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Fragwürdige Wege zur Versöhnung

Wahrheitskommission in Osttimor beginnt mit Zeugenbefragungen

Von Thomas Berger *

Kann die Wahrheitskommission die Ereignisse in Osttimor 1999 aufarbeiten und für späte Gerechtigkeit sorgen? Auch mit Beginn der ersten Zeugenbefragungen in dieser Woche wird das weithin bezweifelt.

Die Erinnerung ist für viele Einwohner des 2002 unabhängig gewordenen Staates Osttimor noch immer schmerzlich. Fast acht Jahre sind die Schreckensereignisse inzwischen her, doch ihnen erscheint es wie gestern: Das Wüten der proindonesischen Milizen, die in ihrem Hass Jagd auf alle machten, die sie als Wortführer der Unabhängigkeitsbewegung ansahen. Überfälle auf offener Straße, politische Morde, regelrechte Massaker. Wochen voller Grausamkeit, in denen viel Blut floss. Eine Viertelmillion Menschen auf der Flucht, mindestens 1300 Tote – wahrscheinlich sogar deutlich mehr, so genau wird sich das wohl nie mehr ergründen lassen. Auf alle Fälle ein Trauma, unter dem die Menschen bis heute leiden und das eine normale Nachbarschaft mit der früheren Besatzungsmacht Indonesien vorerst unmöglich macht.

Versöhnung lautet das Zauberwort. Vorbilder, an denen man sich orientieren möchte, gibt es genug, vor allem Südafrika. Doch Versöhnung setzt ein gewisses Schuldeingeständnis und Bedauern auf Seiten derjenigen voraus, die Schuld auf sich geladen haben – damit auf dieser Basis die Opfer und ihre Angehörigen vergeben können. Doch dass indonesische Sicherheitskräfte wegschauten, als die Milizionäre damals im Blutrausch Leute umbrachten, dass einige Soldaten und Offiziere wahrscheinlich sogar an dem Morden teilnahmen oder zumindest Tipps gaben, wird in Jakarta bis heute nicht eingeräumt. Die wenigen Prozesse, die gegen Beteiligte angestrengt wurden, endeten sämtlich mit Freisprüchen und waren in den meisten Fällen eine Farce, weil die Justiz sich als williger Handlanger der Militärs zeigte.

Angesichts der Unmöglichkeit, ein internationales Tribunal für Osttimor auf die Beine zu stellen, war im Sommer 2005 immerhin die »Wahrheits- und Freundschaftskommission« ins Leben gerufen worden: bestehend aus zehn Mitgliedern, paritätisch aus Indonesien und Osttimor, darunter Juristen ebenso wie Menschenrechtler und Geistliche, versehen mit dem Auftrag, die Hintergründe der damaligen Ereignisse zu beleuchten und die Aussöhnung einzuleiten, faktisch aber mit keinerlei Machtbefugnissen ausgestattet. Niemand darf direkt an die Justiz überstellt werden, und wer von den Zeugen keine Bereitschaft zur Kooperation zeigt, Informationen zurückhält oder das Gremium zum Narren zu halten versucht, kommt ohne Strafe davon. Angesichts dieses Mankos regen sich erhebliche Zweifel, was die Kommission denn ungeachtet aller rechtschaffenden Bemühungen überhaupt zu leisten vermag.

Versöhnung, dieses Wort hat vor allem auch Xanana Gusmao seit seinem Amtsantritt als Osttimors erster frei gewählter Präsident immer wieder im Munde geführt. Er, der einst die Unabhängigkeitsbewegung anführte und dafür lange Zeit in indonesischen Gefängnissen saß, wollte kein ständiges Rühren in den Wunden, sondern einen »befreienden« Schlussstrich unter dieses dunkle Kapitel der Vergangenheit, um nach vorn zu schauen und mit Indonesien eine Nachbarschaft auf freundschaftlicher Basis aufzubauen. Inzwischen ist selbst er enttäuscht, wie wenig im Land der vormaligen Besatzer – Indonesien war nach dem Abzug der Portugiesen in deren frühere Kolonie einmarschiert – die Bereitschaft besteht, sich kritisch der eigenen Verantwortung zu stellen.

Menschenrechtsgruppen sehen nun zum Beginn der Zeugenbefragungen, die sich auf der indonesischen Ferieninsel Bali über die nächsten paar Monate erstrecken sollen, die Gefahr einer ähnlichen Farce wie bei den bisherigen Prozessen. Nicht einmal die katholische Kirche in Osttimor als beherrschende religiöse Institution setzt große Hoffnungen in das Vorhaben der Wahrheitskommission. Schon 2005, als das Gremium gebildet wurde, hatten diverse Geistliche mit ihrer Kritik an den fehlenden Befugnissen nicht hinter dem Berg gehalten.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Februar 2007


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