Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Annäherung in Nordirland signalisiert

Von Blair und Ahern präsentierter Vertragsentwurf stößt in beiden Lagern auf Zustimmung

Von Mattes Standke, London *

Nordirlands verfeindete Parteien reagieren positiv auf einen britisch-irischen Entwurf zur schrittweisen Wiederherstellung nordirischer Selbstverwaltung bis 2007.

Nach vielen Monaten schleppender Verhandlungen hinter geschlossenen Türen verkündete Großbritanniens Nordirlandminister Peter Hain am Wochenende einen »erstaunlichen Durchbruch im Friedensprozess«. Zuvor hatten die führenden Vertreter pro-britischer und pro-irischer Parteien Nordirlands überraschend einhellig einen Vorschlag zur Wiedereinsetzung der nordirischen Autonomieregierung angenommen.

Großbritanniens Premierminister Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern hatten den Vertragsentwurf am Freitag den Parteichefs im Anschluss an einen dreitägigen Krisengipfel im schottischen St. Andrews vorgestellt. Darin vorgesehen ist unter anderem die schrittweise Wiedereinführung der nordirischen Selbstverwaltung, die London vor vier Jahren aufgehoben hatte. So sollen sich die Vertreter der führenden Parteien von pro-britischen Protestanten und pro-irischen Katholiken zunächst bis zum 10. November auf einen Regierungschef und dessen Stellvertreter einigen.

Im Falle einer Übereinkunft müssten die Koalitionsgespräche dann bis März 2007 abgeschlossen und per Volksentscheid bestätigt werden. Anderenfalls droht Blair mit der dauerhaften britischen Direktverwaltung Nordirlands.

Sollten sich die Parteien innerhalb der kommenden vier Wochen nicht auf ein Führungs-Duo geeinigt haben, käme dies einer Ablehnung des gesamten Vertragsentwurfs gleich. Außerdem soll die größte pro-irische Partei Sinn Féin, die der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) nahe steht, bis Ende des Jahres die Aufhebung ihres traditionellen Boykotts der nordirischen Polizei in die Wege leiten. Großbritannien würde im Gegenzug die Verantwortung für Polizei- und Justizwesen künftig an die Autonomieregierung übergeben, heißt es in dem Vertragsentwurf. Sinn Féins Chefunterhändler Martin McGuinness, einst IRA-Kommandant in Londonderry, stünde die Position des Vizeregierungschefs zu. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams rief seine Partei nun auf, das Angebot »ernsthaft zu durchdenken«.

Der Posten des Regierungschefs dagegen wäre für den radikal-protestantischen Prediger Ian Paisley vorgesehen, den Anführer der größten nordirischen Partei Democratic Unionist Party (DUP). Im Gegensatz zu den Vertretern der moderaten pro-britischen Ulster Unionist Party (UUP) und der gemäßigten pro-irischen Sozialdemokraten der Social Democratic and Labour Party (SDLP), die beide ebenfalls an einer künftigen Autonomieregierung beteiligt wären, hat es zwischen Paisley und Sinn Féin seit über drei Jahrzehnten keine direkten Gespräche gegeben.

Während Sinn Féin sich für einen offenen Dialog einsetzt, blockierte die DUP den Friedensprozess stets unter Verweis auf Sinn Féins Verbindungen zur IRA. »Wir verhandeln nicht mit Terroristen«, galt bis zuletzt als DUP-Devise im Friedensprozess. Doch auch Paisley signalisiert nun Entgegenkommen. Sollte Sinn Féin in der Polizeifrage kooperieren, würde auch er sich an die vorgesehenen Abmachungen halten, um »einen korrekten Frieden« herbeizuführen, zitierte die »Irish Times« den DUP-Chef am Wochenende.

Bereits 1998 hatten sich führende pro-britische und pro-irische Parteien unter Vermittlung Londons und Dublins im so genannten Karfreitag-Friedensabkommen auf eine gemeinsame, gewaltfreie Verwaltung der britischen Unruheprovinz im Norden Irlands geeinigt. Das daraus hervorgegangene Regionalparlament aus Vertretern beider Lager war vor vier Jahren auf Druck der Unionisten suspendiert worden.

Seit die IRA sich im vorigen Jahr unter internationaler Aufsicht von ihrem umfangreichen Waffenarsenal getrennt hatte und auch Nordirlands Polizeichef letzte Woche einräumte, von der einst mächtigsten Terrororganisation im Nordirland-Konflikt gehe keine Gefahr mehr aus, glauben Beobachter nun, dass die DUP kurz vor einer Einigung mit Sinn Féin stehe. »Nur eine Zusammenarbeit beider Parteien kann Nordirland in eine demokratische Zukunft führen«, kommentierte der Londoner »Sunday Telegraph«.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Oktober 2006


Zurück zur Nordirland-Seite

Zurück zur Homepage