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Unsere Gratulation: Osttimor wird unabhängig

Vier Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur - Grußwort von Kofi Annan

Die staatliche Unabhängigkeit wird für Osttimor kein Honigschlecken. Das ist das einzige, was sich heute, am Tag der Proklamation eines eigenständigen Staates, mit Sicherheit sagen lässt. "Wir waren schon unter den Portugiesen arm, erzählen die Menschen, "dann waren wir arm unter den Indonesiern, und jetzt sind wir immer noch arm, aber unter uns selber". Was aber jetzt zählt, ist die "libertade", die Freiheit. So berichtet der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung aus einem der ärmsten Länder Südostasiens (SZ, 18.05.2002). Im folgenden dokumentieren wir einen historischen Abriss von Rainer Werning (Ausschnitt aus einem Artikel in der Wochenzeitung "Freitag") sowie das Grußwort des UN-Generalsekretärs zu dem bedeutenden Ereignis, das vor wenigen Tagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt war.


Rainer Werning:
Blick zurück ohne Zorn


... Am 20. Mai werden in Dili die Flaggen des weltweit jüngsten Staates gehisst. Osttimors erster Staatschef heißt für die nächsten fünf Jahre Xanana Gusmao. "Wenn ihr mich wählt", hatte der frühere Guerillachef seinen Landsleuten versichert, "verspreche ich euch, jede Last auf meinen Schultern zu tragen, die ihr mir aufbürdet". Partout keine leichte Bürde.

Die portugiesische Ex-Kolonie Osttimor wurde von Indonesien 1975/76 völkerrechtswidrig als 27. Provinz annektiert und - vorzugsweise von der Armee - bis Sommer 1999 grausam zugerichtet - mit Billigung der "westlichen Wertegemeinschaft". UN-Resolutionen, sich aus Osttimor zurückzuziehen, wurden von der indonesischen Regierung stets mit müdem Lächeln quittiert. Und von Organisationen wie amnesty international (ai) und Human Rights Watch angemahnte Aktionen, die grausame Besatzungspolitik zu stoppen, verhallten ungehört. Bis Mitte 1999 waren über 200.000 der etwa 800.000 Einwohner zählenden Bevölkerung Osttimors infolge der indonesischen Okkupation ums Leben gekommen. Als der Suharto-Nachfolger Bacharuddin Jusuf Habibie entschied, Osttimor in einem Referendum über Autonomie, Unabhängigkeit oder einen Verbleib bei Indonesien selbst abstimmen zu lassen, führte dies im August 1999 zu einem überwältigenden Votum für einen eigenen Staat. Makaber war indes, dass mit der Überwachung dieses Referendums ausgerechnet das indonesische Militär betraut wurde, obgleich internationale Beobachter der UN-Mission in East Timor (UNAMET) bereits in Dili Quartier bezogen hatten. Pro-indonesische Milizen gingen gegen alle vor, die verdächtigt wurden, gegen die fortgesetzte Herrschaft Jakartas zu votieren. Von der BBC mitgeschnittene Funkgespräche belegten die unheilvolle Allianz zwischen Militärs und Milizen. Dili wurde entvölkert, Tausende von Zivilisten abgeschlachtet und über 300.000 Menschen gewaltsam in die Berge oder nach Westtimor vertrieben.

Erst seit Mitte März 2002 müssen sich in Jakarta Milizionäre und Soldaten wegen der Massaker vom Sommer 1999 vor Gericht verantworten. Vor den Kadi zitiert sind allerdings im wesentlichen "kleine Fische". General Wiranto, Ex-Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Ex-Verteidigungsminister, sowie der einstige Generalmajor und zeitweilige Chef des Osttimor-Kommandos Kiki Syahnakri (inzwischen stellvertretender Generalstabschef) sind nicht einmal angeklagt. Durch diese Prozesse wurde vermieden, dass - ähnlich wie in den Fällen Ruanda und Ex-Jugoslawien - auch für Osttimor ein Kriegsverbrechertribunal eingesetzt wurde. Kulant ist Jakarta eingeräumt worden, ein dunkles Kapitel seiner Geschichte selbst aufzuarbeiten. ...

Für die künftige Regierung in Dili ist derzeit mehr von Belang, wie sich die Staatseinnahmen entwickeln, wenn jetzt das UN-Mandat endet. Die zuvor von Indonesien und Australien gemeinsam erschlossenen Öl- und Gasquellen im so genannten Timor Gap, der Wasserscheide, die Osttimor von Australiens Northern Territory trennt, waren für beide Seiten lukrativ. Doch mit der Unabhängigkeit Osttimors verlieren die zuvor bilateral ausgehandelten Verträge zwischen Jakarta und Canberra ihre Gültigkeit. Bereits Anfang Juli 2001 unterzeichneten für die australische Regierung Außenminister Alexander Downer und der Minister für Bodenschätze, Nick Minchin, gemeinsam mit dem designierten Wirtschaftsminister Osttimors, Mari Alkatiri, und dem amerikanischen UN-Gesandten Peter Galbraith einen Vertrag zur Aufteilung der Offshore-Öl- und Gasvorkommen im Timor Gap. Bis heute aber schwelt ein Rechtsstreit über die endgültige Zuordnung der Greater Sunrise Fields. Ein Konflikt, der dadurch kompliziert wird, dass Canberra einen Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag nicht akzeptieren will. So ist nicht nur die zwischen Canberra und Dili ursprünglich für den 20. Mai vorgesehene Vertragsunterzeichnung über die künftige Aufteilung der Öl- und Erdgaserlöse gefährdet, sondern auch eine weitere Erschließung. Das agrarisch ausgerichtete Osttimor mit seiner vorwiegend subsistenzbäuerlichen Bevölkerung ist von cash crops wie Kaffee, Kakao, Cashewnüssen und Sandalhölzern kaum überlebensfähig. Für den Aufbau einer Bekleidungs-, Zement- und Tourismusindustrie sind jene Finanzmittel nötig, die sich Dili von eben dem neuen Timor Gap-Vertrag verspricht - im besten Fall Jahreseinnahmen von umgerechnet etwas über 80 Millionen US-Dollar. Das Geld wird in dem weltweit jüngsten Staat und gleichzeitig ärmsten Land Südostasiens dringend benötigt.

Aus: Freitag 21, 17. Mai 2002

Willkommen Ost-Timor

Von Kofi Annan

Schlag Mitternacht, am 19. Mai 2002, wird die Welt Ost-Timor im Kreis der Völkerfamilie willkommen heißen. Es wird ein historischer Augenblick für OstTimor sein - und für die Vereinten Nationen. Ein stolzes und unbeugsames Volk wird den Traum aller Völker verwirklichen - als freie Männer und Frauen unter einer Regierung ihrer eigenen Wahl zu leben. Der Stolz der Ost-Timorer in dieser Nacht wird auch der Stolz der internationalen Gemeinschaft und der Vereinten Nationen sein.

Selten hat die Welt mit derartiger Eintracht, Entschlossenheit und Schnelligkeit zusammengefunden, um die Selbstbestimmung eines Volkes sicherzustellen.

Anerkennung für das Erreichte gebührt zuallererst den Menschen in Ost-Timor, die großen Mut und Beharrlichkeit beim Wiederaufbau ihres Landes gezeigt haben. Sie haben jede Herausforderung überstanden, mit der sie konfrontiert wurden, und haben unermüdlich ihr Bekenntnis zur Demokratie unter Beweis gestellt. Es liegen noch immer gewaltige Herausforderungen vor ihnen, doch ich glaube, sie können ihrer Zukunft zuversichtlich entgegensehen, mit einer entschlossenen und engagierten Führung und auf dem sicheren Fundament einer Verfassung.

Auch die internationale Gemeinschaft kann stolz sein auf ihren Beitrag. Nach der raschen Wiederherstellung der Ordnung in Ost-Timor durch die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in Ost-Timor (UNTAET) mit einem ebenso einzigartigen wie ehrgeizigen Mandat eingesetzt. Die Vereinten Nationen erhielten den Auftrag, zusammen mit den Menschen in Ost-Timor ein zerstörtes Land wiederaufzubauen und es auf die Unabhängigkeit vozubereiten.

Seither wurden der Frieden gesichert und grundlegende Regierungsstrukturen und Gesetze geschaffen. So etwas wie Normalität ist wieder in das Leben eingekehrt. Die Kinder gehen zur Schule, Straßen werden gebaut, Gebäude wieder errichtet, ein Gesundheitswesen geschaffen - und jeden Tag öffnen neue Geschäfte. Die überwiegende Mehrheit der Bürger von Ost-Timor hat an den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung und für das Präsidentenamt teilgenommen. Besonders ermutigend ist, daß in den vergangenen Monaten immer mehr Flüchtlinge ins Land zurückgekehrt sind. Friedenstruppen der Vereinten Nationen und eine internationale Polizei haben Gesetz und Ordnung wiederhergestellt. Die im Aufbau befindlichen nationalen Militär- und Polizeikräfte arbeiten an der Grundlage einer sicheren, rechtsstaatlichen Zukunft. Wirkliche Sicherheit in Ost-Timor kann nur gewährleistet werden, wenn es gelingt, der Forderung nach Gerechtigkeit und nach Versöhnung gleichermaßen gerecht zu werden. Die internationale Gemeinschaft muß die Bemühungen des Landes auf diesem Gebiet weiter unterstützen. Dies gilt vor allem für die Kommission für Aufnahme, Wahrheit und Versöhnung, die ihre außerordentlich wichtige Arbeit in Kürze aufnehmen wird.

Am wichtigsten aber war vielleicht die Hilfe der Vereinten Nationen bei der Schaffung der Grundlagen für eine effektive, repräsentative und rechtmäßige Regierung. Das Volk von Ost-Timor ist mit Recht stolz auf den friedlichen und rechtmäßigen Verlauf der Wahlen, wie auf den hohen Frauenanteil in den staatlichen Einrichtungen. Bereits seit vielen Monaten ist die Amtshoheit in so gut wie allen Bereichen des öffentlichen Lebens von Beamten der Vereinten Nationen auf Ost-Timorer übergegangen. Am 20. Mai, wenn Ost-Timor ein unabhängiger Staat wird, kann dieser Staat bereits auf eine erfahrene und verantwortungsvolle Exekutive und Legislative zurückgreifen.

Doch all dies ist nur ein Anfang. Die Regierung von Ost-Timor steht in den kommenden Monaten und Jahren vor enormen Aufgaben. Die Welt darf Ost-Timor in diesem kritischen Augenblick nicht allein lassen, sondern muß alles tun, um sicherzustellen, daß die ersten Jahre der Unabhängigkeit Jahre der Stabilität und des Fortschritts werden. Die Menschen in Ost-Timor haben das ganz sicher verdient.

Eine nachfolgende Friedenssicherungspräsenz der Vereinten Nationen wird in drei Bereichen, die für die Stabilität und Lebensfähigkeit des neuen Staates entscheidend sind - öffentliche Verwaltung, Recht und Ordnung sowie äußere Sicherheit - für weitere Unterstützung sorgen. In den nächsten zwei Jahren soll diese Präsenz dann schrittweise reduziert werden. Danach werden sich die Vereinten Nationen wieder mehr der traditionellen Entwicklungshilfe zuwenden.

Gute Beziehungen zu seinen unmittelbaren Nachbarn werden für die künftige Stabilität Ost-Timors unverzichtbar sein. Dazu gehört auch, eine enge Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung von Personen zu erreichen, die 1999 begangener schwerer Verbrechen beschuldigt werden.

Als Generalsekretär bin ich stolz auf die Rolle der Vereinten Nationen in diesen Bemühungen, vor allem in der letzten Phase. Ich verspreche, daß wir hier nicht am Ende, sondern an einem neuen Anfang stehen. Die Vereinten Nationen sind bereit, ihren Teil an der Seite der unabhängigen Nation Ost-Timor dazu beizutragen.

Dokumentiert in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.05.2002


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