsorganisation Osttimors. Experten aus Südafrika und Guatemala bereiten die Beauftragten auf ihre Aufgabe vor. Parallel dazu werden sechs Regionalbüros mit bis zu 30 Mitarbeitern eröffnet.

»Wir wollen aus der Vergangenheit lernen, um in Zukunft ähnliche Tragödien zu vermeiden, aber zur gleichen Zeit bemühen wir uns um Vergebung und möchten diejenigen, die in den Teufelskreis der Gewalt geraten sind, wieder aufnehmen«, erklärte der Friedensnobelpreisträger und derzeitige Außenminister Jose Ramos-Horta. Auch vor den Menschenrechtsverletzungen, die von der Wider- standspartei Fretilin begangen wurden, dürfe nicht Halt gemacht werden.

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission hat in Osttimor breite Akzeptanz gefunden und die Hoffnung gestärkt, dass mit der Heilung alter Wunden ein wichtiger Beitrag zum Neuaufbau der Gesellschaft geleistet wird. Die Bereitschaft zur Versöhnung ist deutlich spürbar, Voraussetzung für ein Gelingen ist jedoch die Mitarbeit der Täter. Und um den Menschen in Osttimor Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen auch die indonesischen Militärangehörigen und politischen Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.

*Die Autorinnen sind Mitarbeiterinnen der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia!
Informationen im Internet: www.easttimor-reconciliation.org


Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2002


Zur Osttimor-Seite

Zur Indonesien-Seite

Zurück zur Homepage