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Osttimor hat die Unabhängigkeit gewählt

Befreiungsfront stärkste Kraft - Nun wird Verfassung ausgearbeitet

Am 30. August fand in Osttimor die erste freie Wahl statt. Im Folgenden dokumentieren wir hierzu eine Stellungnahme der UN-Verwaltung, Ausschnitte aus zwei Hintergrundartikeln, die vor der Wahl veröffentlicht wurden, sowie einen kurzen Pressebericht über das Wahlergebnis.

Die Wahlen in Osttimor stehen bevor

Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung werden, so Sergio Vieira de Mello, Chef der UNO-Übergangsverwaltung in Osttimor, "der Grundstein für ein unabhängiges und demokratisches Osttimor sein". Die Versammlung wird am 15. September 2001 vereidigt werden und soll inner-halb von 90 Tagen eine Verfassung ausarbeiten und beschließen. Die Versammlung wird entscheiden, welche Form von politischem System Osttimor erhalten wird und wird sich dann in das Parlament des neusten Staates dieser Welt verwandeln.

Danach könnte zu Beginn des nächsten Jahres eine Präsidentschaftswahl folgen, für die der Führer der Unabhängigkeitsbewegung Xanana Gusmăo - Osttimors Nelson Mandela - momentan der aussichtsreichste Kandidat ist.

Osttimor hat einen weiten Weg zurückgelegt seit den tragischen Ereignissen im Jahr 1999. Mit Hilfe der UNO und der internationalen Gemeinschaft gelang es, das Land langsam wieder aufzubauen.

Hintergrundinformation

Der Frieden, der derzeit in Osttimor herrscht, steht im scharfen Gegensatz zu der blutigen Geschichte des Landes im letzten Vierteljahrhundert. Osttimor, eine ehemalige portugiesische Kolonie, wurde 1975 von Indonesien annektiert. Während der folgenden Befreiungskämpfe haben in 24 Jahren mehr als 100.000 Menschen ihr Leben verloren.

Der Beginn des Endes der Leidensgeschichte Osttimors war das von der UNO unterstützte Unabhängigkeitsreferendum am 30. August 1999, in welchem sich eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit Osttimors aussprach. Doch brachte das Referendum vorerst noch nicht ein Ende der Unterdrückung. Pro-indonesische Gruppierungen, unterstützt durch indonesisches Militär, starteten eine Terrorkampagne gegen die Befürworter eines unabhängigen Osttimor.

Mehr als 2.000 Timoresen wurden bei den folgenden Ausschreitungen getötet. Einen Monat nach dem Pogrom konnte die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Osttimor (UNTAET) etabliert werden. Sie hatte die Aufgabe, eine Nation aufzubauen. Eine Regierung und Institutionen bis hin zu eigenständiger Währung und Staatsflagge mussten innerhalb kürzester Zeit geschaffen werden - eine Aufgabe, wie sie die Vereinten Nationen in ihrer Geschichte noch nicht zu bewältigen hatte.

Nach zwei Jahren haben die Vereinten Nationen nun ihre Aufgabe beendet. Am 30. August 2001 wird Osttimor in den ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte des Landes eine konstituierende Versammlung wählen. Sechzehn politische Parteien und unzählige unabhängige Kandidaten haben ein nationales Abkommen unterzeichnet, das korrektes politisches Verhalten während der Wahlen und danach festschreiben will. Der Pakt soll vor allem politische Gewalt verhindern. Für die meisten Timoresen - mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre - war politische Gewalt ein beständiger Teil ihres Lebens.

Die Unterzeichnung eines Vertrages zwischen Osttimor und Australien im Juli dieses Jahres, der die Aufteilung der Einnahmen aus den Öl- und Gasvorhaben in der Timorsee regelt, zählt zu den großen Leistungen der UNO-Verwaltung. Der Vertrag sieht vor, dass Osttimor 90 Prozent der Einnahmen aus der Förderung erhält. Dieser Vertrag ersetzt ein älteres Abkommen zwischen Australien und Indonesien, welches die Einnahmen zu gleichen Teilen aufgeteilt hat. Diese "Öl- und Gas-Bonanza", die in den nächsten zwanzig Jahren zwischen 4 und 5 Milliarden Dollar einbringen wird, kann genutzt werden, um die verarmte Region nachhaltig zu entwickeln.

Innerhalb der letzten zwanzig Monate seit Beginn der UNO-Mission in Osttimor hat sich das Land wie ein Phönix aus der Asche erhoben. Seit Oktober 1999 haben die UNO-Blauhelme erfolgreich jede militärische Bedrohung beseitigt und der Nation ein Gefühl von Sicherheit gegeben, wie sie es seit Jahrzehnten nicht gekannt hat. Nun gibt es in den meisten Teilen des Landes Fliesswasser und Elektrizität, ausgebrannte Häuser ohne Dächer sind zur Seltenheit geworden und mehr als 180.000 Osttimoresen sind aus freiwilligem Exil wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.

In einem dreimonatigen Projekt wurde die gesamte Bevölkerung für die ersten allgemeinen Wahlen registriert. Eine 850 Mann starke Polizeitruppe wurde ausgebildet und im Land stationiert. Andere notwendige Einrichtungen für Gesundheitsversorgung, Erziehung, und Justiz wurden geschaffen.

"Selbst die schärfsten Kritiker müssen erstaunt sein, was die Vereinten Nationen geleistet haben. Aus Schutt und Asche, die UNTAET zu Beginn vorfand, hat sie gemeinsam mit der Bevölkerung einen funktionierenden Staat geschaffen", sagt UNTAET-Chef Vieira de Mello.

UNIC/375; 23. August 2001


Der Kampf um die Macht beginnt

Von Moritz Kleine-Brockhoff (Quelicai)

... Portugiesische Kolonialherren, Japaner während des Zweiten Weltkriegs, von 1975 an Indonesier, die Einwohner Quelicais mussten oft in die Berge. Zuletzt 1999, als sie in einem Referendum die Unabhängigkeit wählten. Wenn die Luftangriffe, das Morden, die Brandschatzungen, oder was sonst geschah, vorbei waren, kamen sie zurück und bauten neue Hütten. 1999 hatte Quelicai Glück. Als klar war, dass 80 Prozent der Osttimoresen unabhängig sein wollen, zerstörten das indonesische Militär und die von ihm angeheuerten Milizen zwar fast das ganze Land, aber Quelicai kam damals glimpflich davon. Eine Handvoll Milizionäre verbrannte einige Häuser, halb so wild im Vergleich zu den 80er Jahren, als indonesische Soldaten Bomben abwarfen und auf der Suche nach Unabhängigkeitskämpfern regelmäßig das Dorf durchkämmten. Das sei nie ohne Tote vonstatten gegangen, erzählen viele.

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97 Prozent der Osttimoresen haben ein traumatisches Erlebnis hinter sich. Fast ein Viertel hat gesehen, wie ein Verwandter oder ein Freund umgebracht wurde, ebenso viele haben Kind oder Ehepartner verloren. Das fand das IRCT, der Internationale Rehabilitationsrat für Folteropfer, bei einer Umfrage heraus. "Seit wir da sind, ist es bis auf den einen Vorfall hier oben wie im Urlaub", meint der UN-Polizeichef, "die Frauen bringen uns Früchte und Reis. Sie sagen, dass wir nicht verstehen könnten, was für sie das Gefühl bedeute, dass Männer mit Waffen da seien, denen sie vertrauen können. Wir sollen nie wieder weggehen."

Edmundo da Costa sitzt im Schatten vor seiner Hütte. 64 Jahre ist er alt, seine Frau auch. Dass sie das geschafft haben in einem Land, in dem die Lebenserwartung bei 50 Jahren liegt, wundert sie selbst. "Ich bin froh, dass es im Moment friedlich ist", sagt Edmundo müde, "wir haben so viel gelitten, so lange für die Unabhängigkeit gekämpft. Jetzt kommt sie endlich. Aber wir wissen nicht, wie das werden wird, weil dann ja die UN wieder abziehen." Davon, dass an der Grenze zu Indonesien weiterhin UN-Soldaten bleiben sollen, weiß Edmundo nichts.

Nur dass es bald Wahlen geben soll, haben sie gehört, erzählt er. Wer oder was gewählt werden soll, das ist ihm nicht klar. Fünf Autostunden sind es bis zur Hauptstadt Dili, und im Moment gibt es kaum Autos oder Busse. Die Vereinten Nationen haben ein Radioprogramm installiert, aber das ist außerhalb der Städte nicht zu empfangen und drei Viertel der Osttimoresen wohnen auf dem Land. Zwei Zeitungen erscheinen, aber auch die sind nur in den wenigen Städten zu haben. "Die UN haben auch Politiker geschickt, die sind in Dili und treffen die Entscheidungen, mehr weiß ich nicht", sagt Edmundo. Dass es mittlerweile 13 osttimoresische Parteien gibt, dass am 30. August die erste Volksversammlung gewählt wird, die dann eine Verfassung erarbeitet und entscheidet, wann Osttimor seine Unabhängigkeit erklärt, all das spricht sich im Land erst langsam herum.

"Wir haben noch viel zu tun", sagt Colin Stewart, der bei der UN-Verwaltung für Bildungsprogramme zuständig ist, welche die Wähler auf die Abstimmung vorbereiten sollen. "Die Menschen in Osttimor kennen nur Fremdbestimmung und Unterdrückung. Demokratie, Freiheit und ihre Grenzen, Rechte und Pflichten in einer toleranten Gesellschaft, politische Parteien und ihre Aufgabe, all das müssen wir erklären." Mit Hilfe von Postern und Broschüren, Diskussionsforen in den Dörfern und sogar durch ein Theaterstück sollen demokratische Prinzipien und Menschenrechte vermittelt werden.

Schon seit Monaten basteln die UN und die kleine politische Elite der Osttimoresen an den neuen demokratischen Strukturen. Mehrere Verfassungsentwürfe werden diskutiert. Entschieden ist noch nichts, aber die meisten favorisieren ein Präsidialsystem mit zwei Kammern. Mit der Unabhängigkeitserklärung endet die UN-Verwaltung. Einen genauen Zeitplan gibt es noch nicht. "Wichtiger als das Datum ist, dass wir alles richtig und sorgfältig machen", meint Manuel Carrascalăo, der Präsident der jetzigen Nationalversammlung, deren Mitglieder noch von den UN berufen wurden. "Es darf nicht wieder Chaos geben. Wir müssen aus den Fehlern lernen, die wir in den 70er Jahren gemacht haben." Damals stand die portugiesische Kolonie schon mal vor der Unabhängigkeit. Aber die Osttimoresen stritten sich untereinander um die Herrschaft. Das Machtvakuum während des kurzen Bürgerkriegs nutzte Indonesien zum Einmarsch.

In drei Wochen beginnt ein neuer Kampf um die Macht, diesmal ein Wahlkampf. Mit wenigen Ausnahmen werden die gleichen Parteien und die gleichen Personen antreten, die vor einem Vierteljahrhundert aufeinander schossen. Viele Beobachter machen sich Sorgen. Es könne durchaus Blut fließen, auch weil es im Moment so leicht ist, Anhänger zu finden, die man als Krawallmacher instrumentalisieren kann. Viele Osttimoresen sind arbeitslos, das Gewaltpotenzial in einer so genannten "Post-conflict-society" ist hoch. "Die Menschen in den Provinzen haben große Angst vor politischen Parteien", glaubt Carlos Valenzuela, der Chef der UN-Wahlkommission, "viele erinnern sich an die 70er Jahre. Mit Parteien verbinden sie Gewalt."
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Aus: Frankfurter Rundschau, 26. Juni 2001


Erstmals wirklich freie Wahlen in Osttimor

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Damals (1999) ging es in einem von der Uno durchgeführten Plebiszit darum, ob die ehemals portugiesische Kolonie Osttimor nach 25-jähriger völkerrechtswidriger Besetzung durch Indonesien endlich zu einem unabhängigen Staat werden sollte. Schon während des Abstimmungskampfes hatten proindonesische Milizen in Zusammenarbeit mit Indonesiens Armee Massenmorde an Unabhängigkeitsbefürwortern verübt. Nachdem die Osttimoresen dennoch mit fast 80-prozentiger Stimmenmehrheit die Freiheit gewählt hatten, rächten sich die Besetzer und ihre einheimischen Kollaborateure mit einer brutalen Orgie der Gewalt, der erst der Einsatz einer internationalen Truppe im Auftrag der Uno ein Ende setzen konnte. Vor ihrem Abzug hatten Armee und Milizen drei Viertel aller osttimoresischen Gebäude geplündert und niedergebrannt, zwischen ein- und sechstausend Personen umgebracht, Tausende von Frauen vergewaltigt und schliesslich einen Drittel der damals 800 000 Köpfe zählenden Bevölkerung mit Gewalt über die Grenze ins weiterhin zu Indonesien gehörende Westtimor getrieben. Dort fristeten die Flüchtlinge teilweise über ein Jahr lang in Lagern unter der Terrorherrschaft der Milizionäre ein elendigliches Dasein.

Mittlerweile ist die Mehrheit der zur Flucht Gezwungenen in die Heimat zurückgekehrt. Dank der aufgeblühten Landwirtschaft ist die Bevölkerung wieder reichlich mit Nahrungsmitteln versorgt. Internationale Hilfsgelder und die gigantische Kaufkraft der über zehntausend Mitglieder zählenden militärischen und administrativen Uno-Mission sorgen für einen stetigen Kapitalzufluss. Dank der Ankunft zahlreicher, vorwiegend aus Australien, Singapur, Japan und dem alten kolonialen Mutterland Portugal stammender Investoren, Geschäftemacher und Glücksritter boomt die Wirtschaft in den grösseren Ortschaften zurzeit geradezu. Zwar zeugen in Dili und andernorts immer noch zahlreiche Brandruinen von der Katastrophe von 1999. Doch auch wenn längst nicht alle gleichermassen am gegenwärtigen «Goldrausch» teilhaben, in den neu- und wiederaufgebauten Häusern geniessen viele Osttimoresen einen höheren Lebensstandard denn je zuvor. Sie leisten sich Klimaanlagen, Farbfernseher, Digital-Videogeräte, Autos und einige gar Luxus-Jeeps, von denen sie unter portugiesischer und indonesischer Herrschaft nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Zumindest das städtische Osttimor hat sich in den letzten 24 Monaten stärker verändert als je zuvor in der Geschichte des Territoriums. Die Lage ist heute ganz anders als 1999 vor der Unabhängigkeitsabstimmung.

So entspannt sich auch Joao Ximenes bei der Vorbeifahrt jedes Propagandatrosses jeweils schnell wieder. Er sagt, fast mit den gleichen Worten wie Sergio Viera de Mello, der Chef der Wiederaufbaumission der Uno (Untaet): «Zwar erschrecke ich jedes Mal zuerst, aber eigentlich weiss ich, dass hier Demokratie die Gewalt abgelöst hat.» ...

Erdrutschsieg für die Ex-Guerilleros?

Am 28. August ist die Wahlkampfperiode offiziell zu Ende gegangen. Nach einem propagandafreien «Beruhigungstag» werden die Osttimoresen am 30. August, also auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Unabhängigkeitsplebiszit, eine Verfassunggebende Versammlung wählen. Dieses Gremium soll innert drei Monaten Osttimors erstes Grundgesetz verabschieden und danach einen Termin für die Wahl des ersten Präsidenten des neuen Staatswesens festlegen. ...

Um die 88 Sitze der Verfassunggebenden Versammlung bewerben sich 16 Parteien mit nicht weniger als 1.063 Kandidaten. Auf Grund einer von der Uno durchgeführten Volkszählung, die Ende Juni eine Bevölkerung von knapp 740.000 ergab, und der anschliessenden Wählerregistrierung werden am 30. August gut 400.000 Osttimoresen das Recht haben, zur Urne zu gehen. Alle Beobachter nehmen an, dass die Fretilin einen Erdrutschsieg erringen wird, mit möglicherweise bis zu 85 Prozent aller Stimmen. Bei der Bevölkerung ist die Partei enorm beliebt, weil ihr «Falintil» genannter militärischer Arm den Hauptbeitrag zum Guerillakrieg gegen die indonesische Armee in den 25 Besetzungsjahren geleistet hat. So glich denn auch der letzte Fretilin-Aufmarsch in der Hauptstadt Dili am Dienstag (28.08.), an dem gegen 100 000 begeisterte Parteianhänger teilnahmen, in vielem eher einer überbordenden Jubelfeier zur endgültigen Befreiung vom indonesischen Joch und zum so sicher geglaubten Sieg beim Urnengang als einer Wahlkampfaktion. ...

Doch Skeptiker weisen auf Umstände hin, die die Begeisterung der Uno-Funktionäre über die angebliche politische Reife der Osttimoresen hohl erscheinen lassen. So ist die hiesige Parteienlandschaft nach der auf den Wahlkampf hin erfolgten Auflösung der jahrzehntealten Widerstandskoalition wieder in jene von einigen einflussreichen Familienclans dominierten Gruppierungen zerfallen, die sich schon 1975, während des Abzuges der portugiesischen Kolonialisten und vor der indonesischen Invasion, blutige, bürgerkriegsähnliche Schlachten geliefert hatten. Viele Beobachter bezweifeln, dass die nun im Wahlkampf gezeigte Gewaltlosigkeit weiter anhält, falls der Untaet-Chef de Mello bei der auf den 10. September festgesetzten Verkündigung der offiziellen Wahlresultate nicht den erwarteten überwältigenden Sieg der Fretilin oder umgekehrt gar einen zu überwältigenden Erfolg mit über neunzig Prozent der Stimmen bekannt geben müsste.

Überdies war der Hauptgrund für Gusmaos lange Weigerung, für die Präsidentschaft zu kandidieren, die für den Anführer einer siegreichen Befreiungsbewegung ungewöhnlich weise Einsicht gewesen, dass erfolgreiche Guerilla-Kommandanten häufig keineswegs gute zivile Administratoren und Regierungspolitiker abgeben. Um gewalttätige Konfrontationen zu vermeiden, haben die Parteien in Osttimor ihren Wahlkampf vorwiegend mit dem Hinweis auf angebliche oder wirkliche Verdienste beim Erringen der Unabhängigkeit geführt. Ein eigentlicher Wettbewerb politischer Ideen hat jedoch nicht stattgefunden, obwohl der kleinen neuen Nation zahlreiche schwerwiegende Grundsatzentscheide in Verfassungs- und wirtschaftspolitischen Fragen bevorstehen. ... Aus: Neue Zürcher Zeitung, 29. August 2001


FRETILIN gewann erste freie Wahlen in Osttimor

Die Revolutionäre Front für die Unabhängigkeit Osttimors (FRETILIN) ist als Sieger aus den ersten freien Wahlen in der früheren indonesischen Provinz hervorgegangen. Nach vorläufigen Ergebnissen der Vereinten Nationen vom Donnerstag entfielen bei der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung 57,3 Prozent der Stimmen auf die Partei der einstigen Unabhängigkeitskämpfer. Laut UN-Wahlleiter Carlos Valenzuela wird FRETILIN damit 55 der 88 Sitze erhalten. Die Wahlbeteiligung lag bei 91,3 Prozent. Die Versammlung soll eine Verfassung ausarbeiten und im Dezember das neue Parlament bilden. Im März oder April 2002 soll ein Präsident gewählt werden. Danach will die UNO Osttimor in die Unabhängigkeit entlassen.

Die FRETILIN erreichte die einfache Mehrheit, verfehlte jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die viele erwartet hatten. Damit hätte sie die Verfassung allein diktieren können. Sie war die erste Partei der portugiesischen Kolonie Osttimor, die den Kampf um die Unabhängigkeit begann, nachdem die portugiesische Diktatur in der »Nelkenrevolution«1974 gestürzt worden war. Am 28. November 1975 verkündete die damals marxistische Partei nach 400 Jahren portugiesischer Kolonialherrschaft die Unabhängigkeit von Osttimor. Neun Tage später besetzte Indonesien die Inselhälfte. Bis 1999 führte die Fretilin-Guerilla 24 Jahre lang einen Bürgerkrieg gegen die Armee aus Jakarta.

Die neu gegründete Demokratische Partei errang sieben Sitze in der Verfassunggebenden Versammlung. Je sechs Sitze gingen an die Sozialdemokratische Partei und die Timorische Sozialdemokratische Vereinigung. Der Rest der Mandate entfällt auf kleinere Parteien. Das endgültige Wahlergebnis wird laut UNO am kommenden Montag bekanntgegeben.

UN-Wahlleiter Valenzuela nannte die Abstimmung »die friedlichste Wahl«, die er je erlebt habe. Sie habe geholfen, die Wunden von 1999 zu heilen. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum unter UN-Aufsicht am 30. August 1999, bei dem die Osttimorer für die Loslösung von Indonesien votierten, hatten pro-indonesische Milizen die Provinz mit Unterstützung der Armee terrorisiert. Dabei töteten sie bis zu 2.000 Menschen und zerstörten 80 Prozent der Infrastruktur.

Aus: junge welt, 7. September 2001

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